Jayden POV:Es ist still geworden. Still um uns. Keiner spricht mit dem anderen. Wir sind auf uns allein gestellt. Jede Seele fokussiert auf sich selbst, obwohl viele andere um sie herum schwirren. Seelen, mit den selben Ängsten und Sorgen. Seelen, die einander helfen könnten, es aber nicht tun. Das einzige Geräusch, das die erdrückende Stille durchdringt ist das drohende Knurren, welches nach Distanz verlangt. Distanz, die für den einen befreiend ist, während der andere an ihr zerbricht. Unausgesprochene Gedanken schüren den Krieg in uns selbst und schreien danach, ausgesprochen zu werden. Wir schweigen, weil wir keine andere Wahl haben. Wir sind auf uns allein gestellt, ohne dessen Ursache ergründen zu können. Dieses andauernde Gefühl der Einsamkeit, das so unüberwindbar scheint, dass wir uns damit arrangieren anstatt es zu bekämpfen. Es waren nun schon zwei Wochen vergangen. Zwei Wochen lagen zwischen uns und dem Ereignis, welches die Zeit angehalten hat und einen schleichenden Wendepunkt herbei führte. Wir geben einander auf. Wir sahen die Probleme und Sorgen des jeweils anderen durch Heathers ausgzeichnete Beobachtungsgabe. Ihre grenzenlose Empathie und Beachtung der persönlichen Bedürfnisse jedes Einzelnen haben uns transparent werden lassen. Wir entfernen uns jeden Tag weiter von einander. Es ist keine Akzeptanz mehr zu spüren. Kein Interesse ist für den jeweils anderen vorhanden und so haben wir keine andere Wahl, als aneinander vorbei zu leben. Unter einem Dach und dennoch in verschiedenen Welten. Das beschreibt unser Leben vermutlich sehr treffend.
"Versinkst du wieder in deiner endlosen Melancholie?" Scherzt Joshua mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen und greift nach meinem Notizbuch. Es ist längst kein gewöhnliches Notizbuch mehr. Dieses Notizbuch trägt meine innigsten Gedanken in sich und würde sich wohl für jeden anderen Tagebuch nennen. Für mich ist der Begriff Tagebuch ebenfalls bekannt, aber keine Bezeichnung, die mir über die Lippen kommt. Notizbuch klingt männlicher, viel männlicher. Flink greift der Schwarzhaarige nach dem Buch und reißt es mir aus meinen Händen, bevor er schelmisch grinsend wahllos darin herumblättert. "Josh, das ist privat." Erkläre ich ruhig und bleibe unbeeindruckt auf den Paletten sitzen. "Ein Notizbuch sollte noch lange nicht so voll gekritzelt sein, wie dieses hier." Er hebt das Wort Notizbuch mit wackelnden Augenbrauen hervor, woraufhin mir ein entnervter Seufzer entgleitet. "Joshi, ich meine es ernst. Bitte lass mir wenigstens mein Notizbuch, wenn du schon meine Nerven rauben musst." Amüsiert über seinen Spitznamen, den ich ihm erst vor kurzem gegeben habe mustert er mich und händigt mir das Buch wieder aus. Ich wundere mich über seine Kooperationsbereitschaft, doch gehe nicht weiter darauf ein. „Was schreibst du dort rein? Deine Wünsche und Träume? Oder eher Liebeskummer und Trauergeschichten?" Neugierig klettert er auf die Paletten.
Anstatt mich über das gezeigte Interesse von Joshua zu freuen zieht sich mein Magen zusammen und ich lege das Buch neben mir ab, um davon abzulenken. Ich spreche nicht gerne über mich und schon gar nicht, über meine Notizen. "Hast du jemals außerhalb der Schule auch nur einen Satz geschrieben?" Fahre ich ihn harsch an, ohne dies zu wollen und ärgere mich einen Augenblick über seine äußerst ausgeprägt gute Laune. Normalerweise sitzt er in seinem Schuppen und lässt sich stundenlang auf niemanden ein und nun sitzt er neben mir und erwartet ein ermunterndes Gespräch? Dieser Kerl hat vieles im Leben nicht begriffen. "Zählen die Drohbriefe an meine nächsten Opfer?" Ich verdrehe die Augen, als Joshua in Gelächter ausbricht und mir entschuldigend auf die Schulter klopft.
Meine Aufmerksamkeit wendet sich von ihm ab und richtet sich an Zachary, der am Fenster auftaucht und mit finsterer Mine zu uns hinunter schaut. Seine Blässe hat zugenommen und macht auf mich keinen gesunden Eindruck. Bereits seit Tagen sorge ich mich vermehrt um seinen Zustand und bin gleichzeitig von seinem Durchhaltevermögen beeindruckt. Er hat nicht ein einziges Mal das Zimmer verlassen, seitdem Heather in einer Art Koma liegt. Sein Wille, sie zu beschützen, ist stärker als jeglicher Überlebensinstinkt und er vertilgt die Speisen, die wir ihm bringen nur, um nicht ebenfalls in einen kritischen gesundheitlichen Zustand zu geraten. Joshua folgt meinem Blick und verstummt, ehe er mich eindringlich anschaut und nach Heathers momentanen Befinden fragt.
Ein Stich durchfährt mein Herz, als ich an sie denke und mich schuldig fühle, keine genaue Angabe machen zu können. Ich habe sie seit dem Vorfall nicht gesehen und kämpfe seit wenigen Tagen bereits mit einem unaussprechlichen Gedanken. Es ist bedrückend den unausweichlichen Tod in den Raum des Möglichen zu platzieren, doch er gehört zum Leben dazu. Und auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, sie zu verlieren ist der Gedanke dennoch tief in mir verankert und die Angst davor ebenso.
Zachary ist von ihr besessen. Er würde sich nicht von ihr trennen, selbst wenn es eine Notwendigkeit darstellen würde. Vermutlich berichtet er uns erst von ihrem Befinden, wenn wir ihn dazu zwingen. Doch dafür müssen wir erst in ihr Zimmer gelangen und das hat der Blonde rigoros verbarrikadiert. "Ich hoffe, dass sie eines Tages aufwacht." Bringe ich, begleitet von einem schwerfälligen Herzschlag über die Lippen und starre weiterhin zu Zachary hinauf, der noch immer regungslos am Fenster steht. Wie es sich wohl anfühlt, seine Mate hilflos dort liegen zu sehen? Sie haben sich bisher nicht miteinander sehen gelassen, wenn es nicht nötig gewesen ist. Er kann sich nicht einmal sicher sein, ob sie dasselbe für ihn fühlt, wie er für sie und dennoch bewacht er sie Tag und Nacht. Ob es die Unwissenheit und das anhaltende Gefühl der Trauer ist, die ihm so zusetzen? Vielleicht schließt sein Verstand allmählich ebenfalls mit ihrem Aufwachen ab. Er gesteht es sich nicht öffentlich ein, aber der Gedanke ist, davon bin ich überzeugt, in ihm verankert.
„Er hätte sie vor Amys Kräften schützen müssen." Schockiert über diese Äußerung schaue ich Joshua an, welcher desinteressiert mit den Schultern zuckt. "Dann würde er da oben liegen und nicht sie." Erklärt er weiter, doch diese Art von Gedanke beunruhigt mich eher, als alles andere. "Wir alle hätten sie beschützen müssen und dennoch ist es das Schicksal eines Alphas, sich für das Rudel zu opfern." Ich versuche möglichst neutral zu klingen, doch mein mittlerweile bester Freund lässt sich davon nicht hinters Licht führen und schüttelt energisch den Kopf. "Das denkst du doch nicht wirklich." Ein Seufzen verlässt meine Lippen, bevor ich den Blick senke und tief durchatme. "Ich hoffe bloß, dass sie wieder aufwacht und alles wieder gut wird. Wir ein starkes und gefürchtetes Rudel werden, wie früher." Joshua klopft mir schweigend auf die Schulter und entscheidet sich auch in den nächsten Minuten dazu, nichts zu sagen. Vermutlich ist es besser so, als wenn er mich anlügt. Dass nicht alles so wie früher wird ist mir durchaus bewusst. Ich kann es bloß noch nicht aussprechen. Noch nicht, noch besteht Hoffnung.
"Wie geht es Koda?" Nehme ich das Gespräch wieder auf, als Joshua sich nicht von mir entfernt und still den Hof begutachtet. Er ist neben Ethan der Einzige, der sich an ihn heran wagt und einen Zugang zu ihm findet. "Ich habe selten solch verachtende Blicke gesehen, gepaart mit einem Hauch von Einsamkeit. Eine Mischung, die mir keineswegs gesund erscheint. Wer bleibt schon normal, wenn man wie Rapunzel im Turm eingesperrt wird?" Ich zucke mit den Schultern und stelle ausnahmsweise fest, dass mich zu dem Schicksal des Kleinen keine weiteren Gedanken erwarten. Es ist still in meinem Kopf, wofür ich ausnahmsweise dankbar bin. "Ich hatte vor mit ihm eine Nacht draußen zu verbringen." Schnaubend gebe ich ihm einen Hieb auf seinen Hinterkopf und ignoriere seinen zaghaften Protest. "Du bewegst dich bereits auf Messerschneide und forderst Zachary dennoch heraus? Das ist verantwortungslos und leichtsinnig." Der Schwarzhaarige verdreht entnervt die Augen, schaut zu dem Blonden hinauf, wessen Zähne drohend aufblitzen ehe er sich vom Fenster entfernt und einen knurrenden Joshua hinterlässt.
„Du wolltest nicht, dass ich durchbrenne und jetzt verbietest du mir Koda etwas Gutes zu tun? Ich dachte, du bist derjenige von uns, der ein gutes Herz besitzt?" Wortlos starre ich meinen besten Freund an, welcher entrüstet nickt, von den Paletten auf den Boden springt und zu seinem Schuppen stapft. Ich würde mich über sein Vorhaben ärgern und ihn davon abhalten, wüsste ich nicht, dass er sich dadurch erst recht verschließen würde. Er braucht keine Besserwisser, die ihn korrigieren und auf den vermeidlich richtigen Weg bringen. Er braucht jemanden, der seine Worte anhört und seine Emotionen nachvollziehen kann. Seine letzten Ausbruchspläne habe ich schließlich auch unterbinden können und das nur durch zuhören und die Art von Empathie, die Heather uns vermittelt hat.
Sie fehlt. Uns allen.
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The Alpha And Me -Love The Way You Lie-
WerewolfStark und furchtlos im Sturm. Der Retter in der Flut. Ein Held. Doch die Rolle des Helden ist viel mehr als das Retten von den vermeidlich Schwachen. Was, wenn die Starken einen Helden benötigen? Nach Wochen im Koma hat sich im Rudel viel getan und...