Ich beobachtete die immer größer werdenden Wassertropfen, die rasselnd gegen die Scheibe fielen. Das Wasser lief wie ein Wasserfall an dem Bus hinunter, der immer durch die Pfützen fuhr und somit die Scheibe ganz in Wasser tränkte. Die Sicht nach draußen war verschwommen, genau so wie mein Kopf. Ich hatte den Kopf so voll, dass ich nicht mehr klar denken konnte.
Schlammiges Wasser, dass seit Tagen auf den Straßen lag, wurde immer schlammiger. Der Regen hatte urplötzlich begonnen, doch seit fünf Tagen nicht aufgehört. 120 Stunden ohne Pause wurde das Land überschwemmt. Ich hasste Regen abgrundtief. Ich hasste ihn so sehr, wie ich es hasste, morgens früh aufzustehen. Regen war nass, kalt, ekelhaft und im Winter wurden es Schneetropfen. Ich gab gefrorenen Wasser nicht den schönen Namen „Schneeflocken", denn meiner Meinung nach hatten sie den Namen nicht verdient.
Der Regen prasselte immer heftiger und mir wurde langsam mulmig zu Mute. Ich musste noch eine Strecke von mindestens 20 Minuten zurück legen, bevor ich zu Hause ankommen würde. Bei diesem Wetter hole ich mir dann eine schöne Erkältung und kann dann am Montag nicht in die Schule, dachte ich, während ich mich von der kalten Scheibe abwendete. Einen Regenschirm konnte ich auch nicht benutzen, weil er mir bei dem Sturm wahrscheinlich weg fliegen würde.
Der Platz neben mir war frei, wie jeden Tag. Ich saß immer alleine, weil ich niemanden hatte, mit dem ich nach Hause fahren konnte. Obwohl ich im Nachhinein nicht verstand, wieso ich eine Einzelgängerin war.
Die Zeit verging zu langsam. Wie immer um diese Zeit war ich der letzte Fahrgast. Ich hatte an dem Tag lange Schule gehabt und saß deshalb in einem Bus, der später fuhr. Die sonne drohte unterzugehen.
Na toll, jetzt kann ich im Dunkeln Heim gehen, dachte ich und runzelte die Stirn. Der Bus war noch nie besonders schnell gewesen, aber manchmal schaffte er es noch rechtzeitig, bevor es dunkel wurde. Der Grund, wieso ich immer hoffte, der Bus würde vor dem Sonnenuntergang an meiner Haltestelle halten, war der, das ich mega Schiss im Dunkeln hatte. Ich fühlte mich überhaupt nicht wohl. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, ich würde die ganze Zeit beobachtet und verfolgt werden. Ich weiß nicht wieso, aber es war einfach so.
Nach weiteren 15 Minuten, die der Bus durch matschige Pfützen gefahren war, hielt er endlich an der letzten Haltestelle. Ich erhob mich langsam von meinem Sitz und ging durch die Reihen nach vorne zu dem Busfahrer. „Vielen Dank fürs Fahren", sagte ich wie jedes Mal und er antwortete wie jedes Mal: „Kein Problem. Bis Montag." Ich fand es immer richtig, mich bei dem Fahrer zu bedanken, schließlich hatte er mich gefahren. Er öffnete mir die Tür und ich verließ den Bus. Den Regenschirm ließ ich in der Tasche stecken. Ich richtete meine umhänge - Tasche noch einmal und nickte dem Busfahrer freundlich zu. Er lächelte und dann verließ ich den Bus. Sofort peitschte mir die nasse, frische, kanadische Luft ins Gesicht. Ich hörte, wie der Busfahrer die Tür schloss und machte mich dann schnellen Schrittes auf den Weg nach Hause. Ich wollte keine Sekunde länger als nötig bei diesem Mist-Wetter draußen bleiben.
Ich stürmte den Sandpfad entlang. Nach kürzester Zeit war mein Gesicht so nass, dass ich genau so gut unter der Dusche gewesen sein hätte können. Das Wasser lief meine Wangen hinunter und meine Wimperntusche wurde weggespült. Als ich mir über die Wange strich und mir dann meine Hand ansah, war sie schwarz. Ich schmierte die Tusche in meiner Jacke ab und konzentrierte mich wieder auf den Heimweg. Wenn ich an nur einer Abzweigung falsch abbog, wäre ich nie zu Hause angekommen. Ich musste nach einiger Zeit mein Tempo drosseln, weil ich von dem Schlamm, der den Weg komplett bedeckte, eingesogen wurde und somit nur noch langsam und stapfend voran kam. Ich blinzelte gefühlte hundert Male in einer Sekunde.
Und dann erstreckte sich endlich ein Wald in der Ferne. Ich konnte ihn kaum noch erkennen, weil kaum noch Sonnenlicht vorhanden war, das Licht spendete. Als ich den Waldrand erreicht hatte, blieb ich kurz stehen und schaute mich um, weil ich das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Ich konnte Nichts oder Niemanden sehen. Nur den Regen. Das war das Einzige, was ich sehen konnte. Obwohl ich glaubte, der Regen könnte nicht mehr schlimmer werden, wurde er es doch. Es schüttete wie aus Schwimmbädern. Den Wind konnte man auch schon nicht mehr als seichte Brise bezeichnen, so wie er über das Land fegte.
Ich atmete noch einmal tief durch und betrat dann den Wald. Ich konnte fast nichts mehr sehen. Der Regen klatschte gegen ein Gesicht, wie Mücken gegen eine Autoscheibe.
Ich kämpfte mich durch das Dickicht. Die Bäume standen dicht nebeneinander. Überall sah ich, wie Äste durch die Luft gewirbelt wurden und auf den Boden fielen, als der Wind sich für kurze Zeit etwas abschwächte. Ich bekam einen Stock gegen den Kopf. Er verpasste mir eine kleine Schramme. Ich warf ihn gegen einen Baum und lief weiter. Ich musste über umgekippte Bäume klettern, die mir den Weg versperrten. Als ich kurz stehen blieb, um mich zu orientieren, hörte ich über mir ein lautes Knacken. Sofort schnellte mein Kopf in die Richtung. Ich konnte nichts sehen. Dann vernahm ich das Geräusch erneut. Ich erschrak, als ich sah, dass der Baum, neben dem ich stand, drohte, umzufallen. Mir gefror das Blut in den Adern und ich konnte mich vor Schock nicht bewegen. Ich blickte die ganze Zeit nach oben. Ich konnte meine Augen nicht mehr von dem Baum abwenden. Er knickte ab und bewegte sich langsam genau auf mich zu. Ich riss meine Augen auf und schrie. Ich konnte nicht anders. Ich konnte mich nicht bewegen, wollte aber weg. Ich hatte eine Schockstarre.
Als der Baum kurz davor war, mich unter sich zu zerquetschen, wurde ich plötzlich und völlig unerwartet zur Seite gestoßen. Ich wurde gegen einen Stein geschleudert. Ich stieß mit meinem Kopf an eine Kante und alles wurde schwarz.
Ich wurde von etwas kaltem wach, dass unaufhörlich auf mein Gesicht tropfte. Ich blinzelte und schlug meine Augen auf. Ich lag auf dem Waldboden und guckte in die Baumkronen. Die Bäume bogen sich im Wind nach links und rechts. Es regnete immer noch, doch ich lag unter einem Baum, der mit seinem Blätterdach den Regen ein bisschen abschirmte.
Mein Kopf schmerzte. Ich setzte mich auf und fuhr mit meiner Hand an meinen Kopf. Dann sah ich, wie meine Handinnenfläche aus Strömen blutete. Erst jetzt spürte ich den Schmerz. Ich verzog mein Gesicht und ließ ein paar Wassertropfen in die Wunde fallen, um sie ein bisschen zu kühlen. Wie ist das passiert?, fragte ich mich. Ich habe nur gespürt, wie ich gegen etwas Hartes mit meinem Kopf gestoßen war. Mein Kopf blutete auch. Das merkte ich, als mir einige Bluttropfen von der Stirn fielen.
Wer hatte mich vor dem umkippenden Baum gerettet? Ich konnte es nicht gewesen sein, weil ich mich nicht bewegen konnte und ich hätte mich nicht gegen einen Stein fallen lassen. Es musste also jemand hier gewesen sein, der mich vor dem Tod bewahrt hat. Vielleicht hatte ich Recht, damit, dass mich jemand beobachtete oder gar verfolgte. Ich verbannte den Gedanken aus meinem Kopf und stand langsam auf. Ich musste nach Hause gehen bevor noch ein Baum auf mich fallen konnte.
Ich wollte meinen Weg gerade fortsetzen, da bemerkte ich, dass ich mich nicht mehr an der Stelle befand, an der ich Bewusstlos geworden war. Ich schaute mich im Wald um. Ich konnte diesen Ort nicht zu ordnen. Hier, in diesem Teil des Waldes, bin ich vorher noch nie gewesen.
Ich guckte mich verzweifelt um und suchte vergeblich nach einem Lebenszeichen. Jemand musste mich hier hin gebracht haben, anders konnte ich es mir nicht erklären. Ich schaute mir noch einmal meine rechte Handinnenfläche an und konnte langsam erkennen, warum meine Hand blutete. Der Regen hatte mir freie Sicht auf ein Zeichen verschafft. Eine Sichel, die sich nach rechts öffnete. Durch die Mitte zog sich vertikal ein Schnitt. Was zur Hölle war das? Ich bekam Angst. Wer hatte mir diese Sichel geschnitten?
Ich muss sofort nach Hause, dachte ich und setzte einen Fuß nach vorne.
Gleich beim ersten Schritt knickte mein Bein nach links weg und ich fiel erneut auf den durchnässten Boden. Die rechte Hand lag flach auf dem Boden und ein heftiger Schmerz durchfuhr erst meine Hand und dann meinen gesamten Körper.
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Emerald wolve
Hombres LoboWährend eines starken Sturmes wurde die 16 Jährige Mila Kingston fast von einem Baum erschlagen. Dank einer unbekannten Person wurde sie gerettet. Wer diese Person war und welch ein Schicksal Mila bevorstand, erfuhr sie noch früh genug.