Ich blickte ihn nur kopfschüttelnd an und schwieg. Ich war einfach nur sauer und traurig und- ich war einfach mit den Nerven am Ende. Wie konnte mein Vater, wenn er überhaupt mein richtiger Vater ist, nur behaupten, er hätte mich zu meinem Schutz alleine gelassen? All die Jahre wurde ich angelogen, ohne es bemerkt zu haben. Es mochte sein, dass ich vielleicht ein bisschen überreagierte, aber ich konnte es in dem Moment einfach nicht fassen. Mir kam alles wie eine große, schwere Lüge vor.
„Wovor wolltest du mich beschützen?", fragte ich ihn kalt und musste mich zusammen reißen, nicht laut los zu schreien.
Er schwieg und starrte mich nur an. Ich bewegte meinen Kopf in seine Richtung und zog meine Augenbrauen hoch. „Und?", stachelte ich ihn an. Er schüttelte kaum merklich den Kopf und schlagartig änderte sich seine Miene. „Es ist kompliziert", murmelte er dann. „Es ist kompliziert? Das ist alles, was zu dazu sagen kannst?", schrie ich ihn an.
Anelia hob den Kopf und guckte mich traurig an. Jake schwieg und äußerte sich auch in den nächsten Minuten nicht mehr zu meiner Frage. „Gut, da keiner einen Anschein macht, mir zu antworten, auch wenn ich denke, dass ich wenigstens eine Antwort verdient habe, nach all den Lügen, die mir erzählt worden sind, werde ich diesen Raum nun verlassen, da ich meine Zeit sinnvoller nutzen kann, als mir hier den Arsch abzusitzen und zu schweigen!", motzte ich meine „Eltern" an und lief stampfend aus dem Raum. Auch, wenn ich keine Ahnung hatte, wo ich hin wollte, verließ ich schnurstracks das Haus und lief durch den Wald. Ich versteckte mich hinter einem breiten Baum und ließ mich auf den Boden sacken. Ich fand, dass ich wirklich Antworten verdient hatte. Anscheinend schien das nur niemand zu bemerken, oder es wollte niemand bemerken, oder- Ach, was sollte es, ich zerbrach mir unnötig den Kopf. Vielleicht reagierte ich über? Vielleicht nicht. Ich war mir nicht sicher, aber es war mir in dem Moment egal. Ich wollte einfach an Nichts denken, aber das fiel mir auch schwer, denn dann dachte ich doch wieder an irgendwas.
Plötzlich setzte sich jemand neben mich. Dieser jemand sagte nichts, sondern saß einfach schweigend neben mir. Dann drehte ich mich und guckte direkt in Kyles Augen.
„Was ist?", fragte ich ihn, immer noch leicht zickig. „Ich will dir beistehen. Ich weiß, du hast es im Moment alles andere als leicht. Ich weiß genau, wie du dich fühlst", seufzte er und blickte sehnsüchtig in die Tiefen des Waldes. Verwirrt guckte ich ihn an. „Du willst mir beistehen? Woher der plötzliche Sinneswandel?" „Ich habe all das selbst auch erlebt und hatte niemanden, der", er machte eine kleine Pause, bevor er fort fuhr. „Ich hatte niemanden, der mir geholfen hat, mit all dem klar zu kommen. Der mir beistand, als ich jemanden brauchte, der mich nicht von oben bis unten belogen hat, auch, wenn es nicht mit Absicht war." „Wieso? Du wurdest doch nicht von deinen Eltern verarscht." Er rümpfte die Nase. „Oh doch. Und wie. Ich habe es Anfangs nicht verstanden, so wie du. Ich habe auch in einer Pflegefamilie gelebt. Ich habe sie über alles geliebt. Ich konnte mit ihnen über alles reden, bis zu dem Tag meiner Verwandlung. Ich wurde im Wald gefunden, von einem Mann. Ein Mann namens Drake. Er ist auch ein Wolf. Jedoch ist er ein dunkler Wolf. Er gehört zu einem anderen Stamm als wir beide. Er hat mich unterrichtet. Jedoch konnte ich mit ihm über nichts reden. Er hat mich immer abgewiesen. Ich hatte tausende Fragen, glaube mir. Nicht eine einzige habe ich von ihm beantwortet bekommen. Als ich alt genug war und mich unter Kontrolle hatte, wurde ich von dem Stamm deiner Eltern aufgenommen. Von ihnen habe ich erfahren, dass ich die ganze Zeit über bei, für mich fremde und nicht verwandten Menschen, gelebt habe. Und das alles nur zu meinem Schutz. Meine richtigen Eltern lebten auch in diesem Rudel. Ich konnte ihnen anfangs nicht mehr in die Augen sehen, weil ich so sauer auf sie war. Ich habe bis Heute nicht ganz verstanden, wieso ich nicht bei ihnen aufwachsen konnte, aber es scheint bei allen Wölfen so zu sein. Jedes Neugeborene Kind, das Wolfsymptome hat, wird sofort in eine Pflegefamilie abgegeben. Es ist noch nie vorgekommen, dass ein Baby bei seinen leiblichen Eltern die ersten 18 Jahre seines Lebens verbracht hat."
„Komm rein, Liebes", schluchzte sie und funkelte den Wolfsjungen wütend an. Er blieb draußen und murmelte etwas vor sich hin, was ich aber leider nicht verstand, weil es zu leise war. Ich folgte meiner angeblichen Mutter ins Haus und schloss die Tür hinter mir. Ich warf meine Jacke sowie meine Schuhe auf den Boden und begab mich zu ihr ins Wohnzimmer, wo sie sich bereits auf dem Sofa niedergelassen hatte und ununterbrochen schluchzte. „Was ist los?", wiederholte ich meine Frage, weil ich eben noch keine Antwort darauf bekommen hatte. Sie klopfte auf den Platz auf dem Sofa, der frei war. Sie wollte, dass ich mich neben sie setzte, doch ich wollte nicht. Ich konnte nicht. „Mila, ich wollte es dir schon so lange sagen, doch ich wusste nicht wie", sagte sie verzweifelt und atmete einmal tief durch. „Ich bin nicht deine Mutter", brachte sie dann endlich heraus und fing bitterlich an zu weinen. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. In mir brach eine Welt zusammen. Mir wurde zwar schon vorher erzählt, dass sie angeblich nicht meine echte Mutter ist, aber jetzt, wo ich es von ihr gehört hatte, wusste ich, es war die Wahrheit. Ich glaubte ihr, obwohl sie mich die letzten 16 Jahre angelogen hatte. Meine Mutter war immer meine beste Freundin gewesen, weil mich in der Schule kein Mädchen leiden konnte. Sie war immer für mich da gewesen und mit ihr konnte ich wirklich über alles reden. Ich unterdrückte meine Tränen. Es war so schwer, sie zurück zu halten. „Warum hast du es mir nicht schon früher gesagt? Du hättest es mir so sagen können, so, wie jetzt", schluchzte ich leicht. Sie hob ihren Kopf und sah mich traurig an. „Ich konnte nicht. Ich hatte solche Angst, dass du mich dann hasst. Ich hatte Angst, dass ich dich verliere", weinte sie. „Kannst du dir eigentlich vorstellen, wie ich mich gerade fühle?", rief ich leicht weinerlich. Ich konnte meine Tränen nicht mehr lange zurück halten, dass wusste ich. Sie antwortete nicht auf meine Frage, sondern guckte mich nur die ganze Zeit an. „Ich will dich nicht verlieren", flüsterte sie kaum hörbar. „Ich glaube, dass hast du schon", weinte ich jetzt und rannte aus dem Haus. „Mila, warte!", schrie meine Mutter und wollte mir hinter her rennen, doch ich verließ das Haus, bevor sie mich einholen konnte.
Ich konnte nicht eine Nacht schlafen, ohne ständig daran denken zu müssen. An diesen einen Moment, der mein Leben so drastisch veränderte.
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Emerald wolve
Hombres LoboWährend eines starken Sturmes wurde die 16 Jährige Mila Kingston fast von einem Baum erschlagen. Dank einer unbekannten Person wurde sie gerettet. Wer diese Person war und welch ein Schicksal Mila bevorstand, erfuhr sie noch früh genug.