Kapitel 41

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Dans Herz klopfte so laut, dass er Angst hatte, dass Jack es hören kann. Bis jetzt lief es nie gut, ihn mit so etwas zu konfrontieren. Aber was sollte Jack schon tun? Dan schlagen konnte er aus seinem Rollstuhl heraus schlecht. Bei genauerer Betrachtung war Jack in physischer Hinsicht recht wehrlos.

Dan enttäuschte sich selbst damit, dass er zu solchen Gedanken fähig war. Er wertete ihn aufgrund einer körperlichen Behinderung ab, für die er wahrscheinlich nicht mal etwas konnte.

Er wusste, wie unfair seine Gedanken waren, aber konnte nicht anders als den Jack aus Schulzeiten mit dem Jack im Rollstuhl zu vergleichen. Er wollte wissen, ob er sich in der Zeit verändert hatte. Ob er sich durch den Rollstuhl verändert hatte. 

Zu gerne hätte er noch einmal gefragt, was passiert war, wie lange das schon so war und ob es gar keine Chance mehr für ihn gab, je wieder laufen zu können. Aber ihm war klar, dass Jack nicht antworten würde. Das hatte er ihm bereits deutlich zu verstehen gegeben. 

Irgendwie typisch. Jack war nie ehrlich zu ihm. Dan konnte nie hinter die Fassade schauen. Selbst wenn er eine Vermutung hatte, bestätigte Jack diese nie. Er lies ihn immer im Unklaren, immer am Rätseln.

Sein Blick wandte sich von den Sternen ab und Jack zu. Während Dan nachdenklich aussah, hätte Jack nicht unbehaglicher dreinschauen können. Die Frage hatte ihn direkt erwischt, das wusste Dan. Ihm wäre es nicht anders gegangen, hätte Jack ihn zuerst gefragt, warum er hier war.

Die Frage stand den ganzen Abend unvermeidlich zwischen ihnen, doch damit, dass Dan sie wirklich stellen würde, hatte Jack nicht gerechnet. Seine Finger begannen zu glühen und erschrocken warft er seine Kippe weg, die bis auf den Filter abgebrannt war. Fluchend beugte er sich nach unten, um sie aufzuheben und in den Aschenbecher zu werfen. Dan hatte ihn komplett aus dem Konzept gebracht.

Immer noch abwartend schaute Dan ihn an und Jack wusste, dass er nicht drumherum kommen würde. Diesmal sah er keinen Ausweg, keine Möglichkeit, das Thema zu umgehen oder gar zu verschwinden. Aber er fühlte sich auch nicht imstande, seine Gedanken zu ordnen, geschweige denn, sie in vernünftige Worte zu packen und aus seinem Mund zu pressen.

"Ich denke nicht, dass ich darüber reden kann", brachte er schließlich nach mehreren erfolglosen Versuchen heraus. Das war die einzige Wahrheit, die er Dan geben konnte. Dass er nach wie vor zu feige war, um ihm die Wahrheit zu sagen. 

Wäre es nicht viel zu dramatisch, hätte Jack gesagt, dass er Dans Herz bei dieser Aussage brechen hörte. Aber das war Schwachsinn. Wieso sollte Jack ihm noch was bedeuten? Dan hatte sicher keine Gefühle mehr für ihn. Es wäre zu selbstverliebt von Jack das anzunehmen, vor allem in seinem jetzigen Zustand. Er wusste, dass ihn sein ganzes Leben lang niemand mehr lieben könnte.

Mit wütend zusammen gekniffenen Augen fragte Dan: "Worüber kannst du denn reden?" Jack blieb still. Es gab nichts, das er bereit war, mit Dan zu teilen. Es gab kein Stück seines Lebens, dass er ihm gerne gezeigt hätte. Denn da war nichts.

"Dachte ich mir." Dans Stimme klang kalt. "Wie kommst du nach Hause?", brach er das Gespräch ab. Jack wusste, dass das einem Rauswurf gleichkam. Er hatte es verbockt. Er hatte so lange über alles nachgedacht, doch seine Erkenntnisse aussprechen konnte er nicht. So weit war er nicht und er bezweifelte, dass er es jemals sein würde.

"Ich rufe mir ein Taxi", antwortete er, ohne Dan anzusehen. In Wirklichkeit hieß das: 'Ich gehe'. Es war ein Schuldeingeständnis. Er hatte versagt. Wieder einmal hatte er Dan enttäuscht. Er konnte ihm nicht das geben, was Dan wollte und er konnte ihm auch nicht das geben, was er ihm gerne gegeben hätte.

"Wo wohnst du?", wollte Dan mit monotoner – fast gelangweilter - Stimme wissen. Was das bedeuten sollte, wusste Jack nicht. Die offene Stimmung von vorhin, war komplett verschwunden und hatte sich zu einer hässlichen, stillen Atmosphäre gewandelt.

Jack fühlte sich viel weiter von Dan entfernt als in den letzten Jahren. Er würde so gerne wissen, was dieser dachte. "Nur ein bisschen über eine Stunde entfernt", antwortete er wahrheitsgemäß. Hierher war er mit dem Zug gekommen, doch die Aussicht in einem bequemen Taxi zu sitzen und für eine Weile seinen Gedanken nachzuhängen, während er sein Spiegelbild im Autofenster traurig anblicken konnte, klang ganz gut für ihn. So machte es doch erst richtig Spaß, sich selbst zu bemitleiden.

Nach kurzer Stille, in der Dan überlegte, entschied er: "Ich fahre dich."

So schnell wie er das entschieden hatte, hatte er auch schon nach den Griffen von Jacks Rollstuhl gegriffen und ihn zurück in das Hotelzimmer geschoben. Während Dan die Balkontür schloss, drehte Jack sich zu ihm um. "Nein. Ich kann mich um mich selbst kümmern", widersprach er.

Seinem Gegenüber war seine Meinung momentan jedoch sichtlich egal, denn er ging um ihn herum und schnappte sich erneut die Griffe des Rollstuhls. Ihn vor sich herschiebend, setzte er sich in Bewegung. Auch wenn Jack sich verbal mächtig wehret, ignorierte Dan es. Er war momentan so sauer, aber er konnte Jack auch noch nicht gehen lassen. Vielleicht war die extra Stunde Autofahrt genau die Zeit, die Jack brauchte, um ihm eine Antwort zu geben.

"Dan, ich schreie", warnte Jack ihn vor der Lobby, um sich vielleicht auf diesem Wege aus seiner misslichen Lage zu befreien. Doch hinter sich vernahm er nur ein belustigtes Lachen. "Das würde ich zu gerne hören", neckte ihn Dan, doch es klang nicht, als würde das Lächeln, das man beim Sprechen heraushörte, seine Augen erreichen. Und wie er erwartet hatte, ließ Jack sich stumm aus dem Hotel schieben.

Das eigentliche Problem trat erst auf dem Parkplatz auf. Bis jetzt hatte Dan noch nicht daran gedacht, aber - wie bekam er Jack in sein Auto?

Mehr als ein Kuss ~ boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt