Kapitel 43

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Lange Zeit blieb es still, nachdem sie losgefahren waren. Nur die Stimme des Navis ertönte ab und an und unterbrach die Musik, die Dan extra lauter gedreht hatte, in dem Versuch, die Stille zu übertönen, die zwischen ihnen herrschte. Erfolglos.

"Weiß eigentlich mittlerweile jemand von 'uns'? Nick zum Beispiel", probierte Dan das Gespräch in die Richtung zu lenken, in die er wollte.

"Spinnst du?", entfuhr Jack augenblicklich. Schockiert starrte er Dan ob dieser Vermutung an. Zudem drehte er die Lautstärke der Musik runter, in der Hoffnung, dass er ihn deshalb schlecht verstanden hatte.

"Wow, du hast dich ja echt weiterentwickelt", kommentierte Dan angepisst. Nach wie vor war er ein Geheimnis. Obwohl - eigentlich war er gar nichts mehr für Jack. Er wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte.

"Das hat nichts mit fehlender Entwicklung zu tun, es geht einfach niemanden etwas an", gab Jack seine Meinung kund und fühlte sich dabei wie eine kaputte Schallplatte. Wie oft hatte er versucht, Dan das klarzumachen. "Mh." Sauer umgriff Dan das Lenkrad fester.

"Hast du jemandem was gesagt?", stellte Jack dieselbe Frage, auch wenn er die Antwort schon kannte. Dan würde ihn nicht verraten.

"Nicht wirklich", murmelte Dan, während er einen Lkw vor ihnen überholte.

"Was soll das heißen?" Jack klang unsicher und auf eine sadistische Art genoss Dan es, dass er ihn so aus der Fassung bringen konnte.

"Es heißt einfach nur 'nicht wirklich'. Das ist weder ein 'Ja' noch ein 'Nein'", zögerte Dan eine richtige Antwort hinaus. Er wollte Jack noch etwas zappeln lassen.

"Wem?", forderte Jack zu wissen, der seine Aussage wohl als ein 'Ja' verstanden hatte.

"Geht dich nichts an", blockte Dan ab. Oliver kam ihm plötzlich wie ein ganz heikles Thema vor. "Ich denke schon", beharrte Jack, den es brennend interessierte, wer Mitwisser in Bezug auf ihre gemeinsame Vergangenheit war.

"Und genau das denke ich eben nicht", sagte Dan harsch und hoffte, das Thema somit abzuhaken. "Ich habe ein Recht darauf zu erfahren, wem du sowas über mich erzählst", blieb Jack standhaft. Er wollte nur sichergehen, dass es niemand war, den er auch kannte. Dass niemand davon erfahren würde.

Bitter lachte Dan auf. "Ach ja? Welches Recht denn bitte?" Wäre sein Blick nicht aufmerksam auf die Straße gerichtet, hätte Jack das wütende Funkeln darin sehen können. Verzweifelt suchte er nach Antworten, doch er wusste, dass es ihn im Grunde nichts anging. So wie Dans komplettes Leben. Doch trotzdem war er hier.

"Du hast Recht. Ich würde es trotzdem gerne wissen. Es ist aber nicht Nick, oder?" Gegen Ende überschlug sich seine Stimme leicht. Dan verabscheute ihn in diesem Moment. Er hatte sich so viel von diesem Wiedersehen erhofft und wurde so bitter enttäuscht.

"Nein, es ist nicht Nick. Du kennst ihn nicht", ließ Dan sich genervt zu einer Antwort herab. Er würde ja eh nicht darum herumkommen. Und wenigstens er wollte ehrlich sein, wenn Jack es schon nicht war.

"Ihn also?", griff Jack sofort auf. Seine Stimme klang seltsam ruhig, im Gegensatz zu vorher. Er klang resigniert, aber vielleicht war es auch nur das, was Dan heraushören wollte. Wahrscheinlich war das nur der Anfang einer Reihe von Beleidigungen, die Jack ihm gleich aufgrund seiner Sexualität an den Kopf werfen würde.

Daher wollte er ihm nicht von Oliver erzählen und ihm somit mehr Munition in die Hand geben. Gleichzeitig wollte er Jack nicht von Oliver erzählen aus Angst ihn damit verschrecken. Dieser Gedanke so falsch. Er sollte Oliver nicht verleugnen. Das hatte er nicht verdient.

"Wie lange schon?", fragte Jack weiter als keine Antwort kam. Seinen Blick hatte er dabei aus dem Fenster gerichtet, in dessen Spiegelung er Dan sehen konnte.

"3 Jahre", antwortete Dan knapp. Es fühlte sich falsch an, mit Jack über seine Beziehung zu reden. Es war wie zwei verschiedene Welten, die aufeinander krachten. Jede wollte die sein, die den Aufprall überstand. Und Dan stand mittendrin und wusste nicht, auf welche er setzen sollte.

"Müssen ja drei super Jahre gewesen sein, wenn du ihn geheim hälst", sagte Jack ironisch. Er hoffte, etwas Schlechtes zu finden. Ein Zeichen, dass er doch noch eine Bedeutung hatte. Doch Dans Leben war ohne ihn weitergegangen - wie er es vorhergesagt hatte.

"Sagt der Richtige", presste Dan wütend über diese Unterstellung heraus. Es war so klar, dass Jack seine Beziehung schlecht machen würde. Er hatte einen Hang dazu alle guten Sachen in Dans Leben zu zerstören.

Jack war hin und hergerissen, ob er mehr über Dans Beziehung erfahren wollte oder nicht. Noch vor wenigen Stunden hatte er die Hoffnung, zu sehen, dass Dan ein glückliches Leben führt und jetzt wollte er die Augen davor verschließen. Doch das wäre feige.

"Ist er gut zu dir?"

Dan war überrascht über diese Frage, die er niemals von Jack erwartet hätte. Er konnte nicht glauben, dass er sich die Chance entgehen ließ, etwas Fieses zu sagen und ihn zu erniedrigen.

Dans Gedanken schweiften bei dieser Frage zu seinem Freund. Er sah ihn vor seinem geistigen Auge auf ihrem Sofa sitzen, wo er es sich nach der Arbeit oft mit Dan in den Armen bequem machte. Er sah ihn Essen kochen, Massagen anbieten und ihm beim Lernen helfen. Er sah ihn, wie er Dan seiner Familie und seinen Freunden vorstellte, wie er ihm vorschlug, bei ihm einzuziehen. "Zu gut", antwortete er wahrheitsgemäß.

"Und warum bist du dann hier?" Dans Herz wurde schwer bei dieser Frage, die er sich selbst zu oft gestellt hatte.

"Vielleicht weil ich nicht gut zu ihm bin. Oder vielleicht auch, weil ich einfach ein Arsch bin. Such dir was aus." Er war sauer auf sich selbst. Darauf, wie schwach er war und am meisten war er sauer auf seine Gefühle für Jack.

"Ich denke nicht, dass das der Grund ist", sagte Jack, doch nicht um zu widersprechen. Er kannte Dans Selbsthass und wusste nach wie vor nicht, wie er damit umzugehen hatte. Zumal er wahrscheinlich ganz schön dazu beigetragen hatte, dass Dan sich so fühlte.

Danach blieb es still, bis sie vor dem Gebäudekomplex hielten, in dem sich Jacks Wohnung befand. "Danke fürs Heimfahren", sagte Jack, nachdem der Motor verstummte.

"Passt schon", tat Dan es ab, während er ausstieg, um den Rollstuhl aus dem Kofferraum zu holen. Jacks Wunsch von vorhin nachkommend, drehte er sich um und wartete auf das 'ok' von Jack wieder zu schauen.

"Brauchst du noch Hilfe?", fragte er unbehaglich und schob seine Hände in die Hosentaschen. Der bevorstehende Abschied machte ihn nervös. Es fühlte sich nicht richtig an.

"Nein, ich komme alleine klar."

"Gut." Verlegen schauten sich beide an.

"Na dann", setzte Dan an und wippte unruhig mit einem Fuß auf dem Asphalt.

"Machs gut", verabschiedete Jack sich und nickte ihm nochmal zu. Dann drehte er sich um und fuhr über das kurze Stück Gehweg.

Dan schaute ihm nach, wie er auf sein Haus zufuhr. Wie er damit von ihm wegfuhr. Kurz bevor Jack die Tür aufschloss, drehte er sich noch einmal um.

"Egal was du denkst: Zu dir kann man nicht 'zu gut' sein. Du verdienst das Beste der Welt."

Danach schloss er die Haustür auf und verschwand im hell erleuchteten Flur.

Mehr als ein Kuss ~ boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt