Am nächsten Tag wachte Dan erst nach 12 Uhr auf. Oliver hatte ihn nicht geweckt, damit sie wie sonst auch zusammen frühstücken konnten, bevor er auf Arbeit ging.
Wenn das keine Aussage war.
Während er sein Handy entsperrte, ging er in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen. Ihm stand heute definitiv nicht der Sinn danach, den ganzen Tag im Bett zu verbringen. Er wollte sich ablenken.
Und er würde auch gerne eine Lösung für sein Beziehungsproblem finden. Alles wäre viel einfacher, wenn er aufhören könnte, so sauer auf Oliver zu sein. Gestern Abend, bevor er auf dem Sofa einschlief, kam ihm der Gedanke, dass Olivers Aussage ihn nur so tief treffen konnte, weil er nichts getan hatte, aber daran dachte.
Seine Gedanken kreisten ständig um Jack. Ihr Treffen hatte ihn so aufgewühlt, dass er nicht wusste, wie er wieder von diesem High, dass er unweigerlich mit Jack spürte, herunterkommen sollte. Er wusste, dass es falsch war.
Oliver hatte mit jeder seiner Anschuldigung auf eine gewisse Weise recht, denn Dan hätte nichts dagegen, wenn etwas in diese Richtung passiert wäre.
Er verabscheute sich.
Vielleicht war es gestern nur so eskaliert, weil es leichter war, auf Oliver sauer zu sein, als auf sich selbst.
Wie konnte er ihm nur wieder unter die Augen treten, wenn er wusste, dass er die ganze Zeit an einen anderen dachte? In seinen Gedanken betrog er Oliver längst.
Denn ganz anders als Jack ihm am Morgen nach dem Abiball prophezeite, konnte er ihn nicht vergessen. Zu oft war Jack der letzte an den Dan dachte, bevor er einschlief. Er hätte sich gar nicht auf die Beziehung mit Oliver einlassen dürfen, bei den Gefühlen, die er noch immer für Jack hegte.
Aber er dachte, er hätte keine Chance mehr bei Jack. Er dachte, dass es zwischen ihnen für immer aus war und er ihn nie wieder sehen würde.
Er hatte ihn nach dem Abiball weiß Gott oft versucht zu erreichen, doch Jack reagierte kein einziges Mal. Er wusste nicht, wo er wohnte, also konnte er nicht bei ihm zuhause auftauchen und als er sich in seiner Verzweiflung dazu durchrang, Nick nach ihm zu fragen, erfuhr er, dass Jack den Sommer allein durch Europa reiste.
Niemand wusste, wo er genau war und wann er zurückkommen würde. Dan hatte sogar das Mädchen aus der Pizzeria gefragt, mit dem Jack anscheinend mal zusammen war, aber sie wusste noch weniger als Nick.
So endgültig hatte Jack ihn noch nie verlassen und Dans Herz brach jetzt noch, wenn er daran dachte.
Als dann der Herbst kam, ging er zur Uni, in dem Wissen, dass er Jack verloren hatte. Dass alles, was er noch hatte, seine Liebe zu ihm war, die ihn aber nie irgendwo hinführen würde. Also gab er sich alle Mühe es zu akzeptieren.
Er versuchte sich so gut wie möglich auf die Uni zu konzentrieren. Er ließ sich von seinen MitbewohnerInnen auf Partys mitnehmen und lernte schließlich Oliver kennen.
Obwohl er Beziehungen abgeschworen hatte, schlich sich Oliver nach und nach mehr in sein Herz. Es gab für ihn keine Hoffnung auf ein glückliches Leben mit Jack, aber ihm wurde klar, dass ihm das nicht sein restliches Leben versauen durfte.
Aber jetzt fragte er sich, ob er nicht länger auf Jack hätte warten sollen. Was waren denn schon vier Jahre? War ihm ihre Liebe nicht mehr wert gewesen? Hatte Jack mit seinen Vorwürfen in der Nacht des Abiballs Recht behalten?
Das Aufleuchten einer Nachricht auf Dans Handybildschirm riss ihn aus seinen Gedanken. Es war Oliver.
Oli: Es tut mir leid, wie das gestern gelaufen ist. Wenn du bereit bist, vernünftig mit mir darüber zu reden, würde ich das gerne tun. Falls du das momentan nicht kannst, sprich das Thema bitte nicht mehr an.
Das war eine klare Ansage. Die Situation fühlte sich immer verfahrener an, je länger sie nicht richtig darüber sprachen. Es wäre ganz anders gelaufen, wäre er länger bei seiner Mutter geblieben und hätte nochmal eine Gelegenheit gefunden, mit Jack zu reden.
Es machte ihn verrückt, dass er immer noch nicht wusste, wieso er ihm das damals angetan hatte. Ohne Oliver würde Dan immer noch glauben, dass man ihn nicht lieben kann.
Dan versuchte sich alles ins Gedächtnis zu rufen, was Jack ihm angetan hatte.
Er hatte ihn ständig in der Angst leben lassen, ihn unfreiwillig vor allen zu outen, was zu einem Rückfall in seine alten Muster hinsichtlich Panikattacken und Schlafstörungen führte.
Er hatte mit Dans Gefühlen gespielt, wie es ihm gerade passte.
Er beleidigte ihn konstant und wertete ihn ständig ab. Er machte Dan für seine Sexualität fertig, obwohl er selbst nicht heterosexuell sein konnte. Er verleugnete Dan bei jeder Gelegenheit.
Egal was Dan für ihn tat, er sah es als selbstverständlich an und war nicht einmal dankbar. Vielmehr verhielt er sich, als würde er Dan einen Gefallen tun, indem er ihn etwas für ihn machen ließ.
Jedes Mal, wenn Jack ihn emotional gebrochen hatte, kam er einige Zeit danach wieder zu ihm, sagte etwas Nettes, machte ihm so Hoffnung, um ihn dann wieder fallen zu lassen.
Obwohl er wusste, dass Dan ihn liebte, ließ er ihn nie an sich heran und ließ ihn emotional am ausgestreckten Arm verhungern.
Er erpresste ihn, das zu tun, was er wollte oder er würde ihn outen oder verlassen.
Dans Angst, von ihm verlassen zu werden, steigerte sich so ins Unermessliche, dass er sich nicht mal traute, etwas an Jack zu kritisieren. Er war einfach dankbar für jede Minute, die er mit ihm verbringen konnte.
Jack zeigte keinerlei Interesse an Dan als Person. Er unterbrach ihn jedes Mal, wenn er ein normales Gespräch mit ihm führen wollte.
Er hatte ihn zwei Mal verlassen, ihn mehr als einmal geschlagen, fast bewusstlos gewürgt und des Öfteren körperlich angegriffen.
Und Dan hatte Jack sogar noch erlaubt, seinen Frust sexuell an ihm auszulassen.
Und trotzdem kam er nicht von ihm los. Er war abhängig. Er hätte Jack alles durchgehen lassen, solange er nur bei ihm bleiben würde.
Dan wusste, wie falsch das war, doch es war ihm egal. Die wenigen schönen Momente, die er mit Jack hatte, machten all das für ihn wett.
Vielleicht war er einfach zu kaputt, um zu erkennen, wie viel besser er es mit Oliver hatte.
Er wollte nicht wieder in seinen alten Verhaltensmustern enden, aber sie hatten ihn bereits nach dem kurzen Treffen mit Jack so gefangen, dass er sich nicht allein daraus befreien konnte. Ihm war klar, dass Oliver alles tun würde, um ihm da rauszuhelfen, wenn er ihn nur bittet, doch er war zu schwach, um das wirklich zu wollen.
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Mehr als ein Kuss ~ boyxboy
RomanceSpin Off/ Fortsetzung zu Nur ein Kuss "Das Ganze", Jack deutete vage auf den Raum, "ist einfach zu-" Er fand nicht mal das richtige Wort, um es zu beschreiben und ließ den Satz deshalb unbeendet. "Ich weiß", stimmte Dan ihm zu und schaute danach aus...