Kapitel 44

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Du verdienst das Beste der Welt.

Dan war hin und hergerissen. Hatte er sich verhört? Und wenn nicht, machte Jack sicher nur seine Späße. Aber was, wenn nicht?

Er wusste nicht, was er glauben sollte. Wie konnte Jack so etwas zu ihm sagen und dann verschwinden? Und Dan war auch noch so feige, dass er ihm nicht nachging, sondern in sein Auto stieg und davonfuhr.

Jetzt lag sein müder Körper in dem bequemen Hotelbett, aber sein rastloser Geist hinderte ihn am Schlafen. Diese Aussage musste doch etwas zu bedeuten haben. Genauso wie ihr Wiedersehen. Das konnte kein Zufall sein.

Dan hatte Jack den ganzen Abend über nicht einmal im Saal erblickt, aber sobald die meisten gegangen waren, tauchte er auf. Es machte den Eindruck als hätte er speziell auf Dan gewartet. Die Vermutung, dass er vielleicht nur wegen ihm gekommen war, schlich sich in seine Gedanken und verseuchte sie mit Hoffnung.

Dan hasste sich dafür, dass er wollte, dass Jack nur wegen ihm da war, dass er den Satz ernst gemeint hatte. Er wollte, dass er ihn endlich liebt, dass sie endlich ihre Chance bekämen, dass er seine Liebe zu ihm endlich leben könnte.

Wie ein Messerstich bohrte sich der Gedanke an Oliver in sein Herz. Was er tat, war ihm gegenüber nicht fair. Er liebte ihn schließlich, wenn auch auf eine andere Art als Jack. Oliver tat ihm gut, machte ihn glücklich und gab ihm Sicherheit. Sie hatten ein schönes Leben zusammen.

Und er war drauf und dran das für einen Typen wegzuschmeißen, der ihn auch schon vor vier Jahren nicht geliebt hatte. Der ihn immer wieder wie scheiße behandelt und ihm schlussendlich das Herz in so viele Teile gebrochen hatte, dass es nie wieder richtig schlagen konnte.

Zu gerne hätte er ihm das an den Kopf geworden, wie so viele andere Sachen auch. Er hätte ihm vorwerfen sollen, dass er seinen Namen sehr wohl noch weiß, obwohl mehr als zwei Jahre vergangen waren. Er hätte ihm beweisen sollen, dass seine Gefühle damals echt waren. Dass seine Liebe so groß war, dass sie für sie beide gereicht hätte. Dass es nichts gebracht hatte, ihn zu verlassen.

Er hätte ihn anschreien wollen, dass es eben doch möglich war, ihn zu lieben. Immerhin tat es Oliver schon seit drei Jahren. Er wollte ihm sagen, wie er wegen ihm gelitten hat und den ganzen Schmerz rauslassen, doch er hatte Angst, dass damit auch alle anderen Gefühle wieder auftauchen würden, und das wollte er vermeiden.

Er hatte Oliver und alles war gut. Aber ein Teil fehlte ihm in seinem Leben, der es perfekt machen würde.

Wie kann es nur sein, dass Zeit keinen Unterschied macht?

Dass sich für ihn so wenig geändert hat, obwohl sein Leben weitergegangen ist. Nach wie vor dachte er an Jack. Und jetzt - vor allem nach diesem Satz, der wieder Hoffnung in ihm geweckt hatte - konnte er nicht einfach wieder in sein geregeltes Leben verschwinden.

Er brauchte den Nervenkitzel, die Nervosität, in gewisser Weise die Angst vor dem Ungewissen. Zudem war er sich bewusst, dass er für Oliver Klarheit brauchte. Dafür war er hergekommen und vorher konnte er nicht wieder gehen.

Vor vier Jahren war Dan in der entscheidenden Situation, in der er wusste, dass es endet, wenn er nichts dagegen tut.

Jetzt hingegen keimte ein kleiner Funke Hoffnung in ihm auf, dass es vielleicht niemals ein Ende, sondern vielmehr eine Pause war. Und nun wollte er mehr als alles andere auf 'Play' drücken. Er wollte nicht mehr pausieren. Es war, als hätte er die letzten Jahre auf der Ersatzbank gesessen. Aber jetzt war er zurück.

Er hoffte nur Oliver würde das verstehen. Er würde ein letztes Mal mit dem Feuer spielen und es entweder löschen oder dabei in Flammen aufgehen.

Mit dieser Entschlossenheit fiel er in einen kurzen Schlaf, bis sein Wecker klingelte. Es fühlte sich an, als wären nur fünf Minuten vergangen. Hätte er nicht das Zimmer räumen müssen, wäre er niemals aufgestanden. Er war völlig übermüdet.

Nach einer Dusche, die ihn immerhin so weit aufweckte, dass er funktionsfähig war, checkte er aus und ging zu seinem Auto. Jedoch nicht mit dem geplanten Ziel.

Das Vibrieren seines Handys signalisierte ihm einen Anruf von seinem Freund. Er kam ihm zuvor.

"Guten Morgen", begrüßte Dan ihn. Trotz allem freute er sich seine Stimme zu hören. "Guten Morgen", gab Oliver zurück. Dan verstand ihn kaum, so leise klang er.

"Warte mal kurz", wies Dan ihn an. Dann verstaute er rasch seine Tasche im Kofferraum und setzte sich auf den Fahrersitz, um wenigstens etwas Ruhe bei dem Gespräch zu haben. "Du klingst total leise", stellte Dan dann fest. "Oh." Auf der anderen Seite der Leitung war ein Rascheln zu hören. Danach klang Olivers Stimme lauter.

"Bist du schon auf dem Heimweg?", fragte Oliver. Es war zwar nur eine Nacht, aber Dan fehlte ihm. Und ihm war nicht wohl dabei ihn bei diesem anderen Kerl zu wissen. Um ehrlich zu sein war er rasend eifersüchtig.

"Darüber wollte ich mit dir reden", begann Dan unsicher, wie er die Sache erklären sollte. Er hoffte, dass Oliver es ihm leichter machen würde, doch er schwieg.

"Ich fahre noch zu meiner Mutter. Ich habe sie schon lange nicht gesehen und jetzt bin ich einmal in der Nähe. Wenn ich das verbinde, muss ich nicht zweimal fahren." Angespannt wartete er auf eine Antwort.

"Und das hat nichts mit ihm zu tun?" Oliver klang kalt. Er war überzeugt, dass Dan log, und das verunsicherte ihn. Dass seine Mutter in der Nähe wohnt, hätte er auch vorher bedenken können. Doch seltsamerweise kam ihm die Idee mit dem Besuch erst nach gestern Abend.

Dan atmete laut aus. Er konnte Oliver diese Situation nicht leichter machen. Er wüsste auch gar nicht wie. "Wir können darüber reden, wenn ich wieder zuhause bin, oder ich erzähle dir jetzt alles", überlies Dan seinem Freund die Entscheidung.

Da Oliver wusste, dass er sich nur weiter verrückt machen würde, sagte er bestimmt: "Jetzt."

„Ok", stimmte Dan der Entscheidung zu und schloss gleich ein langgezogenes Gähnen an. "Hattest wohl eine lange Nach, was?", fragte Oliver und konnte nicht verhindern, dass er zickig klang.

"Ja, ich bin erst vor wenigen Stunden ins Bett und dann konnte ich nicht schlafen", antwortete Dan ehrlich, dem der Tonfall seines Freundes nicht aufgefallen war.

Mehr als ein: "Mhm" kam Oliver nicht über die Lippen, der schon Bilder einer heißen Nacht zwischen Dan und diesem Typen vor seinem inneren Auge aufblitzen sah.

"Jedenfalls saß ich noch bis Mitternacht an der Bar und als die meisten weg waren kam er. Wir haben geredet. Erst an der Bar, dann in meinem Zimmer", begann Dan den gestrigen Abend zu schildern.

Olivers Herz zog sich bei den Worten 'in meinem Zimmer' zusammen. Das musste doch heißen –

"Wir kamen dann auf früher zu sprechen, aber er hat dicht gemacht, also habe ich ihn heimgefahren und das wars."

Er hörte Oliver erleichtert ausatmen. "Es ist nichts passiert, Schatz", bestätigte er noch einmal.

"Ok", kam mit zittriger Stimme von Oliver. Eine Sache ließ ihn jedoch trotzdem nicht los. "Hat es wirklich nichts mit ihm zu tun, dass du nicht nachhause kommst?"

Ertappt biss Dan sich auf die Unterlippe. Er wollte nicht anfangen, ihn zu belügen, aber ihn verunsichern wollte er auch nicht. "Ich will Antworten", gab er schließlich zu.

Enttäuscht schloss Oliver die Augen und versuchte, seine Gefühle in den Griff zu bekommen. Warum konnte Dan diesen Typen nicht einfach vergessen und nur mit ihm glücklich sein?

"Oli?", fragte Dan in die Stille. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es für ihn war. "Ich fahre jetzt zu meiner Mutter und bleibe da auch den ganzen Tag. Wenn du willst, können wir heute Abend videotelefonieren."

"Gerne", stimmte Oliver diesem Vorschlag zu. Er wusste, dass das das Beste war, was er heute bekommen könnte. Und so hielt er Dan definitiv für einen Tag von diesem Typ fern. "Brauchst du noch was?", erkundigte sich Dan und gähnte erneut.

"Nein. Aber du solltest nicht Auto fahren, wenn du so müde bist", stellte Oliver besorgt fest. "Ich weiß, aber bevor ich nicht viele Stunden geschlafen habe, wird das auch nicht besser", erklärt Dan die Situation.

"Fahr vorsichtig und schreib mir, wenn du da bist", bat Oliver seinen Freund. "Mach ich. Ich liebe dich."

"Ich dich auch," gab Oliver zurück und damit legten sie auf.

Mit einem mulmigen Gefühl im Magen startete Dan den Motor und macht sich auf den Weg zu seiner Mutter.

Mehr als ein Kuss ~ boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt