Kapitel 19 - Adam

8.7K 380 44
                                    


An Cleveland habe ich nur gute Erinnerungen. Bisher habe ich hier noch nie ein Match verloren und es ist meist eine meiner entspanntesten Stationen während der Summer-Season gewesen.

Doch dieses Jahr verfolgt mich das nervöse Gefühl im Magen sogar bis hierher. Ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass diese Saison allgemein anders ist, oder daran, dass mein Dad zum ersten Mal mit nach Cleveland gefahren ist.

Er hat mich noch nie zu jedem Match begleitet, geschweige denn ist er das gesamte Wochenende geblieben und hat auch meine Vorbereitung überwacht. Zum Saisonauftakt, den entscheidenden Matches und den Spielen in Städten, in denen er ohnehin Geschäfte zu erledigen hat, ist er meist in meiner Box auf der Tribüne zu finden. Aber, dass er einmal ein gesamtes Wochenende bei mir im Hotel verbracht hat, ich glaube, das ist noch nicht einmal in meiner Jugend vorgekommen.

Keine Ahnung, warum er es dieses Jahr macht. Wahrscheinlich beunruhigt ihn meine schlechte Vorbereitung oder ich habe in dem ganzen Trubel aus Uni-Kursen und Training einen wichtigen Sponsoren-Termin verpasst.

Doch egal, was es ist, die Anspannung, die gerade am Frühstückstisch des noblen Hotels herrscht, ist erdrückend. Normalerweise sind es nur Pike und ich. Mit ihm verstehe ich mich unglaublich gut, wir witzeln herum und sprechen über alles Mögliche, nur nicht Tennis.

Mein Trainer hat zum Glück ziemlich schnell verstanden, dass es mich eher aus der Bahn wirft, wenn wir schon den Morgen mit Analysen und Taktik-Gesprächen beginnen. Bei meinem Dad ist das leider seit über zwanzig Jahren noch nicht angekommen.

Er hat Pikes Notizen zu Tommy Querrey, meinem morgigen Gegner, auf dem Tisch verteilt und studiert sie lautstark. Tommy kenne ich seit meiner Jugend, ich habe schon etliche Matches gegen ihn gespielt und weiß, wie er tickt. Er ist ein ziemlich netter Kerl, aber seine Aufschläge können es, was Präzision und Geschwindigkeit angeht, nicht mit meinen aufnehmen. Seine Rückhand ist zwar besser geworden, stellt aber nach wie vor eine seiner größten Schwächen dar. Daran hat selbst seine vergleichsweise gute Hallen-Saison nichts geändert.

„Wie gut hast du deine Longlines trainiert?", fragt mich da auch schon mein Vater. Manchmal ist es gespenstisch, als könnte er Gedanken lesen.

„Sie sind so solide, wie immer.", murre ich, während ich beginne die Banane auf meinem Teller zu schälen.

Eigentlich ist mir der Appetit schon vergangen, als Dad Pikes Notizen aufgeschlagen hat, aber ich weiß, dass ich etwas essen muss, da ich es mir nicht leisten kann heute energielos zu sein.

Heute steht auf meinem Trainingsplan nur eine kurze Laufrunde, um meine Muskulatur locker zu halten und am Nachmittag werde ich noch für eine Stunde mit Pike auf den Platz gehen, um ein paar Bälle zu schlagen. Nichts sonderlich Anstrengendes, nur, um meinem Kleinhirn die automatisierten Abläufe in Erinnerung zu rufen.

Bei der anatomischen Präzision meiner Gedanken breitet sich trotz des Grummelns meines Vaters ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen aus. Denn ich muss dabei unweigerlich an Brooke denken.

Ich glaube, sie merkt häufig überhaupt nicht, wie oft sie biologische Begriffe in ihre Sätze mit einbaut, mit denen wir anderen überhaupt nichts anfangen können.

„Glaubst du, so solide, wie immer, ist der Anspruch, den du an dich selbst haben solltest?", holt mich mein Vater barsch aus meinen Tagträumen.

Ich würde definitiv lieber über Brooke fantasieren, als mit ihm über mein Tennis zu sprechen.

Seufzend zerdrücke ich die Banane mit der Gabel und etwas zu viel Kraft in der Frühstücksschale und kippe einen Becher Joghurt darauf. Erst dann antworte ich meinem Dad.

At First KissWo Geschichten leben. Entdecke jetzt