Kapitel 10 - Adam

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Nach dem Tag im Schwimmbad, an dem ich beim Training blau gemacht habe, nimmt mich Pike noch härter ran. Mein Dad hat ihn ordentlich zur Schnecke gemacht, weil ich meine Einheit habe sausen lassen und das unmittelbar, nachdem er auch mich verbal fertig gemacht hat.

Nur im Gegensatz zu Pike, habe ich eine derartige Predigt schon unzählige Male in meinem Leben gehört. Zu Teenagerzeiten habe ich es sogar darauf angelegt, meinen Vater so zur Weißglut zu bringen, dass ihm förmlich der Rauch aus Ohren und Nase kommt. Mittlerweile mache ich das nur noch zu gegebenen Anlässen.

Als ich mich mit einem Glas Wasser in der Hand auf unsere Couch fallen lasse, fällt mein Blick auf die Sportzeitschrift, die Ivy gestern herumgetragen hat. Es ist die April-Ausgabe der Penn State Atheltics. Zum Anlass des baldigen Saisonstarts haben sie zwei Doppelseiten über mich gefüllt. Ich habe mir das Ganze selbst nicht durchgelesen und werde es auch nicht tun, schließlich bin ich bei dem Interview dabei gewesen und weiß, was ich geantwortet habe. Trotzdem bleibt mein Blick auf dem Bild von mir hängen, das fast die halbe Seite in Beschlag nimmt.

Das Foto zeigt mich, wie ich den Pokal im letzten Herbst in die Höhe halte. Eigentlich sollten mich bei dem Anblick Glücksgefühle durchströmen, stattdessen zieht es mir den Magen zusammen.

Ich habe immer gedacht, wenn man einmal einen Titel holt, dann würde man sich endlich bestätigt fühlen und auch ein Stück befreit. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Es baut sich noch so viel mehr Druck auf als vorher. So viele Leute erwarten diese Saison, dass ich im Herbst ein drittes Mal in Folge an der Spitze der Tabelle stehe, dabei glaube ich selbst kaum daran.

Irgendetwas ist dieses Jahr anders. Die Zweifel sind größer, meine Motivation und mein Selbstvertrauen, dafür umso kleiner. Immer häufiger stelle ich mir die Frage, ob es das gewesen ist. Ob so mein Leben aussehen wird.

Ich liebe Tennis, das steht absolut außer Frage. Aber ich hasse den Leistungsdruck und meine eigenen Zweifel, die mich in jeder Vorbereitungsphase und vor jedem Match überkommen.

Beides wird mit jeder Saison, die ich spiele, schlimmer. Der Drang, einfach alles zusammenzupacken und davon zu laufen, an einen Ort, an dem mich keiner kennt, an dem niemand Erwartungen an mich hat, ist fast schon übermächtig.

Immer öfter bekomme ich Zweifel, ob eine Profi-Karriere wirklich das Beste für mich ist, ob sie wirklich ist, was ich mir von meinem Leben erträume.

Ich habe nach wie vor keine Antwort darauf. Denn immer, wenn ich denke, ich schmeiße endgültig das Handtuch, stehe ich wieder mit dem Schläger in der Hand auf dem Court und mein ganzer Körper kribbelt. Dieses Hochgefühl habe ich nur beim Tennis. Es ist sogar besser als Sex.

Vor Wut schnaubend schlage ich die Zeitschrift zu und schiebe sie von mir. Ich weiß, dass die anderen den Artikel gelesen haben, weil sie stolz auf mich sind. Sie wissen zwar, dass mir meine Trainingseinheiten manchmal zu viel werden und dass mich der Druck vor einem wichtigen Match schier fertig macht, aber keinem von ihnen habe ich bisher von meinen Zweifeln erzählt. Nicht einmal Keith und mit ihm teile ich eigentlich alles.

Das Handy in der Tasche meiner Sporthose vibriert, aber ich gehe nicht ran. Es ist ohnehin nur wieder mein Dad, der die Termine für die kommende Woche mit mir absprechen will. Sonntag in einer Woche ist mein erstes Match, ausgerechnet gegen Sanders. Laut den Sportmedien hätte die Auslosung nicht passender für das Eröffnungsspiel sein können.

Ich sehe das anders. Sanders ist einer meiner härtesten Gegner, gleich bei meinem ersten Match der Saison gegen ihn antreten zu müssen, bedeutet für mich noch mehr Druck als bei jedem anderen Spieler. Vor allem, wenn ich daran zurückdenke, wie gut seine Hallensaison diesen Winter gewesen ist.

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