Kapitel 1 - Brooke

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Mein Herz schlägt hart gegen meine Brust, mein Atem geht flacher und mein Magen droht zu rebellieren.

Das ist zu viel, einfach zu viel. Mir brennen Tränen in den Augen, die ich verkrampft versuche fort zu blinzeln.

Ganz sicher werde ich nicht vor all meinen Kommilitonen in Tränen ausbrechen.

„Die wollen uns wirklich fertig machen.", seufzt Ruby und schiebt verzweifelt eine ihrer feuerroten Haarsträhnen hinter das Ohr.

Wenn sie es nicht schon längst geschafft haben.

Denn gerade jetzt kann ich mir nicht vorstellen, wie ich das kommende Semester überleben soll. Unser Stundenplan ist noch vollgestopfter, als in den vergangenen Semestern. Das letzte Wintersemester habe ich gerade so mit den letzten Funken meiner Energie geschafft. Mir hat es schon davor gegraut, einen solch zeitintensiven Wochenplan noch einmal durchzuziehen. Wie ich noch mehr aus mir herausholen soll, ist mir ein Rätsel.

Weil die Übelkeit droht mich zu überwältigen, schließe ich für einen Moment die Augen und atme tief durch.

Durch die Nase ein. Durch den Mund aus.

Ich wiederhole das Ganze mehrere Male, dränge die Stimmen meiner Mitstudenten in den Hintergrund und konzentriere mich nur auf mein pochendes Herz. Langsam wird es besser. Nicht gut, aber wenigstens besser.

Aufgeben ist für mich keine Option, also werde ich es weiter durchziehen. Ich kann mir nicht auch noch im Studium leisten, das Mädchen zu sein, das scheitert.

Langsam öffne ich die Augen wieder und schiebe den Stundenplan in meinen braunen Rucksack. Ich werde ihn mir zuhause noch einmal in Ruhe anschauen und die Kurse und Prüfungen in meinen Planer übertragen. Aber jetzt gerade, kann ich nicht damit umgehen.

Es sind die drei großen mündlichen Testate in Innerer Medizin, die mich dermaßen aus der Fassung gebracht haben. Ich hasse mündliche Prüfungen. Jedes Mal aufs Neue stehe ich kurz vor einem Zusammenbruch, wenn ich zu einem Testat antreten muss. Keine Ahnung, wie ich das überstehen will. Meine größte Angst ist jedes Mal, dass ich die Antwort auf eine Frage nicht weiß, mich die Prüfer klagend anschauen und allen im Raum augenblicklich klar wird, dass ich versagt habe. Das ist mein ultimativer Albtraum. Papier kann ich anschweigen, ich kann meine Gedanken sammeln, eine Minute darüber nachdenken und dann die Antwort aufschreiben. Sie noch einmal überdenken, bevor ich meine Arbeit abgebe.

Bei mündlichen Prüfungen geht das nicht. Man muss innerhalb von wenigen Sekunden funktionieren und diesem Druck halte ich nicht immer stand.

Das Bedürfnis, in meine Wohnung zu flüchten, mir die Decke über den Kopf zu ziehen und mich einfach von meiner Panik hinunterziehen zu lassen, übermannt mich beinahe.

Also atme ich noch einmal tief durch. Aber es hilft kaum.

„Brooke?", dringt plötzlich Rubys Stimme zu mir.

Ich habe überhaupt nicht mitbekommen, um was es gerade ging, meine eigenen Gedanken sind zu laut gewesen.

Obwohl ich mich hier inmitten meiner Freunde und guten Bekannten befinde, steigt mir die heiße Röte in die Wangen, als ich merke, dass sie mich alle anstarren und auf eine Antwort warten.

Ich hasse es, im Mittelpunkt zu stehen.

„Was?", quieke ich viel zu hoch und zu schrill.

Mein Unbehagen sorgt nicht gerade dafür, dass sich die nahende Panikattacke legt.

„Kommst du mit zum Lunch?", scheint Ruby ihre Frage zu wiederholen.

Ich blicke in ihr hageres Gesicht, während ich meine Hände zu Fäusten balle und endlich versuche diese Übelkeit zu verdrängen.

At First KissWo Geschichten leben. Entdecke jetzt