Die Stille der Bibliothek ist ohrenbetäubend. Sie macht mich einfach nur wahnsinnig. Denn dadurch wird jedes kleine beiläufige Geräusch noch penetranter.
Der Typ drei Plätze neben mir bewegt sich alle paar Minuten, wobei der Stuhl, auf dem er sitzt nervtötend laut quietscht. Ruby mir gegenüber kann nicht mit den Unterlagen auf dem PC-Bildschirm lernen, was zur Folge hat, dass sie sich alles ausgedruckt hat und nun ständig durch ihre Papierstapel blättert. Willow, ebenfalls meine Kommilitonin, hämmert in einer Lautstärke auf die Tasten ihres Laptops, die mich die Zähne zusammenbeißen lässt.
Genau in dem Moment, in dem Willow energisch auf die Entertaste haut, greift Ivy in ihre Stifte, scheinbar auf der Suche nach einem ganz bestimmten und Summer öffnet trotz des Essensverbot in der Bibliothek den zweiten Power-Riegel, seit wir uns an ihren Tisch gesetzt haben. Das Knistern des Papier bringt das Fass beinahe zum Überlaufen.
Doch ich versuche mich nicht ablenken zu lassen und mich auf meine Aufgaben zu konzentrieren, so, wie ich es für diesen Tag geplant habe.
Normalerweise wäre ich zu Drick, Adam und Ivy in die WG gegangen, um zu lernen. Wenn die Jungs zu dritt auf der Couch sitzen, um sich einen Kampf auf der Playstation zu liefern, kann ich mich am besten fokussieren. Ich brauche Hintergrundgeräusche und das Gefühl nicht im Mittelpunkt zu stehen. Normalerweise treffe ich mich nach der Uni mit Drick, wir bearbeiten in seiner WG unsere jeweiligen Uni-Aufgaben, quatschen etwas und ich lerne weiter, sobald Keith und Adam da sind. Das ist in den letzten Semestern zu unserer Routine geworden. Wir machen es nicht jeden Tag, oft habe ich auch bis spät Abends Vorlesungen, gehe eine Runde Laufen oder Drick ist beim Sport.
Für heute sind wir sogar fest verabredet gewesen, aber Drick hat abgesagt. Er trifft sich zum Lernen mit Tessa. Es ist mir peinlich, wie enttäuscht ich gewesen bin, als er mir heute früh per WhatsApp-Nachricht abgesagt hat. Dabei ist es sein Recht, sich mit jemand anderem zu treffen. Ich bin wirklich nicht eifersüchtig, aber ich fühle mich wie sein Anhängsel, von dem er sich hat befreien müssen.
Das ist auch der Grund, weshalb ich heute mit Ruby und Willow zusammen in die Bibliothek gegangen bin, obwohl ich es hier hasse. Doch in meiner Wohnung kann ich mich auf Dauer noch schlechter konzentrieren. Zwei bis drei Stunden? Kein Problem. Sobald es aber länger wird, verfalle ich ganz schnell in alte Muster.
Die Stille in meinem Einzimmerapartment im Wohnheim sorgt dafür, dass ich mich von all den Erwartungen, die ich an mich selbst stelle, erdrückt fühle. Ich mache mich letzten Endes immer selbst völlig fertig, obwohl ich es eigentlich besser wissen müsste.
Gerade, als ich die Geräusche um mich herum ausblenden will, um mit meiner Präsentation fortzufahren, blinkt der Bildschirm meines Smartphones auf, das neben mir auf dem Tisch liegt.
Die Nachricht ist von Drick.
Ich lasse das Handy dort liegen und klicke darauf.
Hey Tick! Adam und ich wollten dich noch fragen, ob du uns ein bisschen Nachhilfe in Medizin geben kannst? Wir verzweifeln mit Rechtsmedizin *verzweifelter Smiley*
Drick hat mich ewig nicht mehr Tick genannt. Sofort bekomme ich fast schon ein schlechtes Gewissen, dass ich heute Früh enttäuscht von ihm gewesen bin.
„Er denkt auch, du würdest springen, wenn er schnippt, oder?", kommt es plötzlich von Willow, die neben mir sitzt.
Entsetzt von ihren Worten reiße ich den Kopf nach oben. Willow ist nicht auf den Mund gefallen, sie sagt immer offen, was sie denkt. Das habe auch ich vor einigen Stunden, als ich leise gemurmelt habe, dass ich heute ausnahmsweise mit in die Bibliothek komme, zu spüren bekommen.

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At First Kiss
Romance„Weil ich nichts wert bin.", flüstert sie. Ihre Worte sind nur ein Hauch, aber ich habe sie klar und deutlich verstanden. Entsetzen durchflutet meinen gesamten Körper. Ich habe nicht gedacht, dass so viel mehr hinter ihrer Schüchternheit steckt. Ver...