Kapitel 2 - Adam

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Die Mappe mit dem finalen Trainingsplan klatscht vor mir auf dem Holztisch auf. Ich weiß, dass ich mich eigentlich voller Enthusiasmus darauf stürzen und die einzelnen Einheiten studieren sollte. Stattdessen rege ich mich nicht, kralle nur meine Fingernägel in die Oberschenkel und versuche den Druck auf meiner Brust loszuwerden.

Diesen Winter habe ich ziemlich erfolgreich verdrängt, dass die nächste Summerseason schneller kommen wird, als ich denke.

Schritt für Schritt haben wir seit Januar mein Trainingspensum wieder angezogen, aber ich bin dieses Jahr einfach nicht mit ganzem Herzblut dabei und weiß, dass mein Fitnesslevel derzeit nicht da ist, wo es eigentlich sein sollte.

Die kommenden sechs Wochen bis Saisonstart werde ich mich zusammenreißen und alles geben müssen, um wieder in Topform zu kommen.

Nur blöd, dass ich darauf einfach keine Lust habe.

Pike, mein Trainer, beginnt die einzelnen Einheiten durchzugehen und mir zu erklären, weshalb wir was machen. Aber ich kann ihm einfach nicht zuhören. Ich starre weiter auf die weiße Wand am anderen Ende des Raumes und versuche zu verstecken, wie flach ich atme.

Es ist nicht so, dass mir das Tennis spielen keinen Spaß mehr macht. Verdammt, ich liebe es den Schläger in meinen Händen zu halten und den Ball über den Court zu jagen. Das ist für mich pure Freiheit. Doch leider besteht die Vorbereitungsphase aus viel zu vielen nervenden Ausdauereinheiten, Kraftübungen und Techniktrainings, in denen wir stundenlang an ein und derselben Bewegung feilen, bis die minimale Änderung endlich zu einem Automatismus geworden ist.

Aber natürlich weiß ich auch, dass ich ohne das harte Training und die Disziplin, die ich in den letzten fünfzehn Jahren meines Lebens an den Tag gelegt habe, nicht an dem Punkt stehen würde, an dem ich gerade stehe.

Sobald ich mein Studium beendet habe und nicht mehr an die Pennsylvania State University gebunden bin, kann ich bei der Profi-Tour mitspielen. Allein die Vorstellung lässt mein Herz höher schlagen. Das ist mein Traum, seit ich denken kann.

Doch gerade scheint mir der Weg dorthin von einer hohen viel zu gut geschützten Mauer versperrt zu sein. Denn bis dahin muss ich mein Jura-Studium beenden und darf gleichzeitig meine Form nicht verlieren. Beides für sich schon eine Aufgabe, die mich den Großteil meiner Zeit kosten würde.

Wie ich beides zusammen schaffen soll?

Ich habe nicht den blassesten Schimmer.

In den letzten Semestern ist es mir nur einigermaßen gut gelungen, weil ich im Sommer ein paar Kurse im Studium geschoben habe, um sie im Winter nachzuholen. Das hat nicht mit allen funktioniert und jetzt habe ich das Problem, dass ich mit Ende des vierten Semesters bestimmte Prüfungen bestehen muss, um überhaupt weiterstudieren zu dürfen. Irgendwann im letzten Jahr habe ich den Überblick verloren, wie viele es tatsächlich sind.

Die Erkenntnis, dass ich dieses Semester ziemlich am Arsch bin, hat mich letzte Woche getroffen und nun setzt mir Pike auch noch diesen Trainingsplan vor die Nase.

Der Druck in meiner Brust wird penetranter und ich muss unweigerlich an Brookes Panikattacke vor einer Woche denken. Ich habe sie noch nie so am Ende gesehen. Ihr Anblick hat mir das Herz zusammen gezogen. Aber Brooke hat es geschafft, sie hat sich von dem Druck, der auf ihr lastet nicht überwältigen lassen und sich mit Dricks Hilfe wieder beruhigt. Deshalb wende ich genau die gleiche Technik an. Ich atme langsam ein und wieder aus und besinne mich auf das Wesentliche.

Ich werde einen Weg finden.

Da knallt plötzlich eine Hand auf den Holztisch, was mich erschrocken zusammenzucken lässt. Sofort fliegt mein Blick zu der wütenden Miene meines Vaters.

At First KissWo Geschichten leben. Entdecke jetzt