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Lya

Nach wenigen Minuten zu Fuß betraten wir ein kleines, einfaches Restaurant. Der Fremde zeigte auf einen Platz in einer der Ecken, aber ich wollte lieber am Fenster sitzen. So konnte man uns auch von außen sehen, für den Fall, dass er doch etwas im Schilde führte.

„Also", begann ich, sobald wir saßen. „Dann erkläre mir mal, wie du mir helfen möchtest."

„Mein Name ist Blake Harrison. Ich bin Anwalt."

Ich unterbrach in abrupt. „Für wen arbeitest du? Wer schickt dich?"

„Ich arbeite für niemanden und bin mein eigener Chef."

„Dann sage mir was du willst. Bietest du mir einen Job als Sekretärin an? Oder möchtest du mir mein Baby abkaufen, denn das kannst du vergessen."

„Was darf ich Ihnen denn bringen?" Der Kellner trat an unseren Tisch und unterbrach mich.

„Ich hätte gerne einen großen Kaffee, ein Wasser und das Tagesangebot." Blake, wie er sich nannte, bestellte darauf los und sah mich dann an.

Auch der Kellner sah zu mir, doch ich wollte nichts bestellen. Ich konnte mir hier nichts leisten, denn es würde mein Budget durcheinander bringen und ob Blake für mich bezahlen würde, wusste ich nicht. Doch ohne etwas im Restaurant zu sitzen, war unhöflich. „Ich hätte gerne einen grünen Tee."

„Und sie nimmt die Pasta mit Rucola und Parmaschinken."

Nachdem der Kellner den Tisch verlassen hatte, sah ich Blake mit bösem Blick an. „Vielleicht wollte ich nichts essen."

„Ich habe nicht vor, hier alleine zu essen, während du mir dabei zusehen musst", erklärte Blake. „Außerdem hast du mir ein Essen zugesagt. Ich bezahle auch. Immerhin bist du nur meinetwegen hier."

Ich atmete tief durch und sah aus dem Fenster. Ich war wütend. Wütend darauf, dass ein Fremder für mich bezahlte. Es war nicht so, dass ich keinen Hunger hatte. Ich war schwanger und hatte immer Hunger. Aber es verletzte mein Ego, denn es zeigte mir, dass ich in diesem Fall auf ihn angewiesen war. Es war still an unserem Tisch und diese Stille wurde erst unterbrochen, als der Kellner mit unseren Getränken kam und wir uns bei ihm bedankten.

„Ich habe nicht vor, dir dein Baby wegzunehmen und ich biete dir auch keinen Job an. Noch nicht. Du solltest dich während deiner Schwangerschaft ausruhen und nicht auf der Straße sitzen und betteln."

Seine Worte trafen mich, denn er hatte recht. Doch ich wollte mich verteidigen. „Du hast keine..."

„Genau. Ich habe keine Ahnung davon. Aber ich bin der Meinung, dass eine junge Frau wie du nichts auf der Straße verloren hat. Wie heißt du überhaupt?"

„Lya", antwortete ich ihm. „Und ich bin 29."

„Du bist schwanger, alleine und obdachlos. Du musst doch einsehen, dass es gefährlich ist. Erst letztens wurde eine obdachlose Frau vergewaltigt und umgebracht."

„Meinst du, dass du mir gerade Fakten nennst, die ich noch nicht kenne?"

Ich war dabei, als diese Männer der Frau etwas unvorstellbares antaten. Feige hatte ich mich hinter einem Müllcontainer versteckt, während sie abwechselnd über die Frau herfielen. Meine Angst lähmte mich und ich konnte nichts tun. Sie hätten keine Rücksicht auf mich genommen, nur weil ich schwanger war. Ich redete mir immer wieder ein, dass die Frau nichts von dem, was ihr geschehen war, mitbekam. Einige Male war ich ihr begegnet. Sie war ein Junkie, immer auf der Suche, nach dem nächsten Schuss. Doch das hatte sie nicht verdient. Die Polizei kümmerte sich nicht viel um uns Obdachlose. Einige der Officer waren sogar der Meinung, wir würden die Straßen New Jerseys verschmutzen. Das sagten sie mir oft genug, wenn sie mich von öffentlichen Plätzen wegjagten.

„Ich sagte, dass ich dir helfen möchte und das werde ich tun." Blake unterbrach meine Gedanken.

„Wie willst du das tun?"

„Ich biete dir einen Platz in einem Programm an. Eine Art betreutes Wohnen."

„Das kannst du vergessen. Ich war bereits im Obdachlosenheim und es ist kein Platz, an den ich zurückkehren möchte. Du denkst, auf der Straße wäre es gefährlich? Dann verbringe mal eine Nacht in einem dieser Heime." Niemals wieder würde ich an einen solchen Ort zurückkehren. Dort war man den Männern wie auf einem Silbertablett ausgeliefert.

Blake schüttelte seinen Kopf. „Ich biete dir keinen Platz in einem Obdachlosenheim an. Du sollst einen sicheren Ort bekommen, an dem du dich wohlfühlst."

„Und wo soll dieser Ort sein?"

„Bei meiner Mutter. Sie war selbst Obdachlos und schwanger mit mir. Sie schaffte es aus eigener Kraft auf die Beine und schuf einen Ort für Frauen, denen es so geht wie ihr damals. Ich würde dich ihr gerne vorstellen. Sie erklärt dir alles, zeigt dir die Unterkunft und dann kannst du entscheiden, ob du mein Angebot annehmen möchtest."

Skeptisch sah ich zu Blake. „Abgesehen davon, dass ich vielleicht gar nicht dahin möchte: Du kannst doch nicht einfach über deine Mutter hinweg entscheiden, wen sie in ihr Programm aufnimmt."

Blake wartete mit seiner Antwort bis der Kellner, welcher uns gerade unser Besteck brachte, wieder gegangen war. „Ich versichere dir, dass ich es nicht ohne ihr Wissen mache. Sie erwartet dich bereits."

„Du bist seltsam", sprach ich und verschränkte meine Arme vor der Brust. „Ich weiß nicht, ob ich dir trauen kann. Du scheinst alles genau geplant zu haben und das alles ohne, dass du mich kennst. Ich könnte kriminell sein und versuchen, euch auszurauben. Sei ehrlich, bist du verrückt?"

„Selbst wenn du kriminell wärst und uns bestehlen würdest, sonderlich schnell wärst du auf deiner Flucht nicht. Dein Bauch schränkt dich in dieser Hinsicht etwas ein." Blake nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse. „Außerdem bin ich bereit, dieses Risiko einzugehen, Bambi."

Einen Moment war ich sprachlos, regelrecht perplex. „Wie hast du mich genannt?"

„Bambi", antwortete er und lächelte. „Du hast dieselben großen, braunen Augen wie Bambi. Als könntest du niemanden etwas zuleide tun und daran glaube ich. Die Art, wie du deine Krallen ausgefahren hast, als du gedacht hast, ich könnte vorhaben, dir dein Baby wegzunehmen, machte es mir deutlich. Ich möchte euch helfen. Dir und deinem Baby."

„Es wird ein Mädchen." Warum ich ihm diese Information gab, wusste ich nicht. Doch es tat gut, mal mit jemanden darüber zu reden, der kein Arzt war. Oder ein Teil meiner Familie, die mich verstoßen hatte. „Ich habe nur noch sie. Ihr Vater will sie nicht. Genauso wie meine Familie mich nie wollte. Sie soll es besser haben als ich und Sicherheit, Geborgenheit und Liebe spüren. Ich weiß, dass ich es ihr in der derzeitigen Situation nicht bieten kann."

Blake stütze seine Arme auf der Tischplatte ab und lehnte sich mir entgegen. „Also nimmst du mein Angebot an?"

UnbreakableWo Geschichten leben. Entdecke jetzt