Lya
Es war das erste Mal seit fünf Monaten, dass ich aufwachte und lächelte. Es tat mir nichts weh und ich fühlte mich großartig. Langsam setzte ich mich auf und lehnte meinen Oberkörper gegen das Kopfteil meines Bettes. „Guten Morgen, Fussel." Ich sah auf meinen Bauch und konnte das Lächeln einfach nicht abstellen. „Hast du auch so gut geschlafen wie ich? Ich weiß, dass du mich hören kannst." Mit meinem Zeigefinger stupste ich leicht gegen meinen Bauch und schon bekam ich eine Antwort. Vermutlich hatte sie nach mir getreten.
Niemals wollte oder würde ich dieses unglaubliche Gefühl abstellen. Das unsichtbare und wunderbare Band zwischen mir und meiner Tochter. Ob meine Mutter genauso gefühlt hat, während sie mit mir schwanger war? Oder wusste sie zu diesem Zeitpunkt bereits, dass mein "Vater" nicht mein Vater war? Kurz bedeckte ich mein Gesicht mit meinen Händen, bevor ich mir mit ihnen durch meine Haare fuhr. Ich sollte nicht an diese Menschen denken. Sie hatten mir unmissverständlich klargemacht, dass wir beide, mein Baby und ich, nicht erwünscht waren. Durch mein "mangelndes Verständnis für Empfängnisverhütung" hatte ich meine Ehe ruiniert und sie würden Earl stets unterstützen. Denn im Gegensatz zu mir war er das Beste, was ihnen passieren konnte.
Ich schüttelte meinen Kopf. Über diese Menschen wollte ich mir, so kurz nach dem Aufwachen, keine Gedanken machen. Erneut sah ich mich in dem wunderschönen Raum um. Ich war wirklich hier! Es war real!
Nachdem ich die Decke zur Seite geschlagen hatte, stand ich auf und Fussel gab mir einen gezielten Tritt auf die Blase. Es waren nur wenige Schritte ins angrenzende Badezimmer und ich war so glücklich, dass ich es ganz für mich allein hatte. Meine Körperpflege musste ich nun nicht mehr sporadisch, auf öffentlichen Toiletten, hinter mich bringen. Ebenso musste ich, für andere Notfälle, kein Gebüsch mehr aufsuchen. Ich bekam fast ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran dachte, wie lange ich gestern Abend unter der Dusche stand und es einfach genoss. Anstelle eines kleinen Stückes Seife hatte ich Shampoo, Conditioner, Duschgel und alles andere.
Blake hatte an alles gedacht, als er gestern von seiner Mom dazu beauftragte wurde, noch einige Dinge für mich zu kaufen.
„Sieh doch nur wie schön sie ist! Ist sie nicht wunderschön? Blake, nun sag doch auch mal etwas dazu!" Emma, Blakes Mom, hatte eine solche Liebe und Zuversicht ausgestrahlt, dass ich nicht anders konnte, als sie zu mögen. In gewisser Weise schien sie mir vom ersten Augenblick an, wie die Mutter, welche ich nie hatte. „Blake!"
„Ja, sie sieht gut aus." Während er das sagte, sah er aus dem Fenster in der Küche, welche das Herzstück des Einzimmerappartements darstellte.
Es war nicht sonderlich groß, aber es war mehr als alles, was ich die letzten Monate zur Verfügung hatte. Ein kleines Bad, eine Küche und ein Wohnzimmer, dessen Schlafbereich mit einem Vorhang abgetrennt war. Es war sogar möbliert und tief in mir war ich dafür dankbar, dass Blake mich heute Morgen angerempelt hatte.
„Du siehst Lya nicht einmal an!", empörte Emma sich. „Es tut mir leid, Liebes. Ich weiß nicht, wo ich in seiner Erziehung versagt habe."
Ich lächelte sie an und schüttelte meinen Kopf. „Es ist alles in Ordnung. Du hast bei seiner Erziehung nichts falsch gemacht. Er hat meinen Rucksack getragen, mich zum Essen eingeladen und hierher gebracht. Zu dir. Er ist einfach Gold wert und ich bin ihm wirklich sehr dankbar." Kurz sah ich zu Blake und hatte das Gefühl, dass er bei meiner Aussage etwas zusammengezuckt wäre.
Emmas Gesicht strahlte regelrecht. „Du bist nicht nur hübsch, du findest auch die passenden Worte. Ich denke, dass wir uns gut verstehen werden. Gemeinsam werden wir es schaffen, dich zurück auf die Füße zu ziehen. Mit deinem Baby wird es wahrscheinlich etwas eng in der Wohnung. Doch für den Anfang reicht es." Die kleine Wohnung befand sich in einem bewachten Wohnkomplex und neben mir waren noch sechs weitere Frauen hier untergebracht. Laut Emma wurden einige von ihnen noch immer von ihren Partnern verfolgt. Deswegen war es unablässig, dass stets jemand da war, der sich um die Sicherheit der Frauen kümmerte. „Was wird es denn?", fragte sie und sah auf meinen Bauch.
„Bambi bekommt ein Mädchen, Mom." Blake sah noch immer aus dem Fenster. Man hätte denken können, dass er gar nicht hörte, was seine Mutter die ganze Zeit sprach. Doch als er einwarf, dass ich eine Tochter haben würde, bewies er, dass er unserem Gespräch lauschte.
„Bambi?" Emma sah verwirrt von Blake zu mir. „Wer ist Bambi?"
Die Inquisition, welche über ihn kam, nachdem er Emma erklärt hatte, dass er mich Bambi nennen würde, würde ich den Rest meines Lebens nicht mehr vergessen. Danach hatte sie ihn zum Einkaufen geschickt und Emma war bei mir geblieben. Sie hatte mir einige Dinge über ihre Organisation erklärt. Wie sie arbeitete und wie sie es geschafft hatte, sich über Jahre hinweg so etwas aufzubauen. Wir sprachen kurz über Blake und ich erkannte, wie stolz sie auf ihn war. Er war Anwalt für Steuer- und Gesellschaftsrecht. Kurz: Er vertrat unglaublich reiche Geschäftsleute und sorgte dafür, dass sie ihr Vermögen nicht verlieren.
„Ich habe nie studiert", gab ich vor Emma zu. „Es war einfach nichts für mich. Ich wollte schon immer Kindergärtnerin werden und da brauchte ich kein Studium. Als ich Earl heiratete, hat er darauf bestanden, dass ich nicht mehr arbeite und ich war so dumm und habe auf ihn gehört. Er meinte, dass eine Kindergärtnerin nicht vorzeigbar wäre."
„Dein Mann ist ein Idiot. Dein Beruf ist nichts, wofür du dich schämen musst. Wenn deine Tochter auf der Welt ist, können wir uns darum kümmern, dass du eine Anstellung bekommst. Ich kenne einige Leute. Mit Sicherheit werden wir etwas für dich finden."
Gemeinsam saßen wir zusammen und ich erzählte ihr alles. Von meiner Kindheit, meiner Schwester und den Erniedrigungen durch meine Eltern. Von Earl, der sich vom Prinzen in einen Frosch verwandelte und meinem Vorhaben, die Scheidung einzureichen. Meinen Großeltern, welche mir trotz allem immer das Gefühl gaben, mich zu lieben. Ich war nicht ihr leibliches Enkelkind, doch sie machten nie einen Unterschied.
„Ich kann morgen mit dir zum Bahnhof fahren, dann kannst du deine restlichen Sachen holen. Danach würde ich dir gerne die anderen Frauen vorstellen", bot Emma mir an und dieses Angebot nahm ich zu gerne an. Vielleicht hatte ich nun wirklich einmal Glück und alles würde sich zum Guten wenden.
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Unbreakable
RomanceSolange sie denken kann, bevorzugt Lyas Familie ihre kleine Schwester. Scheinbar auch ihr eigener Ehemann. Earl will sich von Lya scheiden lassen, um ihre jüngere Schwester heiraten zu können und niemand in der Familie scheint ein Problem damit zu h...