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Lya

Ich hüllte mich in eine dreckige Decke und versuchte es mir, in der dunklen Seitengasse, irgendwie bequem zu machen. Schlafen konnte ich nicht mehr, dafür war es zu laut und die Sonne würde bald aufgehen. Ich vermied es an öffentlichen Plätzen oder in Parks zu übernachten. Die Leute starrten  mich dann immer an und ich hasste es. Es interessierte sie nicht einmal, dass ich hören konnte, was sie über mich zu sagen hatten und die Kommentare, die sie zu mir sagten, waren selten nett. Fünf Monate waren vergangen und es war mittlerweile Herbst. Bis zum Winter musste ich eine Lösung gefunden haben.

Eine Weile saß ich noch in der Ecke, dann stand ich auf und streckte mich einmal. Die Kälte Nachts machte mir zu schaffen und ich spürte jeden Knochen meines Körpers, doch das war nichts Neues. Seitdem mein Bauch größer wurde, hatte ich das Gefühl, dass mein Rücken mich umbringen würde. So war das eben, wenn man Schwanger war und auf harten, kalten Böden schlief. Obdachlosenheime mied ich, denn einige der Männer dort machten mir Angst. Mehr als einmal wurde ich dort bestohlen. Meine wichtigsten Habseligkeiten lagerte ich in einem Schließfach am Bahnhof, welches ich täglich wechselte. Das Geld dafür erbettelte ich mir. Anfangs kostete es mich einiges an Überwindung, doch ich war darauf angewiesen und hatte eine gute Lösung gefunden.

Ich sah an mir hinunter. „Guten Morgen, Fussel." Meine Tochter war der Grund, der mir, trotz aller Widrigkeiten, jeden Tag ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Ich spürte einen leichten Tritt und wusste, dass sie mich gehört hatte. Sie war alles, was für mich zählte. Der Sinn meines Lebens.

Es gab Ärzte, die sich um Obdachlose kümmerten und diese waren immer freundlich zu mir. Sie gaben mir kostenlose Vitamine und eine Ärztin nahm mich einmal mit in ihre Praxis. Dort machte sie eine Kontrolluntersuchung. Das Baby war gesund und sie verriet mir, dass ich eine Tochter bekommen würde.

Ich sammelte meine Sachen zusammen und steckte diese in meinen Rucksack. Dann machte ich mich auf den Weg zu einer öffentlichen Toilette, welche nur eine Straße weiter lag.

Nachdem ich dort ankam, sah ich in den Spiegel. Meine Haare waren das reinste Chaos, ich hatte Augenringe und meine Kleidung war alt und dreckig. Aber besser so, als gar nichts zum anziehen.

Zuerst putzte ich meine Zähne. Danach nahm ich ein Handtuch aus meinem Rucksack und machte es nass. Ich füllte meine Wasserflasche auf und ging, mit meinen Utensilien, in eine der Toilettenkabinen. Ich zog mich aus und mit Hilfe eines kleinen Stückes Seife machte ich mich sauber. Dann wusch ich mir über der Toilette die Haare und band diese zu einem Dutt. Die dreckigen Sachen packte ich in eine Tüte und zog mir frische Kleidung an. Ich musste heute unbedingt meine Sachen in einer Reinigung waschen. Vieles passte mir nicht mehr, denn mein Bauch wurde immer größer.

Ich verließ die Kabine und trat kurz darauf ins Freie. Abgesehen von dem großen, dreckigen Rucksack, den ich trug, sah man mir nun nicht mehr an, das ich Obdachlos war. In New Jersey kam ich drei Tage, nachdem Earl mich hinausgeworfen hatte an und ich schwor mir, nie wieder zu ihm zurückzukehren.

Doch die Stadt machte mir nach Sonnenuntergang Angst. Ich war schwanger und obdachlos und somit ein leichtes Ziel. Darum blieb ich nie lange an einem Ort und zog immer von Stadtteil zu Stadtteil. Jersey hatte aber auch seine Vorteile, die Leute waren bereit Geld zu spenden. Dadurch konnte ich es mir leisten meine Kleidung in einer Reinigung zu waschen. Ich konnte mir etwas zu essen kaufen und den Rest legte ich für Fussel zurück. Jeden Tag ging ich zum Schließfach und legte soviel Geld wie möglich hinein.

Ich musste sparen, denn in wenigen Monaten würde sie auf die Welt kommen und bis dahin musste ich eine Lösung gefunden haben. Einen Job hatte ich noch nicht gefunden. Einige Male hatte ich es versucht, aber sobald mein möglicher Chef herausfand, dass ich schwanger war, wurde ich jedes Mal wieder entlassen. So konnte ich mir keine Wohnung leisten.

Das Leben auf der Straße war nichts für mich. Ich bewunderte diejenigen, die es ohne Probleme schafften, doch tief in mir spürte ich, dass dieses Leben nichts für mich war. Das hatte ich nicht verdient und irgendwann würde ich bekommen, was mir zustand. Noch war ich nicht zerbrochen. Weder seelisch, noch körperlich.

Meiner Tochter sollte es besser gehen als mir. Sie sollte alle Liebe der Welt bekommen. Etwas das ich nicht bekommen hatte. Weder von meinen Eltern, noch von meinem Ehemann. Von meiner Schwester ganz zu schweigen.

Fussel trat mir erneut in den Bauch und zeigte mir so, dass sie Hunger hatte. Ich suchte mir ein kleines Café und bestellte mir dort einen Tee, sowie belegte Sandwiches. Die Wärme tat mir gut und von meinem Tisch aus, welcher sich in einer Ecke befand, konnte ich die Leute beobachten, die ein und aus gingen.

Es waren viele Geschäftsleute unter den Gästen und in meinem Aufzug kam ich mir fehl am Platz vor. Nachdem ich mein Frühstück zu mir genommen und mich aufgewärmt hatte, machte ich mich wieder auf den Weg. Kaum hatte ich das Gebäude verlassen lief auch schon jemand in mich hinein. Ich hasste diese hektischen Menschen, welche nicht auf ihre Umgebung achteten.

„Pass doch auf." Ich fuhr herum und sah in dunkle Augen.

Er schien ebenfalls protestieren zu wollen, doch dann bemerkte er meinen Bauch. „Entschuldigung." Kurz sah er mich noch an, als würde er sicher gehen wollen, dass es mir gut ging. Dann machte er sich wieder auf den Weg.

Ich sah ihm noch hinterher. Er sah wirklich gut aus und ich hatte das Gefühl, dass seine Augen tief in mich hinein sehen konnten. Doch ich konnte mich nicht lange mit Tagträumereien aufhalten. Meine Wäsche musste gewaschen werden und so machte ich mich auf den Weg in den Waschsalon. Man könnte meinen, dass ich alle Zeit der Welt hatte, doch mein Tagesablauf war stets strukturiert. Diese brauchte ich. Sie gab mir eine gewisse Sicherheit und ohne diese würde ich mich aufgeben.

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