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Lya

Ich stand in meiner Küche und das Essen vor mir wurde bereits kalt. Doch es war mir egal, denn ich giggelte wie ein Teenager. Schon seit Tagen schickten Blake und ich uns, immer im wechsel, irgendwelche Texte, Bilder und GIFs. Es begann damit, dass ich mich noch am selben Abend bei ihm für das Handy und die Krippe bedankte. Zuerst dachte ich, dass ich irgendetwas falsch gemacht hätte, denn er antwortete mir nicht. Erst später am Abend, es war bereits kurz vor Mitternacht, meldete er sich. Seitdem schrieben wir uns ab und zu. Doch seit kurzem hatten wir ständigen Kontakt. Noch nie hatte ich so etwas mit einem Mann. Earl war zwar anfangs aufmerksam, aber nie jemand, der sich regelmäßig, oder überhaupt, bei mir meldete. Wir waren noch immer verheiratet und vielleicht hätte ich ein schlechtes Gewissen haben sollen, aber Earl war nicht länger Teil meines Lebens und dank der Tatsache, dass Blake schwul war, machte ich mir keine Gedanken darüber, dass er etwas falsch verstehen könnte. Manchmal kam es mir so vor, als ob er flirten würde. Aber wahrscheinlich war es einfach sein Ding. Die anderen hatten mir ja verständlich gemacht, dass er keinerlei Interesse an unserem Geschlecht hatte.

Neben ihm und Emma hatte ich in Jenny eine wunderbare Vertraute gefunden. Parker, ihr Sohn, war ein so lieber Junge und der Kleine zauberte mir regelmäßig ein Lächeln ins Gesicht. Heute Vormittag waren wir gemeinsam auf einen Spielplatz und am Nachmittag hatte ich einen Termin bei der Frauenärztin, die Emma mir vermittelt hatte. Seit dem Tag, an welchem ich erfuhr, dass ich schwanger war, war es mein erster richtiger Termin zur Schwangerschaftsvorsorge. Die Ärztin, welche mir sagte, dass ich eine Tochter bekommen würde, tat es damals freiwillig. Doch seitdem wurden keinerlei Tests oder Vorsorgeuntersuchungen vorgenommen. Ich wusste, dass es gefährlich und dumm war, doch ich konnte es mir einfach nicht leisten.

Eigentlich hatte Emma vor, mich zu fahren, doch es kam ein Notfall dazwischen. Theo hatte in der Nacht hohes Fieber bekommen und somit war sie mit Helena und ihrem anderen Sohn im Krankenhaus. Natürlich verstand ich, dass es wichtiger war als mein simpler Termin. Trotzdem war es mir unangenehm, alleine zu gehen. Ich wusste, wo sich die Praxis befand. Emma hatte es mir erklärt und zu Fuß bräuchte ich maximal 30 Minuten.

Was macht Bambi denn heute noch?

Blake hatte sich nicht davon abbringen lassen, mich weiterhin Bambi zu nennen. Aber es störte mich nicht, denn im Grunde fand ich es irgendwie süß. Warum mussten solche Männer immer schwul sein?

Nach dem Essen werde ich mich auf den Weg zur Ärztin machen. Ich bin ja schon ein wenig aufgeregt. Was hat denn der Herr Star-Anwalt für heute noch geplant?

So wie er mich stets Bambi nannte, nannte ich ihn nur noch Star-Anwalt. Er konnte sich seine Klienten aussuchen, nur verstanden es nicht immer alle. Erst letztens hatte er wohl einen Fall abgelehnt. Doch anscheinend ging das nicht ohne größere Probleme und der Klient bedrängte Blake regelrecht, nicht doch seinen Fall anzunehmen. Doch er blieb standhaft und lehnte, trotz einer großen Summe Geld, ab.

Ich bin gleich mit einer Freundin unterwegs und später am Abend bin ich wieder zum Essen bei meinen Eltern.

Diese Tradition fand ich faszinierend und ich hoffte, dass ich und Fussel später auch so eine Verbindung haben würden. Einmal in der Woche, egal was war, aß Blake mit seinen Eltern. Es gab eine Zeit, in der es sowas auch in meiner Familie gegeben hatte. Doch ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Meine Grandma hatte mir mal davon erzählt. Meine Eltern schienen mich vergöttert zu haben, doch das war schon lange vorbei. Irgendwann war es so, dass die Haushälterin mir mein Essen auf mein Zimmer brachte, damit ich nicht mit ihnen zusammen sitzen musste. Mein "Vater" hatte mich irgendwann nicht einmal mehr angesehen.

Ich legte mein Handy zur Seite und aß meine Käse-Makkaroni. Die schmeckten mir auch kalt. Seit drei Tagen gab es eigentlich nichts anderes mehr, denn ich hatte nur Appetit darauf oder generell auf Käse. Dafür blieben andere Gelüste aus. Ich mixte weder süßes und saures, noch empfand ich große Lust auf Schokolade. Es musste momentan einfach Käse sein.

Nach dem Essen und dem damit verbundenen Abwasch bereitete ich mich im Badezimmer auf meinen Termin vor. Ich wollte sauber und frisch zu der Ärztin, immerhin würde sie mich untersuchen. Manchmal konnte ich noch immer nicht fassen, dass ich nun eine eigene Wohnung besaß und immer duschen konnte, wenn ich es wollte. Doch es lag noch ein weiter Weg vor mir. Einer der nächsten Schritte war es, eine größere Wohnung zu bekommen. Ein Job, vorzugsweise wieder als Kindergärtnerin, stand ebenfalls weit oben auf meiner Liste. Doch an oberster Stelle stand etwas anderes.

Ich wollte die Scheidung. Mehr als alles andere wollte ich diese Ehe beenden und Earl hatte mit Sicherheit nichts dagegen. Blake wollte ich damit nicht belasten. Abgesehen davon, dass er nicht auf Personenrecht spezialisiert war, sollte er es auch nicht pro bono machen. Also musste ich noch etwas Geld sparen, damit ich mir einen guten Anwalt leisten konnte. Solange Earl auf sein Sorgerecht verzichtete, würde er alles von mir bekommen, was er wollte. Selbst das bisschen Geld, welches sich auf meinem Konto befand, das er hat sperren lassen. Ich besaß sonst nichts, was ich ihm anbieten konnte.

Als ich mit allem fertig war, nahm ich meine Handtasche, verstaute mein Handy darin und atmete tief durch. Obwohl mein Baby regelmäßig Purzelbäume in mir machte, hatte ich Bedenken, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte. Durch mein Leben auf der Straße könnte sie irgendwelche Schäden davongetragen haben, die bisher nicht aufgefallen waren.

Mit dunklen Gedanken verließ ich meine Wohnung. So viele Dinge beherrschten meinen Kopf. Es schien, als wäre mir erst jetzt bewusst geworden, welcher Gefahr ich Fussel wirklich ausgesetzt hatte. Ich war immer vorsichtig und achtete darauf, dass mich niemand fand, der mir etwas antun könnte. Doch war ich mir bewusst, wie egoistisch ich die letzten Monate handelte. Gegen meine Tränen, welche sich ankündigten, konnte ich nichts tun.

Ich verließ das Gebäude, in welchem ich mich wie in einer schützenden Blase befand und trat auf die raue, kalte Straße, welche mir vielleicht irgendwann mein Kind genommen hätte.

„Hey Freundin!"

UnbreakableWo Geschichten leben. Entdecke jetzt