Am nächsten Morgen herrschte wie schon am Abend zuvor, nachdem Leonore spät in der Nacht zurückgekehrt war, eisernes Schweigen. Die Kälte die meine Zimmernachbarin und ich uns entgegenbrachten, wurde auch nicht besser, als ich mich dazu entschloss immer noch an meinen Standarttisch, an dem Leonore auch saß, zu sitzen. Die anderen schienen nichts von der merkwürdigen Atmosohäre zu bemerken.
"Habt ihr schon gehört, in einem Jungenzimmer auf der Ostseite bei den Ställen soll ein wertvoller Ring gestohlen worden sein", berichtete eines der Mädchen am Tisch. Ich blickte sie erstaunt an:" Bist du dir sicher?" Tamra unterbrach das Mädchen, indem sie vermutete, dass der Ring nur verloren wurde. Das Mädchen wollte davon nichts wissen und überging Tamra einfach:" Ich bin mir ganz sicher. Der Ring soll ein Erbstück sein", erklärte sie mit bedeutendem Blick. "Aber das ist nicht alles. Ein Zimmer neben mir fehlt eine Kette, eine billige zwar, aber hübsch sah sie trotzdem aus", ergänzte sie.
"Der Dieb scheint ja ganze Arbeit geleistet zu haben", meldete sich nun auch Leonore zu Wort.
"So ein Schwachsinn, warum sollte ein Dieb, der sich anscheinend auskennt, da er ein wertvolles Erbstück stiehlt, eine billige Kette stehlen? Das ergäbe keinen Sinn", erklärte Tamra entschieden. Damit war das Thema vorerst abgeschlossen.Der Tag verlief ruhig, was nicht zuletzt daran lag, dass ich sehr einschläfernde Kurse wie Physikalische Zusammenhänge und Chemie besuchte. Trotzdem begann ich ein gewisses Gefallen an dem Alltag im Zentrum zu finden. Das war nicht das Einzige, was zu meiner guten Laune in den nächsten Wochen beitrug. Ich merkte wie die Abneigung gegenüber mir aufgrund meines Rangs schwand und ich immer mehr in die Freundesgruppe mit einbezogen wurde. Auch Leonore schien sich nach dem Gewitter in unserem Zimmer beruhigt zu haben. Man konnte ihr zwar ansehen, dass ihr Stolz einen Schlag erlitten hatte, als ihre Freundesgruppe mich einzuladen angefangen hatte, doch das Ego dieses Mädchen war unerschütterlich. Das einzige was in mir ein unangenehmes Gefühl auslöste, war, dass ich den Eindruck nicht los wurde, Tamra ihren Platz in der Freundesgruppe weggenommen zu haben. Doch obwohl Tamra und ich uns sehr gut verstanden, gefiel mir der Gedanke endlich Freunde gefunden zu haben. An diesem Gefühl änderte auch nicht, dass meine neuen Freunde eine Vorliebe dafür hatten sich über andere zu amüsieren. Wobei das noch sehr nett ausgedrückt war. Trotzdem erschien ich immer zu den heimlichen Picknicken, den Abenden, an denen wir zusammensaßen und Schwarzbeerenwein tranken und den Nachmittagen, an denen wir uns über neueste Ereignisse austauschten. Dabei kam nicht selten das Thema des Schmuckdiebes zur Sprache. Er hatte seit den ersten Vorfällen keine Gelegenheiten ausgelassen und inzwischen waren unzählige Ringe, Ketten, goldene Fingerhüte und glänzende Federspitzen als gestohlen gemeldet worden. Es war außer Frage, dass es sich nur um verlorene Gegenstände handelte, dafür waren es einfach zu viele in zu kurzer Zeit. Mir wurde noch nichts gestohlen und ich war dankbar mir unnötiges Drama zu ersparen, denn in Kürze würden die Dezember-Zwischenprüfungen stattfinden. Sie waren nicht zwingend wichtig für unseren späteren Abschluss, doch es war ein Probe um unserer Chancen für die Abschlussprüfungen einzuschätzen und flossen natürlich in die Bewertung mit ein.
Wie an jedem normalen Samstagmorgen lief ich mit Leonore in die Plünderhalle um mich dort mit meinen Freunden zu treffen und mein dringend nötiges Frühstück zu essen. Seit einigen Tagen hatte es nicht mehr aufgehört zu schneien. Die weiße Schicht lag nun zentimeterdick auf den Häuserdächern und ließen das Zentrum und dessen Umgebung wie eine friedliche Winterlandschaft aussehen. Leider hatte die weiße Pracht des Winters auch seine Nachteile, denn meine Haare waren tropfend nass und hingen ungebändigt neben meinem Gesicht herunter. Nerviger waren jedoch die durchnässten Socken, denn auf dem Weg war immer wieder Schnee in meine Schuhe gelangt. Leonore war von dem Phänomen Schnee anscheinend nicht betroffen, denn sie lief makellos und vor allem trocken wie immer neben mir in die überfüllte Halle. Ich gab ein unmerkliches Grummeln von mir und schämte mich für mein unansehnliches Auftreten.
"Willst du Wurzeln schlagen?", fragte mich Leonore mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich erwachte aus meiner Starre und folgte ihr schließlich zu unserem Standarttisch. Ich sah, dass Tamra gar nicht mit am Tisch saß, doch ich wunderte mich nicht weiter darüber, denn am Tisch herrschte munteres Plaudern.
Ich setzte mich zu den anderen und versuchte dabei unauffällig meine Haare zu richten, indem ich immer wieder hindurchfuhr. Als ich jedoch erfuhr worüber sich die anderen unterhielten, unterließ ich mein Vorhaben. Überrascht und nicht gerade erfreut beugte ich mich ein wenig nach vorne um besser mitzubekommen, was die anderen zu erzählen hatten. Eigentlich hätte ich über meine eigene Dummheit lachen können. Ich dachte doch wirklich, dass sie nicht im Zentrum erscheinen würde oder hatte es vielmehr verdrängt. Innerlich zwang ich mich dazu nicht vor Wut irgendetwas Unüberlegtes zu sagen. Das Schlimmste war, dass meine Freunde sie vergötterten als wäre sie selbst eine Halbgöttin. Ich wusste, dass ich mich an diesem Tisch nur unbeliebt machen würde, wenn ich meine ehrliche Meinung preisgäbe, also schwieg ich weiterhin. Eigentlich würden sie meine feindliche Einstellung zu ihr noch früh genug bemerken, weshalb es unnötig war unwissend zu spielen.Als wäre das nicht schon genug gewesen, ging in diesem Moment die große Flügeltür des Plündersaals auf. Das Schicksal meinte es heute nicht gut mit mir, denn es trat diese eine Person ein, über die wir noch vor wenigen Sekunden geredet hatten.
~970 Wörter
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Silbergrau
Fantasy(wird überarbeitet) -Band 1- Wie jedes Jahr werden am 20. September, dem Nationalfeiertag der Republik, neue Jungmagier im Zentrum für magische Begabung empfangen. Dieses Jahr ist auch Lyria Ashton unter den 17. jährigen Magiern. Auch sie muss den n...