Kapitel 67

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Siebeneinhalb Tage ist es her seit wir unser Lager verlassen hatten

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Siebeneinhalb Tage ist es her seit wir unser Lager verlassen hatten.
Ein Dreiviertel Tag noch bis ich meine Familie endlich wieder zu Gesicht bekommen würde und genauso lang bis mein Leben wieder das werden würde, was ich so schmerzlich vermisst habe, zumindest teilweise.

Ich hatte mir meine Lage gut überlegt. Ich wollte mich engagieren, ich wollte Teil der Rebellion sein, doch mindestens genauso sehr wollte ich Zuhause sein, bei den Menschen, die mich schon mein Leben lang beschützt hatten. Für eine bestimmte Zeit wäre meine Präsenz riskant, schließlich war ich nach wie vor eine Flüchtige, eine Untergetauchte.

Doch auch das würde irgendwann verjähren und bis dahin würde ich für meine Überzeugungen von den sicheren vier Wänden meines Zimmers, in einer kleinen Grenzstadt Zariobiens aus kämpfen. Ich würde die Medienpräsenz meiner Familie und unsere Zeitung nutzen um die Menschen aufmerksam zu machen, sie aufzuwecken und zur Tat zu bewegen.
Und damit würde ich meinen kleinen Teil beitragen, meinen kleinen Teil zum Ändern der Welt.

Doch bis es soweit war musste ich laufen und marschieren und wandern, den ganzen, gesamten Tag lang.
Rechts, links, rechts, links. 

Immer einen Schritt vor den anderen.

Rechts, links.

Irgendwann verwandelten sich die Schmerzen in meinen Beinen zu einem Zustand, den ich kaum mehr wahrnahm. Ich hatte nur ein Ziel vor Augen: Zuhause. Wenn ich daran dachte den Staubgeruch der Garderobe zu riechen, unregelmäßiges Poltern vom oberen Stockwerk zu hören und die Wärme unserer Küche zu spüren, während meine Mutter eine einfache Melodie summte und meine Haare zopfte, traten mir die Tränen in die Augen. Sie hatte mir schon seit Ewigkeiten keine Frisur mehr gemacht, aber irgendwie war diese Erinnerung zum Inbegriff von Liebe und Familie für mich geworden. So flüchtete ich mich tief in den Komfort meiner Gedanken, während die Karavane weiter voran schritt. 

Rechts, links, immer weiter Richtung Süden.

~

Ich hatte mich noch nie wirklich gefragt ob es so etwas wie Schicksal gibt. Auch kam mir nie ernsthaft in den Sinn, dass unser Leben vielleicht einen Plan verfolgte; Dinge genauso geschahen wie es für sie vorbestimmt war. 

Heute, mitten im Sommer, den Blick auf eine Fackel von leuchtroten Locken gerichtet zweifelte ich immernoch nicht an meiner Überzeugung. Jedoch dachte ich an soetwas wie eine glückliche Gebung oder auch einen symbolischen Moment.
Denn dort nahe der Wiese, auf der ich viele lange Tage meiner Kindheit verbracht hatte, stand Roxana, meine beste Freundin seit ich denken konnte.
Wäre ich nicht so emotional ausgelaugt von den letzten Wochen gewesen, hätte ich vermutlich geheult, als ich den Hügel hinunterrannte, den die Spähergruppe als Sichtschutz nutzte.
Was ich tat war höchstengrades Fahrlässig und gefährdete die gesamte Reise, doch ich konnte mich nicht zurückhalten, als ich über die offene grasgrüne Fläche rannte.
Roxana erstarrte als sie mich entdeckte. Ihr Gesichtsausdruck spiegelte wieder, was ich fühlte, Unglauben und Schock über diese Wiedervereinung.
Unglaublich erleichtert umarmte ich sie. Ich nahm so viel Schwung mit, dass sie ein paar Schritte nach hinten taumelte bis sie zogerlich die Arme um mich schloss.
Ihre Augen waren noch immer das gleiche Grün, das den Sommer auszeichnete, noch immer das gleich Grün, das sie hatten, als ich sie zum letzten Mal gesehen hatte.

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