Am Folgenden Tag beruhigte sich Yuna ein wenig und nahm die Erwartungen ihrer Eltern an sie gefasster war, als zuvor. Aria war mitsamt den restlichen Jungmagiern im Zentrum eingetroffen. Ich gab mir alle Mühe sie diesmal fair zu behandeln und nicht zu schnell zu urteilen, was sie mit verwunderten und misstrauischen Blicken zur Kenntnis nahm. Trotzdem konnte ich meine Angst nicht völlig loslassen. Es war nicht zu leugnen, dass Anima gefährlich sein können, wenn sie denn wollten und auch der nächtliche Spaziergang zu meinem Bett bei dem ich Aria erwischt hatte, war noch nicht geklärt.
In den Folgenden Tagen setzte der Unterrichtsbetrieb am Zentrum wieder ein. Zwei Tage nach Unterrichtsbeginn konnte ich mich sogar dazu bringen einen detailreichen Brief an Roxana zu schreiben, obwohl ich kein großer Fan vom Schreiben war. Zugegeben war Madame Spiegelglas, die auf Aria ähnlich reagiert hatte wie auf Yuna, daran nicht ganz unbeteiligt. Nachdem sie sich von den Strapazen der langen Kutschfahrt erholt hatte, hatte sich auch ihre Gemüt beruhigt. Nun hatte sie etwas von einer gutmütigen, meckernden Großmutter, die eine große Hilfe beim Briefeschreiben war. Mit ihren altmodischen, stilvollen Formulierungen würden sie und Roxana ein fantastisches Schriftsteller-Duo abgeben. Ein Jammer, dass sie sich erst kennenlernen würden, wenn ich nach meinem Zentrumsjahr nach Hause zurückkehre.
Während dieser Brief auf dem Weg zu seiner Adressatin war, balancierte ich auf einer hohen Leiter in der Bibliothek und sortierte alte Schinken in die hintersten Ecken, der staubigen Regale.
"Wörterbuch der Feensprache", las ich die goldene Schrift auf dem Buch, für das ich gerade einen Platz suchte. Ich schnaubte. Jeder wusste, dass die kleinen Feengestalten, dir in alten naturmagischen Bäumen lebten, entweder stumm waren oder keine Sprache sprachen, die mit einem Wörterbuch übersetzt werden konnte. Was auch immer auf diesen geschätzten achthundert Seiten stand, musste vollkommener Blödsinn sein.
Ich klemmte mir das Buch unter den Arm und schaffte mit einem kräftigen Ruck und einem abenteuerlichen Ruckeln meiner Leiter, Platz zwischen zwei anderen längst vergessenen Romanen. Ein Hohlraum in der Wand kam zwischen den zwei Buchrücken hervor. Neugierig reckte ich meinen Kopf und spähte in die Dunkelheit des Hohlraums.
Plötzlich tauchten zwei schwarze Knopfaugen direkt vor meinem Gesicht auf. Vor Schreck wäre ich fast von der Leiter gefallen. Vorsichtig näherte ich mich der Kreatur, die hinter den Büchern nistete und kaum größer als mein Kopf sein konnte. Ich hörte einen quietschenden Laut, der einem Gähnen glich. Waren das in diesem Hohlraum etwa...?
Ein misstrauisch blickender Gnom trat ins Dimmerlicht der Bibliothek. Ich hatte schon öfters über diese ungebetenen Mitbewohner gehört. Sie mochten trockene, staubige Orte. Dort wo es ruhig ist und sie nicht gestört wurden, suchten sie sich meist ein zu Hause. Hinter dem erwachsenen Gnom spähten nun vier weitere junge Gnome hervor. Mit ihren runde Knubbelnasen und dem kartoffelförmigen Körper sahen sie aus wie niedliche Erdklumpen. Ich fragte mich wie sie auf diesem Regal überleben konnten, ganz ohne Nahrung.
"Lyria! Was machst du da oben so lange? Ich bezahle dich nicht für Nichtstun", mahnte die Bibliothekarin in gedämpften Ton.
"Komme sofort."
Die Gnomen Familie war zurückgewichen. Schreckensstarr und erwartungsvoll starrten mich ein dutzend Knopfaugen an.
Obwohl ihre Erscheinung nicht darauf schließen ließ, wurde den Gnomen eine gewisse Intelligenz und listiges Handeln nachgesagt. Ich zählte darauf, dass die Gnomen Eltern klug genug wären die Bibliothekarin nicht zu verärgern, stieg die Leiter hinunter und erwähnte kein Wort über das versteckte Leben in der
verlassenen Bibliothek.~560 Wörter
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Silbergrau
Fantasy(wird überarbeitet) -Band 1- Wie jedes Jahr werden am 20. September, dem Nationalfeiertag der Republik, neue Jungmagier im Zentrum für magische Begabung empfangen. Dieses Jahr ist auch Lyria Ashton unter den 17. jährigen Magiern. Auch sie muss den n...