Auf dem Weg in mein Zimmer wurden mir immer wieder merkwürdige Blicke zugeworfen. So sehr ich es auch versuchte, so waren sie mir doch nicht gleichgültig. Hatte die Leute nichts besseres zu tun, als sich den Kopf über mein Leben zu zerbrechen? Ärgerlich beschleunigte ich meine Schritte bis ich endlich die Tür zu unserem Zimmer durchschritt. Leonores Unterricht war schon vorbei. Nun saß sie stocksteif auf ihrem Bett und gab sich alle Mühe mich zu ignorieren.
Auch die nächsten zwei Tagen wurde ich die nervigen Blicke, die mich verfolgten, nicht los. Stetig wurde mir ins Gedächtnis gerufen, dass mein Vater als Hauptverdächtiger in einem Verbrechen verwickelt war.
So kam es, dass ich nun am vierten Tag, nachdem ich von der Nachricht erfahren hatte, in meinem Zimmer auf dem Boden saß und alles zusammenpackte, was mir gehörte. Meine Kleidung hatte ich schon in meinem Reisekoffer untergebracht. Nun lag es nur noch an meinen kleinen Schätzen, die ich in zahlreiche Schubladen und Fächer gepackt hatte und jetzt zusammensuchen musste. Gerade legte ich vorsichtig ein Schreibset in meine Tasche, als kaltes Metall meine Hand streifte. Neugierig zog ich die Kette hervor, die ich von dem alten Antiquitätenladenbesitzer geschenkt bekommen hatte. Der Kristall glänzte im Licht der Mittagssonne. Kurzentschlossen legte ich mir die Kette um den Hals anstatt sie zurück in die Tasche zu legen. Zufrieden machte ich mich weiter daran Schmuckstücke, Bücher und Pergamentpapier in meine Tasche zu packen. Mit Taschen bepackt machte ich mich, ohne mich zu verabschieden, auf den Weg. Der Weg zu meinem neuen Heim war mir zwar beschrieben worden, allerdings zeichnete ich mich nicht unbedingt durch mein fabelhaftes Gedächtnis aus. So irrte ich ungefähr zwanzig Minuten umher bis ich tatsächlich das richtige Wohnhaus fand. Wohnhaus war dabei allerdings zugegeben ein wenig übertrieben.
Verlassen lag das kleine heruntergekommene Backsteinhäusschen direkt neben dem Wald vor dem wir so eindrücklich gewarnt worden waren. Meine neue Unterkunft musste früher einem anderen Zweck gedient haben, denn es lag fernab von den anderen Wohnhäusern. Vorsichtig schob ich die hölzerne Tür auf, die ganz sicher nicht im Stande war, die Kälte draußen zu lassen. Hoffnungsvoll spähte ich ins Innere. Vielleicht täuschte das Äußere mich? Der hölzerne Boden knarrte unter der Last meines Gewichtes. Ich betrat einen kleinen Vorraum, in dem nicht viel mehr als ein vergessener Kleiderhaken, ein verstaubter Spiegel und ein kleiner unbenutzter Tisch zu finden war. Ich klopfte an die gegenüberliegende Tür bevor ich in den anliegenden Raum trat- ein recht großes Zimmer mit vier Betten. Auf einem der Betten stapelten sich haufenweise Decken, ein Bett stand leer in einer dunklen Ecke und die anderen zwei Betten waren nah aneinander geschoben worden. Ich erschrak als ich ein Augenpaar entdeckte, dass mich von einem der beiden Betten aus musterte. Die Person mit den merkwürdigen purpurfarbenen, hellen Augen kam unter ihrer Decke hervor. Ich riss die Augen auf und trat einen Schritt zurück. Das war doch keine- oder doch? Ich musterte das Mädchen mit unwohlem Gefühl. Eindeutig, meine Zimmernachbarin war eine Anima. Ich trat noch einen Schritt zurück und die fremdartigen Augen, die mich gerade noch freundlich und neugierig beobachtet hatten, verfinsterten sich. Fürchterliche Sagen und Erzählungen rankten sich um die Anima. Die rein weiblichen Fabelwesen sollen nicht nur Gedankenlesen können, sondern diese auch beeinflussen können. In Märchen heißt es, dass diese Naturgeister Träume klauen und stattdessen Albträume hinterlassen.
"Ich bin Aria. Du musst die neue Mitbewohnerin sein, nehme ich an?", fragte sie, während sie versuchte mich einzuschätzen. Ich schluckte und nickte, -vielleicht ein wenig zu panisch- denn sie legte verdutzt den Kopf schief. "Ich bin Lyria", stellte ich mich mit leicht zitternder Stimme vor. Aria nickte langsam und lies mich nicht aus den Augen, als ich meine Tasche auf das Bett in der Ecke abstellte. "Du wohnst hier alleine?", fragte ich um von meiner Unsicherheit abzulenken. Kaum auszudenken, dass ich ab jetzt wirklich hier wohnen müsste.
Das rothaarige Mädchen schüttelte den Kopf und deutete auf das Bett direkt neben ihrem. "Da schläft Yuna. Sie ist gerade in der Bibliothek, aber sie müsste bald zurück sein."
Ich nickte mit einem gezwungenen Lächeln und schwieg. Eine unangenehme Stille trat ein, aber ich wusste nicht, was es noch zu sagen gab.
"Ich werde kurz an die frische Luft gehen", sagte nun Aria mit unglücklichem Gesicht. Es war offensichtlich, dass ich sie mit meiner Angst gekränkt hatte, aber ich wusste mir einfach nicht anders zu helfen. Sie war eine Anima und damit gefährlich. Es war doch nichts verwerflich daran Angst zu haben, oder?Die Behausung war eindeutig gewöhnungsbedürftig. Kalter Wind pfiff durch kleine Ritzen und Löcher, die alten Fensterflügel klapperten und eine dünne Staubschicht zog sich über fast jede Oberfläche. Das einzige, das diesem Haus schmeichelte war ein Dachfenster und die allgemein relativ großen Fenster -welche allerdings auch viel Kälte herein ließen-. Wenige Minuten später öffnete sich die Tür. Die Person, die nun den Raum betrat war allerdings nicht Aria, sondern das Mädchen, das vermutlich Yuna hieß. Ich dachte angestrengt nach. Irgendwo hatte ich Yuna schonmal gesehen. Als sie mir den Rücken zudrehte und sich daran machte ihre Bücher in ein kleines Regal einzuräumen erkannte ich die schwarzen Haare, die im Licht einen blauen Schimmer hatten, wieder. Ich hatte Yuna schonmal in der Bibliothek gesehen, an meinem zweiten Tag! Eigentlich sah sie ganz normal aus, vielleicht ein wenig schüchtern, wenn sie die runde Brille zurechtrückte und ihre langen Haare ins Gesicht fielen. Ob sie wusste, dass ihre Mitbewohnerin gefährlich war? Vermutlich sollte ich sie warnen...
Ich nahm mir fest vor sie aufzuklären, -irgendwann- denn gerade kam Aria wieder ins Zimmer und sie warf mir einen Blick zu, der mir gar nicht gefiel.~930 Wörter
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Silbergrau
Fantasy(wird überarbeitet) -Band 1- Wie jedes Jahr werden am 20. September, dem Nationalfeiertag der Republik, neue Jungmagier im Zentrum für magische Begabung empfangen. Dieses Jahr ist auch Lyria Ashton unter den 17. jährigen Magiern. Auch sie muss den n...