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 Es war ein lautes, im Takt piependes Geräusch, das mich weckte. Benommen öffnete ich meine Augen und blinzelte ein paar Mal, bevor die Angst durch meinen Körper jagte und ich erschrocken nach Luft schnappte. Sekunden später realisierte ich, dass ich mich in einem Krankenhaus befand.Die Vorhänge vor mir waren halb zugezogen und der Raum nur spärlich beleuchtet. Ich spürte einen Verband, der rund um meinen Kopf gewickelt war. Meine Handgelenke und Knie waren ebenfalls verbunden. Stirnrunzelnd berührte ich die Wundkompresse an meinem Oberarm, die mit Klebepflastern zu einer Art Raster angelegt war, und folgte mit den Fingern den an meiner Brust befestigten Kabeln, die wie körperlose Adern aussahen. Ein weiteres Kabel war durch eine Art Schnalle an meinem Zeigefinger befestigt. Eine klare Flüssigkeit floss aus einem Infusionsbeutel über einen Kunststoffschlauch und eine Infusionsnadel in meine Armbeuge. Ich schauderte, als ich die Nadel packte, mir auf die Innenseite meiner Wange biss und sie herauszog. Es dauerte nicht lange, bis ich alle Kabel entfernt hatte, da schwang ich meine Beine aus dem Bett und stellte mich auf den Boden. Langsam tastete ich mich voran. Zwar etwas wackelig auf den Beinen und barfuß, aber ich kam voran.Bei der Tür angekommen, machte ich eine kurze Atempause, drückte langsam die Klinke hinunter und schaute auf den Menschenleeren Flur hinaus, der noch schlechter beleuchtet war als es mein Zimmer war. So leise ich konnte, schlich ich den Flur entlang und war bereits am grün leuchtenden Notausgang angekommen, als mich eine mir bekannte Stimme zurückschrecken ließ. Ertappt zog ich den Arm zurück, der bereits nach der Klinke gegriffen hatte. Mein Herz klopfte wie verrückt, als ich mich herumdrehte und sagte: "Ich suche nur die Toilette." Vergeblich versuchte ich, im dunkeln, zu erkennen wer da vor mir stand. "Wieso rufst du  nicht nach einer Schwester? Du weißt schon, eine von den Leuten, die dazu da sind, um dir zu helfen." Ich antwortete nicht auf seine Finte, und versuchte mich daran zu erinnern, woher ich die Stimme kannte, die zu mir sprach. "Kenne ich dich?" wollte ich stattdessen wissen und stützte mich mit der Hand an der Wand ab. "Ich bin der Typ, der dich zurück auf dein Zimmer bringt." Noch bevor ich etwas erwidern konnte, wurde ich an der Hüfte gepackt, in die Luft befördert und von der Tür weggetragen. Ich hing kopfüber von seiner Schulter herunter, mein Kopf ganz nah an seinem unteren Rücken. „Lass mich sofort runter!" rief ich und klopfte mit den Fäusten auf seinen Rücken. "Kannst du vergessen." Er lachte leise und der Klang seiner tiefen Stimme ließ seinen Körper leicht vibrieren. "Was denkst du eigentlich, wer du bist, dass du einfach...-" "Was denkst du denn, wer du bist?" Er klang, soweit ich das beurteilen konnte, nicht sonderlich amüsiert über die Situation, in der er sich befand. Ihretwegen. „Mitten in der Nacht versuchen zu verschwinden, im Krankenhaushemd und ohne Schuhe. Wo wolltest du überhaupt hin?" Ich spürte, wie mir die Röte in die Wangen schoss, und schob es aufs Kopfüberhängen. Als ich gerade dazu ansetzen wollte, etwas zu erwidern, wurde ich erneut unterbrochen, diesmal jedoch nicht von ihm. Er blieb stehen und lockerte seinen Griff über meiner Hüfte. Ich sah bloß die kurzen Beine einer Frau, die hektisch auf uns zu gerannt kamen, da ich ja rückwärts von der Schulter eines Fremden herunterhing. "Was haben Sie da mit meiner Patientin vor!" kreischte die Frau und kam atemlos zum Stehen. "Ihre Patientin ist ein Flüchtling, Schwester Nora," antwortete der Er. Seine Stimme klang nicht mehr so anklagend wie zuvor. "Ich habe die Toilette gesucht," wandte ich erneut ein und wackelte mit dem Körper. „Und jetzt lass mich runter!" Seine Stimme triefte vor Sarkasmus als er erwiderte: "Du hast die Toilette also versehentlich mit dem Notausgang verwechselt?" "Tut mir leid," zischte ich, „ich kenne mich hier noch nicht so gut aus." Die Schwester räusperte sich laut. „Nun," begann sie mit tadelndem Unterton, „ich bin jedenfalls froh, dass Sie noch am Leben sind, meine Liebe. Nachdem Ihr Herzschlag nicht mehr gemessen werden konnte, befürchtete ich das Schlimmste." Oh verdammt. Ich Idiotin hatte nicht daran gedacht, dass jemand alarmiert werden würde, nachdem ich all die Kabel entfernt hatte. Zugegebenermaßen habe ich an nicht besonders viel bei dieser Flucht gedacht.  „Wie gesagt, ich wollte auf die Toilette. Und jetzt lass mich runter, ja?!" Er seufzte laut, als er mich langsam und vorsichtig auf den Boden sinken ließ. Ich klopfte mir genervt das Nachthemd glatt und sah ungläubig auf, als der er wieder anfing zu lachen. Was war denn sein verdammtes Problem? Die Schwester räusperte sich erneut. "Folgen Sie mir bitte auf ihr Zimmer." Sie klang freundlich, duldete jedoch keine Widerrede. Ich lief ihr trotzig hinterher. „Musst du gar nicht mehr auf die Toilette?" Er lief voraus und sah nicht zu mir zurück, während er mit mir sprach.Ich atmete genervt aus. "Könntest du mir mal verraten, wer du verdammt noch mal bist?" Ein kurzes Schweigen. "Weißt du das denn wirklich nicht?" Ich blieb kurz stehen und musterte ihn so gut es in dem dunklen Flur ging. Meine Augen hatten sich bereits an die Dunkelheit gewöhnt, doch nun sah ich nur seinen Rücken vor mir. "Nein...", sagte ich. "Ich weiß nicht... sollte ich?" Er blieb stehen, als er merkte, dass ich nicht weiterlief, sah nur kurz zurück und lief dann weiter „Jedenfalls trägst du keine Arbeitsklamotten", vermutete ich weiter und schnalzte abschätzig mit der Zunge. "Arbeitsklamotten?" Er lief nun etwas langsamer, sodass ich zu ihm aufholen konnte. Mir fiel es bei jedem Schritt schwerer bei Atem zu bleiben, da die Erschöpfung mich einholte. "Ja, Arbeitsklamotten. Oder hast du schon Feierabend?" Er stockte kurz in seiner Bewegung und sagte dann kein Wort mehr. „Verstehe." Ich nickte wissend. „Deshalb hast du mich auf dem Flur erwischt. Du warst auf dem Weg nach Hause." Er schwieg und der restliche Weg bis zum Zimmer war beängstigend ruhig. Plötzlich konnte ich spüren, wie kalt mir eigentlich war und wie müde und schwach ich mich fühlte. Im Zimmer angekommen, legte ich mich schnell in das Bett und ließ mich schmollend von der Schwester verkabeln. Innerlich war ich jedoch froh, wieder in eine Decke gewickelt im Bett zu liegen. Auch wenn das nervige Piepen wieder einsetzte. "Wenn Sie das nächste Mal auf die Toilette möchtest, drücken Sie einfach auf den roten Knopf neben dem Bett, ja, Liebes? Dann kommt jemand, der Ihnen hilft." Als sie mir erneut die Injektionsnadel in die Haut stach, zuckte ich zusammen. „Wir haben nur nicht damit gerechnet, dass Sie heute aufwachen würden, nachdem Sie so lange im Koma lagen." "Im Koma?" wiederholte ich entsetzt. Stirnrunzelnd sah ich der Schwester dabei zu, wie sie etwas in das Gerät zu meiner Linken eingab und realisierte, dass ich tatsächlich keine Ahnung hatte, was ich in diesem Krankenhaus zu suchen hatte. Warum kann ich mich an nichts erinnern? Das Piepen wurde schneller. "Sie sollten jetzt schlafen und sich ausruhen, das wird Ihnen gut tun, Schätzchen." Skeptisch sah ich die Schwester an, die ärgerlich mit der Zunge schnalzte. Gott, diese Kopfschmerzen. "Ich komme morgen früh wieder vorbei, Liebes. Schlafen Sie jetzt erstmal eine Runde und denken Sie immer daran, auf den Knopf zu drücken, falls Sie etwas brauchen." Die Schwester hantierte kurz an dem Schlauch herum, mit dem die Nadel verbunden war, checkte den Infusionsbeutel und ging dann auf die Tür zu. Es fühlte sich an, als hätte sie mir Gift in den Arm gejagt. Meine Augenlider wurden schwer. "Jungchen, lass das Mädchen schlafen und komm morgen wieder." Sie stand im Türrahmen und musterte den Typen, der abseits an der Wand lehnte und sie ruhig beobachtete.  Die Schwester dachte kurz nach und riss dann die Augen auf. „Was machst du denn überhaupt noch hier? Die Besuchszeit ist schon längst um!" Besuchszeit? Ich konnte meine Augen kaum geöffnet halten. „Ich komme ja schon", sagte er leise, oder wurden meine Ohren einfach nur schlechter? "So spät ist es doch überhaupt nicht." Ich lächelte schwach, als die Schwester spielerisch drohte: "Was habe ich da gerade gehört?" Seine Antwort bekam ich nicht mehr mit, denn mir wurde schwarz vor Augen. Und aus irgendeinem Grund kam mir dieses Gefühl mehr als nur bekannt vor.

Ich träumte von Holz. Blutige Äxte steckten in verrotteten Baumstümpfen. Die vertrocknete Rinde blätterte ab und verwandelte sich auf dem Weg zum Boden in messerscharfe Glassplitter. Ich roch altes, nasses Holz. Ich wollte die Nase rümpfen, doch bemerkte erst viel zu spät, dass ich meinen Körper nicht bewegen konnte. Ich spürte Wut und Angst. Eine Flut von Emotion und Erinnerung. Alles auf einmal. Ich wollte aufwachen, dem Alptraum entfliehen. Ich konnte mich nicht bewegen. Da war ein Schleier aus Müdigkeit, ein fahler Geschmack in meinem Mund. Ich hörte zwei Männer. Schritte kamen auf mich zu. Ein Tritt gegen ein Bett. Holz, überall Holz. 

Und dann nichts mehr.

Als ich aufwachte, war ich erschöpft und verschwitzt, und ich fühlte mich schwächer als je zuvor. Ich blinzelte gegen das blendende Licht an. "Du hattest einen Alptraum." Eine Stimme. Ich rieb mir ungläubig über die Augen, als ich mich an das Licht gewöhnte und den Jungen erkannte, der vor dem Bett auf einem Stuhl hockte und mich unsicher beobachtete. "Habe ich was im Gesicht?" fragte er verwirrt, als er meine Reaktion auf sich bemerkte. Schnell räusperte ich mich und sah zur Seite. Er sieht schön aus, dachte ich, wie ein Engel. Seine hellen, blauen Augen hätte man beinahe als eisig bezeichnen können, wäre da nicht dieses liebevolle Funkeln in ihnen gewesen, das mich schnell vom Gegenteil überzeugte. Und die dunklen blonden Haare, die ihm zerzaust auf die Stirn fielen, während er so verunsichert lächelte. "Hey, -eh, alles okay mit dir? Soll ich Schwester Nora holen?" Ich blinzelte ein paar Mal und spürte die Röte, die sich auf meine Wangen schlich. "Alles in Ordnung." Ich räusperte mich erneut und musterte ihn unverhohlen. Diesmal jedoch verengte ich meine Augen zu Schlitzen. „Du arbeitest überhaupt nicht hier, oder?"  Er sah sie verwirrt an. „Arbeiten? Wieso...- " "Ich glaube...-", platzte es plötzlich aus mir heraus, „Ich habe von dir geträumt." Sofort schlug ich mir die Hand vor den Mund. Er schaute auf und hob dabei belustigt eine Augenbraue. „Von deiner Stimme," korrigierte ich mich schnell, „ich habe von deiner Stimme geträumt."Verlegen sah ich auf die Bettdecke. „Ich erinnere mich wieder." "Na ja," sagte er und zuckte mit der Schulter, „das du von meiner Stimme geträumt hast, ist gar nicht mal so abwegig. Immerhin habe ich dich gefunden und mit dir gesprochen." Ich biss mir, als er mir mit einem mitleidigem Blick entgegensah, auf die Innenseite meiner Wange. „Wie hast du mich gefunden?" Er atmete tief ein und aus und begann kurz und knapp zu erzählen: "Wir laufen jedes Jahr so einen bescheuerten Spendenmarathon in der Schule und die  Route durch den Wald bleibt immer dieselbe. Auf der Strecke habe ich mein Handy verloren." Er räusperte sich, weil ich den Kopf schräg zur Seite legte. „Du kannst jedenfalls sehr laut schreien. Und deshalb haben wir dich dann anstelle des Handys gefunden." Langsam fügte sich in meinem Kopf einiges zusammen und ergab einen Sinn. "Jeffrey..." murmelte ich leise, als mir der Name durch den Kopf schoss. Der Junge zeigte mit dem Finger auf sich selbst und sagte: "Ich bin Josh."  "Nein..., ich meine, Jeffrey. Einer der Entführer hieß so. Und der andere..." Ich drückte mir Zeige- und Mittelfinger gegen die Schläfe und schwieg um nachzudenken. "Jeffrey und Julio." Josh fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. „Die Namen hast du gemurmelt als ich dich auf dem Arm hatte. Das habe ich der Polizei auch schon erzählt." "Der Polizei..." murmelte ich und hob den Kopf, um ihn anzusehen. „Danke." "Nichts zu danken," erwiderte er. „Außerdem war ich ja nicht alleine... Ich hatte-" Schwester Nora öffnete die Tür mit voller Absicht, in voller Lautstärke. "Schätzcheeen," sagte sie überschwänglich. „Wie geht es Ihnen heute?" Sie kam mit schnellen Schritten auf das Bett zu und warf Josh dabei einen Warnblick zu. "Schon viel besser, danke." Ich lächelte. In meinem Kopf hallten die Namen Jeffrey und Julio wider, wie ein tödliches Mantra, und auch das piepsende Geräusch beschleunigte sich wieder. Die Schwester stellte es leiser. "Na, das klingt doch gut!" Sie tätschelte mir kurz den Arm. "In einer Stunde werden einige Tests vom Doktor durchgeführt und danach bekommen Sie Besuch von zwei Detektives. Sie wollen Ihnen einige Fragen stellen. Vorher müssen Sie noch etwas essen und am besten mal ein bisschen laufen." Ich schluckte und sah hilfesuchend zu Josh. „Keine Sorge, Schätzchen," sagte sie, als sie meinen Blick bemerkte. „Sie sind hier in Sicherheit."

In Sicherheit... vor was?

Lost in a Perfect NightmareWo Geschichten leben. Entdecke jetzt