„Erklären Sie uns bitte noch ein letztes Mal, woran Sie sich erinnern können und lassen Sie dabei bitte kein Detail aus." Ich seufzte. „Ich habe es Ihnen doch schon erklärt." Die Detektivs, eine streng dreinblickende Frau mit zurückgebundenem Zopf und dunklem Haar, und ein halb so ernster blonder Mann mit breiten Schultern, starrten auf mich herab. An den Wänden hinter ihnen hingen selbstgemalte Bilder von Kindern aus der Station. Langsam bereute ich es, den Doktor nach den Tests darum gebeten zu haben, für die Befragung aus meinem Krankenhauszimmer in einen anderen Raum gebracht zu werden. Ich wollte nicht in meinem Bett liegen und hilflos wirken, während die Detektivs mich befragten. Trotzdem setzten sie sich nicht zu mir an den Tisch. Dabei hatte ich sogar extra die Wachsmalstifte an die Seite geräumt. „Wir wissen, dass Ihnen die Erinnerungen in Bezug auf das Thema nicht leichtfallen-" Ich unterbrach die Detektivin, indem ich die Hand hob. „Ich habe es schon dem Doktor und auch dem Psychologen gesagt, der gekommen ist, um mit mir zu sprechen. Und ich werde es Ihnen gerne ein drittes Mal sagen, wenn Sie das wollen." Ich ließ die Hand sinken und presste mir die Finger gegen die Schläfen. Ich hatte schreckliche Kopfschmerzen. „Ich weiß, dass ich Claire Anderson heiße. Ich weiß, dass ich vor kurzem 17 Jahre alt geworden bin und ich weiß, dass ich Pizza über alles liebe." Beinahe hätte ich angefangen zu lachen, so bizarr war diese Situation für mich. Der Detektiv, der bisher noch nicht viel zur Befragung beigesteuert hatte, schob einen der Stühle zurück und setzte sich mit einem Seufzen zu mir an den Tisch. Dass er, so breit wie er war, auf den Stuhl passte, war so grotesk, dass ich tatsächlich kichern musste. Er schmunzelte. „Sie wissen, worüber die Entführer während der Gefangenschaft gesprochen haben?" Ich ballte die Hand unter dem Tisch zur Faust. Das Kichern war mir im Hals stecken geblieben. „Ich habe Ihnen schon gesagt, dass einer der beiden Jeffrey hieß. Er sprach über einen Mann namens Julio. Der war aber nicht da. Sie sagten, er wäre es gewesen, der mich betäubt hatte, und dass sie sich wundern, dass ich überhaupt noch lebe. Sie meinten, sie wollten nicht, dass ich noch einmal wach werde, bevor ihr Boss kommt, und deshalb haben sie mich wieder betäubt. Ich habe keine Ahnung, wie, wo oder wann sie mich entführt haben. Und warum, weiß ich erst recht nicht." Die Detektivin begann auf und ab zu laufen. „Und erkennen konnten Sie die zwei Entführer nicht." Ich schüttelte mit dem Kopf. Auch das hatte ich bereits erwähnt. „Und alles vor der Entführung...?" Ich schüttelte erneut mit dem Kopf. Der Psychologe hatte gemeinsam mit mir ein Profil voller Dinge erstellt an die ich mich erinnern konnte, und gesagt, dass es sehr wahrscheinlich war, dass alle Erinnerungen mit der Zeit zurückkommen würden. Ich solle mir darüber jedoch nicht allzu viele Gedanken machen und versuchen, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und das Wesentliche war alles, was ich bereits wusste. Ich war Claire Anderson, 17 Jahre alt, und ich liebte Pizza über alles. „Haben Sie denn schon eine Spur?" Ich griff nach einem der Wachsmalstifte. Nervös spielte ich damit herum und zupfte das Papier ab, das um den Stift herumgewickelt war. Der Detektiv lächelte aufmunternd. „Wir könnten eine haben, wenn Sie uns ein wenig auf die Sprünge helfen könnten." Ich presste die Lippen aufeinander. „Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll." Die Detektivin versuchte aufmuntert zu lächeln als sie sagte: "Soll ich ihnen ein wenig unter die Arme greifen?" Ich zuckte mit der Schulter als sie bereits begann zu erzählen; „Sie wurden vor knapp einer Woche in einem Internat namens St. Maria als vermisst gemeldet. Zu Ihrem 17. Geburtstag haben sie sich mit einigen Freunden aus dem Internatsgelände geschlichen, um eine Party in der Stadt zu besuchen. Laut Angaben Ihrer Freunde waren Sie jedoch der Meinung gewesen, lieber in dem Wald feiern zu wollen, um ein bisschen Spaß zu haben, erinnern Sie sich?" Der Detektiv warf mir einen beinahe spöttischen Blick zu und führte die Erzählung weiter: „Sie waren allesamt betrunken durch den Wald spaziert. Das muss auf Dauer ziemlich anstrengend gewesen sein, denn Ihre Freunde sagten, sie hätten keine Lust mehr gehabt und wollten das Gelände verlassen, um auf die Party in der Stadt zu gehen. Als sie also den Kurs gewechselt und in Richtung Stadt gelaufen waren, machten sie eine Szene vor der Veranstaltung und wurden aggressiv. Bevor Ihr Freund-," Der Detektiv musterte mich eingehend, doch ich zuckte nicht einmal mit der Wimper. Die Geschichte war mir nicht fremd. Mit dem Psychologen war ich sie bereits durchgegangen, um meiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen. Zwar nicht so detailliert, aber dennoch, ich zuckte nicht mit der Wimper. „-sie beruhigen konnte, waren Sie bereits davongelaufen und hatten Ihren Freunden zurückgelassen. Diese gingen also davon aus, dass Sie sich zurück in das Internat begeben würden. Dass Sie dort jedoch nicht eintrafen, bemerkte man erst am späten Abend des nächsten Tages." Ich nickte und sagte das, was ich schon die ganze Befragung über gesagt hatte: „Ich erinnere mich aber nicht mehr daran." Sie musterten mich schweigend. „Da kann man wohl nichts machen." Der Detektiv streckte gähnend die Arme in die Luft, als wäre er gerade aus dem Bett gekommen. Nahm er mich nicht ernst? „Diese Erzählung", sagte ich und kniff die Augen zusammen. "Die klingt für mich wie etwas, das genauso gut die Geschichte einer ganz anderen Person hätte sein können, und nicht meine eigene. Ich erinnere mich an kein Internat, an keine Freunde und auch an keinen..." Ich stockte kurz „...und auch an keinen Freund. Wenn ich etwas wüsste, würde ich es Ihnen sagen!" Ich erhob mich frustriert um nicht mehr so klein und schwach zu wirken, fühlte mich dabei jedoch wie ein trotziges Kind das wütend mit den Füßen aufstampft um ernst genommen zu werden. "Sie haben gesagt, Sie wüssten, dass Sie vor kurzem 17 Jahre alt geworden sind?", fragte die Detektivin ohne Regung in der Stimme. „Dass ich 17 geworden bin, weiß ich, weil vor kurzem der 05.05. war und ich an dem Tag nun mal Geburtstag habe. Außerdem habe ich einen Psychologen, mit dem ich über solche Sachen spreche." „Verstehe." Der Detektiv gähnte wieder. „Gretchen, haben wir hier dann genug?" Sie sah überhaupt nicht aus wie eine Gretchen, fand ich. Und besonders zufrieden über die Entwicklung des Gesprächs war sie auch nicht. „Dass sie in dieser Nacht unbedingt tiefer in den Wald wollten und sich mitten in der Nacht von Ihren Freunden getrennt haben, das scheint Ihnen nicht etwas... suspekt?" Ganz beiläufig packte Gretchen ihren Hefter in die Tasche, während der Detektiv sich erhob. „Suspekt?" wiederholte ich verwirrt und sie lächelte. „Ja genau. Dass jemand Sie aufschnappt, bereit Sie zu betäuben, genau in der Nacht, in der Sie sich selbst dazu bereit erklärt haben, allein durch den Wald zu schlendern. Allein und betrunken." Ihr Lächeln machte mich nervös und ich brach versehentlich den Wachsmalstift in meiner Hand in zwei Teile. Schnell ließ ich die Stücke auf den Tisch fallen. Dann streckte sie mir ihre Hand entgegen und musterte mich eindringlich. Ich nahm sie verwirrt in meine eigene und schüttelte sie. „Ich danke Ihnen für Ihre Zeit und Ihre Ehrlichkeit, Claire Anderson." Genug Zeit, um mir über ihre Worte Gedanken zu machen und wie ernst sie sie meinte, hatte ich jedoch nicht, denn der Detektiv stand bereits an der Tür und nickte mir einmal zum Abschied zu. „Bei weiteren Fragen melden wir uns bei Ihnen." Und als die beiden endlich verschwunden waren und ich längst wieder im Bett lag, wurde ich das dumpfe Gefühl nicht los, dass die beiden Detektive mich an dem Abend nicht nur routinemäßig befragt hatten. Ich fragte mich, ob es einen Unterschied zwischen Befragen und Verhör gab. Vielleicht hätte ich doch lieber im Bett bleiben sollen um schwach zu wirken, waren meine letzten Gedanken an dem Abend. Und dann schlief ich ein.
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Lost in a Perfect Nightmare
RandomWisst ihr wie es ist die Neue zu sein? Ganz von vorne Anzufangen und sein Altes Leben hinter sich zu lassen? Claire tut es, denn sie ist diejenigen, die ihr altes Leben hinter sich lassen muss, um neu anzufangen. Und eine Wahl hatte sie nicht .