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Komischerweise hatten sich alle in der Mitte der Tanzfläche versammelt und bildeten dort einen großen Kreis. Gab es etwas umsonst?  Schnell drängelte ich mich durch die Menge bis ganz nach vorne. In der Mitte des Kreises standen zwei Mädchen. Eine der beiden hatte lange schwarze, die andere blondes Haar. Wie Tag und Nacht, dachte ich, als ich bemerkte, wie laut sie sich stritten. Ich verstand nicht genau, worum es ging. Hinter dem blonden Mädchen stand Eric und flüsterte ihr hektisch ins Ohr. Moment mal. Ich kniff die Augen zusammen. Eric? Sofort bahnte ich mir einen Weg zu ihm durch und stellte mich neben ihn und Leyna. "Was ist los?" wollte ich wissen und hielt mich an Erics Arm fest. Die Welt fing plötzlich an, sich zu drehen. "Hast du zu viel getrunken?" fragte er und sah kurz zu mir herunter. „Nein?" Ich ließ ihn wieder los. „Ich bin ja kein Baby mehr!" Ich torkelte zur Seite und Eric packte mich am Arm. „Das hat mir gerade noch gefehlt." Er wollte ebenfalls nach Leyna greifen, doch sie wich zur Seite. "Tut mir wirklich leid, dass ich dir etwas wegnehme, das nicht dir gehört!", höhnte das schwarzhaarige Mädchen und Leyna machte einen wütenden Laut, bevor sie erwiderte: "Eric gehört niemandem!" Ich merkte sofort, dass sie betrunken war. Hätte sie sich lieber ein Beispiel an mir genommen und nicht so viel getrunken. Die Schwarzhaarige machte einen Schritt auf Leyna zu. Der Kreis verkleinerte sich. Das sah gefährlich aus. Ich riss mich von Eric los und stellte mich neben Leyna. "Komm bloß nicht näher!" Ich stemmte wütend die Arme in die Hüfte. Was redete ich da bloß? Das Mädchen zog eine Augenbraue in die Höhe und sah herablassend zu mir herunter. "Und wer bist du, du kleiner Troll? " Ich wollte etwas erwidern, auch wenn mir nicht wirklich etwas zu meiner Verteidigung einfiel, da tauchte Jake zwischen uns auf und hob die Arme in beide Richtungen. "Bitte Ladys!", sagte er, „beruhigt euch bitte!" Wir drei starrten ihn böse an und er machte ein hilfloses Gesicht. „Du bist so armselig, Ayla." Leyna sprach einfach an Jake vorbei. „Halte Claire gefälligst da raus, sonst...-" "Sonst was? Spannst du mir dann meinen Freund aus?" Das Mädchen namens Ayla schob Jake beiseite. „Oh ja, ich vergaß, das hast du ja schon längst." Die Menge machte johlende Geräusche und Leyna, die nach meiner Hand griff, zerdrückte diese vor Wut schmerzhaft. Ich wollte nichts sagen, doch als ein weiteres Mädchen sich neben das, mit den schwarzen Haaren stellte, dessen zerzaustes Haar in alle Richtungen abstand, drückte sie fester zu und ich quickte auf. "Was ist hier los?" fragte das neu dazugekommene Mädchen pikiert und hielt dabei ein Weinglas in die Höhe. "Nur eine kleine Diskussion, nichts wildes." Jake, erntete erneut böse Blicke. Das neue Mädchen warf Leyna und mir einen angewiderten Blick zu und Eric fing wieder an, leise auf Leyna einzureden. "Was kann ich denn dafür, dass du ihm nicht gut genug warst?", sagte Leyna und Eric schlug sich mit der Handfläche dumpf auf die Stirn, als die Schwarzhaarige erwiderte: "Was hast du gerade gesagt?" Jetzt kam sie noch näher. "Sie hat gesagt, dass du ihm nicht gut genug warst", wiederholte ich „Und dass diese Diskussion jetzt vorbei ist." „Ja! Ja genau, sie ist vorbei!" Eric. „Wir sollten jetzt wirklich alle auf Claire hören!" Jake. "Du weißt ganz genau, was ich gesagt habe", sagte Leyna und ließ von meiner Hand ab. Endlich."Ich will es noch mal hören", erwiderte Ayla provokant. "War das eine Mal denn nicht genug?" Leyna. "Weißt du, was mir gerade NICHT genug ist?" Der Snob mit dem Wein. "Was denn?" fragte ich, weil mich die Antwort wirklich interessierte. Sie schaute mir ins Gesicht und sagte: "Euch anschauen zu müssen, ohne in eure hässlichen Visagen schlagen zu können!" "Versace Visage", sagte ich und Leyna hielt sich prustend die Hand vor den Mund. Ich stimmte mit ein und merkte nicht, wie die Schwarzhaarige mit ihrer Hand ausholte und Leyna beinahe ins Gesicht geschlagen hätte, wäre Noah nicht blitzschnell dazwischen gegangen, um ihren Arm in der Luft zu stoppen, indem er sie am Handgelenk gepackt hielt. Er stand plötzlich mitten im Geschehen und sah mehr als nur genervt darüber aus. "Hi lieber Noah," sagte ich "lange nicht gesehen." Weinglas-snob schaute verwirrt zwischen mir und ihm hin und her. Noah ließ den Arm des Mädchens los und hob warnend eine Braue. Langsam ließ sie ihn sinken. "Ja, Claire, wirklich sehr lange nicht gesehen." Ich lächelte. "Kommt, lasst uns endlich gehen." Eric schaltete sich wieder ein und Leyna nickte diesmal zustimmend. „Wir sind hier fertig", sagte sie und zog mich an dem Weinglas-snob, der Schwarzhaarigen und Noah vorbei aus der Menge. Die klebrige, rote Flüssigkeit auf meinem Kleid spürte ich erst, als Leyna mich schon fast aus der Menge manövriert hatte. Ich fuhr herum und riss Leyna, die mich an der Hand hielt, somit ebenfalls zurück. Jetzt war ich diejenige, die ihre Augenbraue hochzog. "Gibt es ein Problem?" fragte das Mädchen, dessen Weinglas nun leer war lächelnd. "Keins, dass ich nicht lösen könnte," antwortete ich Wimpern klimpernd. Die Leute, die sich bereits zerstreut hatten, weil sie dachten, es würde nichts Spannendes mehr passieren, staunten nicht schlecht, als ich auf das Mädchen zusprang und sie mit mir auf den Boden riss. Das Glas zersprang in tausend Teile und verteilte sich über dem roten  Weins auf dem Boden. Genauso plötzlich, wie ich gesprungen war, schossen mir plötzlich die Bilder in den Kopf. Die Scherben, überall verteilt auf dem Boden. Das eingeschlagene Fenster in dem Haus im Wald. Ich bemerkte nicht, wie sie die Oberhand gewann und mich auf den Boden drückte. Blut, Kälte, Angst & Schmerz. Sie schlug mir ins Gesicht, schnürte mir mit ihrem Oberkörper die Luft ab. Scherben, überall Scherben. Sie stachen mir in den Rücken und in meine Arme. Ich schrie wie am Spieß. Die Menge johlte. Sahen sie es denn nicht? „Hilfe!" schrie ich so verzweifelt, dass mir die Tränen in die Augen schossen. Der Druck über mir verschwand. Ich schlug wild um mich. „Ich bin's, Noah." Ich schluchzte. „Es ist vorbei, keiner tut dir mehr weh." Ich flog. „Keiner tut dir mehr weh." Eine warme Brust. Ich schloss die Augen.

Noah hatte mir ein Glas Wasser in die Hand gedrückt, nachdem er mich in einem Zimmer im Obergeschoss abgesetzt hatte. Ich saß auf einem ungemachten Bett und musste plötzlich an das Mädchen mit dem Wein und den zerzausten Haaren denken. Hier oben bekam man nicht mit, was unten vor sich ging. Man hörte nicht einmal mehr die Musik. Ich hielt die Augen geschlossen und zählte im Kopf bis 100. Etwas das McCann mir geraten hatte. Mein Atem beruhigte sich. Als sich die Tür öffnete, schaute ich nicht auf. "Claire, mach die Augen auf, ich möchte mir deine Verletzungen ansehen." Ich dachte kurz darüber nach, Noah zu ignorieren und so zu tun, als wäre er überhaupt nicht da, nickte dann aber und öffnete meine Augen. Stumm streckte ich ihm die Arme entgegen. Er stand da, mit einer Wasserschüssel, einem feuchten Tuch und einem Verbandskasten. "Erstmal dein Rücken, das ist jetzt wichtiger." Ich kehrte ihm den Rücken zu und wartete. Das Bett quietschte, als er sich zu mir setzte. Nach einer Weile räusperte Noah sich und ich sah über die Schulter zurück zu ihm. „Was?" fragte ich. „Ich dachte, du willst dir meinen Rücken ansehen." Er sah mir in die Augen und deutete mit einem Nicken auf die Träger meines Kleides. „Darf ich?" Ich schnaubte. "Als wäre da etwas, das du noch nicht gesehen hast." Dann schob ich die Träger des Kleides selbst zur Seite und klappte den oberen Teil des Kleides nach unten. Ich trug keinen BH, also verschränkte ich einen Arm vor der Brust. Leynas Kleid war sowas von hinüber. Ich zuckte zusammen, als Noah mit dem Tuch sanft über meinen Rücken tupfte. „Sieht nicht so schlimm aus," murmelte er und seine Stimme verlor sich leise. Die Sekunden verstrichen und ich bekam eine Gänsehaut. "Viel zu tun da hinten?" Ich sah über die Schulter zu ihm zurück. "Ob es viel zu tun gibt, da hinten." Gerade strich er mir noch einmal über den Rücken, da schweifte sein Blick auf den Arm, mit dem ich meine Brüste verdeckte, und verharrte dort. "Noah?" fragte ich belustigt und sofort schaute er mir wieder in die Augen. Sie hatten sich verdunkelt. Dann blinzelte er. Er stand auf und zog sich sein eigenes Shirt über den Kopf. "Noah?", fragte ich verwirrt und beobachtete die Muskeln auf seinem Bauch. Er verdrehte die Augen und sagte. "Das sollst du dir nur überziehen, Claire. Du kannst ja schlecht mit Leynas kaputtem Kleid durch die Gegend rennen." „Oh." machte ich und schluckte schwer. "Ja, klar. Macht Sinn." "Außer du willst vielleicht etwas anderes mit mir ohne Shirt anstellen?" Ich streckte ihm die Zunge raus und er gab mir sein T-Shirt. "Jetzt deine Arme" sagte er, als ich mir das Shirt überzog. Ich konnte meine Arme nicht lange genug hochhalten, ohne dass sie anfingen zu zittern. Er hielt sie für mich fest und tupfte mir das Blut mit dem Tuch ab. Dann schaute er nach Glassplittern, aber ich hatte Glück und keine hatten allzu tief ins Fleisch geschnitten. Beim Desinfizieren zuckte ich zusammen. "Hoffen wir, dass es nicht wieder anfängt zu bluten." Noah stellte die Schüssel, mit dem rötlichen Wasser und dem nassen Tuch, neben dem Verbandskasten auf den Boden. „Woher weißt du überhaupt, dass das Leynas Kleid ist?" Ich begutachtete den Verband, mit dem er mir um den rechten Oberarm gebunden hatte. Er sah zu mir auf und zuckte mit einer Schulter. Kurze Stille. Ich biss mir auf die Unterlippe. „Warst du noch einmal unten?" "Leyna geht es blendend." Er lachte. „Um Ayla solltest du dir sorgen machen." "Was meinst du? Was ist passiert?" Ich versuchte angestrengt nur in seine Augen zu sehen, während er mit mir sprach, denn seine Brustmuskeln zuckten, wenn er lachte und aus einem mir unerklärlichem Grund, ließ mich die Bewegung nicht so kalt, wie ich es gerne hätte. "Leyna hat ihr die Nase gebrochen", erzählte er so beiläufig, als wäre es das normalste der Welt. "Was?!" Ich sprang auf und mir wurde schwarz vor Augen. "Mach langsam!" Noah hielt mich an der Hüfte. „Setz dich wieder, ja?" "Ich will aber zu den anderen", bockig schob ich meine Unterlippe vor. Er übte leichten Druck auf meine Hüfte aus . Seine Hände fühlten sich warm an. Ich schloss meine Augen und lehnte den Kopf an seine Brust. Niemand sagte etwas. Als wäre ich plötzlich in Flammen aufgegangen und unerträglich heiß, riss Noah in die Hände von mir weg und trat zurück. "Du hast recht," sagte er. "Wir sollten runtergehen und sehen, was los ist." Er sah mich nicht mehr an. "Dieses Mal aber etwas langsamer, ja?"

Lost in a Perfect NightmareWo Geschichten leben. Entdecke jetzt