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Noah warf seine Schlüssel auf die Ablage im Flur, als wir das Haus betraten und Said davongefahren war. Josh flüchtete direkt in sein Zimmer. "Hast du Hunger?" fragte Noah und schaute über die Schulter. Ich war gerade dabei, meine Schuhe in die Ecke zu werfen. "Was ist das für eine Frage?" antwortete ich verschmitzt lächelnd, sah Josh jedoch besorgt dabei zu, wie er die Treppe Hinauflief, ohne sich umzudrehen. "Ich habe immer Hunger." Noah grinste. "Chinesisch?" "Hmm..." machte ich und tat so, als müsste ich angestrengt über das Angebot nachdenken. "Und ich dachte schon, du willst mich mit deinen Kochkünsten beeindrucken." "Du denkst, ich könnte das nicht?" Er hob herausfordernd eine Augenbraue. "Überzeug mich doch vom Gegenteil." Ich lehnte amüsiert an der Wand, während Noah die Küche betrat und sich tatsächlich und ohne umschweife ans Werk machte. "Kannst du bitte aufhören, mich so... anzustarren?" fragte er, ohne aufzuschauen, und kniff seine Lippen fest aufeinander. Er studierte gerade angestrengt die Spaghettipackung. Abwehrend hob ich die Arme und machte einen Schritt zurück. "Alles klar, Chefkoch, solange du mir auch wirklich etwas Leckeres zu essen machst... Ich gehe solange duschen." "Würde ich dir auch raten, man riecht dich sogar bis hierher." Ich streckte ihm den Mittelfinger entgegen und stieß mich gleichzeitig von der Wand ab. "Enttäusch mich nicht," sagte ich und lief zu der Treppe, "du Arschloch."

Ich trocknete mir gerade die Haare mit einem Handtuch, da lockte ein verführerischer Duft mich auf den Flur. Ich hatte ein ausgiebiges Bad genommen und mir dabei extra viel Zeit gelassen. Mit einem guten Gefühl lief ich zurück in die Küche. Vielleicht lag es an dem ausgiebigen Bad, vielleicht an dem Essen, das so gut roch, oder an Noah selbst, der gerade dabei war, die Spaghetti mit Soße zu übergießen, dass ich plötzlich so gute Laune bekam. "Du kommst genau richtig," sagte er und schaute kurz in meine Richtung. "Ich hab mir extra Zeit gelassen. Du weißt schon, damit du, falls das mit deinen Kochkünsten doch nicht so hinhaut, ein paar Rettungspizzen bestellen kannst." "Ich hab doch gesagt, dass ich es kann," erwiderte er und stellte einen Teller auf den Tisch, ohne mich jedoch eines weiteren Blickes zu würdigen. Ich runzelte die Stirn. "Das war nur Spaß, was ist denn auf einmal los?" "Nichts ist los," antwortete er bissig und versuchte, an mir vorbeizukommen. Er biss sich angespannt auf die Innenseite seiner Wange, als ich mich ihm in den Weg stellte und die Arme vor der Brust verschränkte. "Was ist los? Hab ich was Falsches gesagt? Hat Josh was gesagt? ich gehe hoch und rede mit ihm." "Ich hab doch gesagt, dass nichts los ist, und jetzt geh mir aus dem Weg." "Nicht bevor du mir gesagt hast, was passiert ist!" Meine gute Laune war verflogen. "Was verstehst du nicht unter dem Wort 'nichts'?" Er lief an mir vorbei und schubste mich mit der Schulter ein Stück zur Seite. Ich legte geistesabwesend eine Hand auf die Stelle, die er mit seiner Schulter berührt hatte. Für einen kurzen Augenblick trafen sich unsere Blicke. Ich sah direkt in seine Augen. War ich der Grund für seine Wut und seinen Frust? Ich streckte meine Hand nach ihm aus. Ich wollte ihn berühren, ihm die Trauer nehmen und die Wut zu Freude werden lassen. Es war ein Impuls, der sich nicht erklären ließ. Ich wollte es, doch er ließ es nicht zu. Kurz bevor ich sein Gesicht berühren konnte, zuckte er zurück, und dann war er vorbei, dieser kleine Moment der Schwäche. Seine Augen verdunkelten sich und ließen keine Gefühle durch die Mauer. Er riss seinen Blick los und kehrte mir den Rücken zu. "Lass es dir schmecken, Prinzessin" sagte er, und dann ging er, ohne noch einmal zurückzuschauen.

Ohne mich zu bewegen, starrte ich auf die Tür, aus der Noah soeben verschwunden war. Das Essen rührte ich nicht an. Ich hatte keinen Hunger mehr. Mein Magen fühlte sich zu heiß an, so als hätte er sich komplett zusammengezogen. Ich nahm die Hand von meinem Oberarm und biss mir auf die Unterlippe. Wie eine gefühllose Maschine begann ich, die Küche aufzuräumen. Ich wusste nicht, was ich anderes machen sollte. Ich brauchte etwas, das mich vom Nachdenken abhielt. Also wusch ich die Töpfe ab, wischte den Tisch und stellte alles zurück in die Schränke. Nur den vollen Teller ließ ich auf dem Tisch stehen. Die Küche war nun sauberer als je zuvor. Ich sollte versuchen, schlafen zu gehen... oder warten, bis Noah wieder nach Hause kommt. Frustriert nahm ich den Teller und Besteck und machte mich auf den Weg in mein Zimmer. Ich lief durch den Flur und nahm einen bissen von den Nudeln, da überlegte ich es mir anders. Ich ging nicht in mein Zimmer. Ich öffnete die Tür zu einem anderen Zimmer. Mir war egal, wie wütend Noah werden würde, wenn er nach Hause kam. Ich wollte Antworten. Ich hatte keine Lust mehr auf diese verdammte Mauer, hinter der er sich ständig versteckte. Ich hatte die Nase voll.

Lost in a Perfect NightmareWo Geschichten leben. Entdecke jetzt