Viel zu lange warten wir schon hier, ohne dass Fragen gestellt wurden, auf die sowieso niemand Antworten erhalten würde. "Warum müssen wir denn so lange warten?" sagte Demi flüsternd und trommelte mit den Fingern auf der Stuhllehne herum. "Diese Geräusche machen mich nervös, Demi, hör bitte auf damit." Josh war ruhig geblieben und hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Wort gesprochen. "Fuck!" murmelte Noah, "Fuckfuckfuck!" Er stand auf und lief in dem Raum nervös auf und ab. Dylan hatte ebenfalls noch nichts gesagt. Er saß neben mir, schwieg und blickte fassungslos an die Wand. Mit zarten Bewegungen streichelte er mir über den Rücken. Jedoch viel mehr, um sich selbst zu beruhigen. Mich machte seine streichelnde Hand nervös, aber ich sagte nichts. Hauptsache, es half ihm dabei, die Fassung zu bewahren. Der Regen trommelte hinter uns an das Fenster. Die Tropfen schlugen unaufhaltsam und hart an die Scheibe. Eines der wenigen Geräusche, die es schafften, mich wirklich zu beruhigen, denn die Stimmung war zu bedrückend. "Ich hasse es zu warten," sagte Demi wieder und versuchte, die Stimmung zu lockern. Das erste Mal an diesem Abend war ich froh, dass sie da war. "Ich meine, nicht so, nicht aus so einem Grund." "Ist eine komische Situation, nicht wahr?" erwiderte Josh und sie nickte zustimmend. "'Ist eine komische Situation, nicht wahr?'" äffte Noah ihn nach und schlug mit voller Wucht gegen einen Getränkeautomaten. "Komm schon, Noah," sagte ich, "setz dich wieder hin." Noah ließ sich neben mir auf seinen Stuhl nieder und flüsterte noch ein letztes Mal ein leises "Fuck!" Ich sah mich zum zehnten Mal in diesem Raum um. Wir saßen alle nebeneinander, direkt vor dem Schreibtisch. Die Wand dahinter war vollständig bedeckt von ausgeschnittenen Zeitungsartikeln und Flyern von vermissten Personen. Ich schaute auf den leeren Stuhl ganz außen, direkt neben dem Platz von Demi. "Wo ist dieser seltsame Junge von vorhin?" fragte ich und alle schauten unisono auf den leeren Stuhl. "Den hab ich komplett ausgeblendet," sagte Dylan, weiterhin meinen Rücken streichelnd. "Ich denke, er wird einzeln befragt," sagte Josh. "Und ich denke, wäre er gemeinsam mit uns in diesem Raum, dann hätte er überhaupt keine Chance mehr, etwas zu sagen!" erklärte Noah und Demi sah ihn verwirrt an. "Tote Menschen können ja nicht viel reden," sagte Josh und Noah nickte nachdrücklich. "Wer war das überhaupt?" fragte Dylan. "Wenn ich das nur wüsste,..." antwortete ich, wurde jedoch unterbrochen von einer sich laut öffnenden Tür. Eine ältere Frau betrat den Raum. Sie hatte kurz geschorene blonde Haare und einen strengen Blick. Sie setzte sich vor uns an den Schreibtisch. "Ich bin Officer Pearce." Keiner antwortete ihr. Sie öffnete eine Akte vor sich. "Hier steht, ihr wurdet festgenommen, und ein paar haben es geschafft abzuhauen." Wieder keine Antwort. "Findet ihr das okay, dass ihr Ärger bekommt und eure 'Freunde' einfach so davonkommen?" "Ich persönlich finde das okay," sagte ich. Sie sah zu mir auf, ihre Augen waren stechend blau. "Ich werde eure Vormünder dazu ziehen müssen." Dieses Mal kam das fluchende Fuck von Dylan. "Euch wird Hausfriedensbruch und Vandalismus vorgeworfen. Eure Eltern müssen ein paar Sachen unterschreiben." Sie schloss ihre Akte. "Ihr werdet wahrscheinlich ein paar Stunden Sozialdienst leisten und vielleicht müssen eure Eltern eine Strafe zahlen... kommt ganz auf eure Ausrede an." Ich schluckte hart, als Noah und Josh gleichzeitig sagten: "Ich habe keine Eltern." "Ich auch nicht," fügte ich kleinlaut hinzu. "Dann müsst ihr wohl noch eine Weile hier bleiben. Solange bis wir das geklärt haben." Sie lächelte humorlos. "Außerdem müsst ihr alle noch einmal verhört werden, wenn euer Vormund da ist. Ich nehme an, ihr seid alle nicht volljährig?" Wir alle schüttelten den Kopf und sie seufzte. Noah verschränkte die Arme vor der Brust. "Wir wissen doch alle, dass der Einbruch nur stattfand, weil uns langweilig war und wir ein bisschen Spaß haben wollten. Es tut uns allen leid und natürlich machen wir sowas nie wieder." Ich nickte zustimmend und nahm an, dass die anderen es mir gleichtaten. Eine Zeit lang blieb es sehr ruhig und Officer Pearce verließ das Zimmer ohne weiteres zu sagen. Noah hielt sich seine Hand an die Stirn. "Ich hasse Wein, davon bekommt man immer so verdammte Kopfschmerzen." Ich schloss die Augen und versuchte, die Stimmen der anderen auszublenden und nur auf das tropfende Geräusch des Regens zu achten. Es war nicht dasselbe Geräusch wie bei Alya zuhause. Da war der Regen noch leichter. Es war dasselbe Geräusch, das ich gehört hatte, bevor alles schief gelaufen war.
Flashback
Leyna stand singend auf dem Sofa und wedelte mit der Fernbedienung hin und her, so als wäre es ihr persönliches Mikrofon. "I've got fire for a heart. I'm not scared of the dark. You've never seen it look so easy. I've got a river for a soul." "Leyna, komm da runter, du fällst bestimmt gleich auf den Boden!" Eric versuchte schon seit mehreren Minuten, Leyna dazu zu bekommen, aufzuhören zu singen. "With your love, nobody can drag me down. Nobody, nobody. Nobody can drag me down. Nobody, nobody." Sie hielt ihre linke Hand ausgestreckt und zeigte auf Eric. Eine Aufforderung an ihn, mitzumachen. Er schüttelte jedoch genervt den Kopf und setzte sich protestierend auf den Boden. "Claire, sing mit!" rief sie mir zu, doch ich schüttelte ebenfalls verneinend den Kopf. Ich war zu beschäftigt damit, zusammen mit Ayla die Glasscherben von dem kaputten Weinglas aufzuräumen. Am Ende hatte Leyna es geschafft, Ayla zu überreden, Weintester zu spielen, und es ist genauso geendet, wie sie es vorhergesehen hatte: mit rotem Wein auf dem weißen Boden und vielen kaputten Glasscheiben. "Noah! Komm, sing du mit mir!" Und tatsächlich stand Noah von einer Sekunde auf die nächste neben Leyna und sang lauthals mit. "Omg, singt er da wirklich One Direction?" Josh stand am Türrahmen, sein Kiefer vor Erstaunen weit aufgeklappt. "Dieses Lied rockt!", schrie Wally mit seinem angezündeten Joint im Mund und tanzte um Eric herum. Ich sammelte die letzten Scherben vom Boden auf und stand dann erleichtert auf. Der arme Noah musste bei "Reich die Flasche rum" so viel trinken. Leyna hatte ihm für jeden Schluck, den ich nicht wollte, immer mehr aufgedrückt. Er hatte sich heldenhaft für mich geopfert und jetzt war er betrunkener, als alle zusammen. Leyna natürlich ausgeschlossen. Ich setzte mich neben die Anlage und beobachtete das ganze Szenario. So war es am besten, nicht mittendrin, aber trotzdem komplett dabei. Gerade tanzten alle drei um Eric herum, der nur wütend dastand und versuchte, sein Lachen zu unterdrücken, da drückte Leyna aus versehen auf eine Taste der Fernbedienung. Es war wieder das abgebrannte Internat auf dem Bildschirm zu sehen. Sofort machte ich die Anlage leise und achtete nicht auf die Proteste der drei Sänger. Es wurden gerade Leute aus dem Jungstrakt interviewt. Der B-Flügel wurde vom Feuer verschont, der C-Flügel, also der Mädchentrakt, war komplett niedergebrannt worden. Nur der A-Flügel konnte gerettet werden. Zwar waren dort auch Brandspuren zu sehen, doch unterrichtet konnte dort nicht mehr werden. Die Renovierungen würden dort nicht allzu lange dauern. Die Polizei war noch nicht dabei zu ermitteln, wegen des aufkommende Sturms. Derweil befanden sich alle Jugendlichen, die in den Ferien nicht bei ihren Eltern waren, im B-Flügel. Ich schaltete abwesend die Anlage wieder lauter und ignorierte die fragenden Blicke, die auf mir lagen. Die Polizei würde erst morgen ermitteln... Mein Kopf ratterte, und ich glaube, ich musste dem Internat einen Besuch abstatten. Und zwar noch heute Abend.

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Lost in a Perfect Nightmare
RandomWisst ihr wie es ist die Neue zu sein? Ganz von vorne Anzufangen und sein Altes Leben hinter sich zu lassen? Claire tut es, denn sie ist diejenigen, die ihr altes Leben hinter sich lassen muss, um neu anzufangen. Und eine Wahl hatte sie nicht .