Zu spät

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"Sie sind was?"

Die Stimme des Drachentöters klang eine Spur höher als sonst, und rauer als bei einer Erkältung. Thranduil sah auf und hob eine Braue.

"Sie sind geschlüpft, habt Ihr etwas an den Ohren? Hier, lest selbst." Er reichte ihm den Brief, mit einer so beiläufigen Geste, als sei es ihm gleichgültig, und ließ Bard einige Sekunden, das Geschriebene zu überfliegen, während er ins Feuer sah und mit leerem Blick die glühenden Funken verfolgte, die durch die heiße Luft stoben.
"Ich denke, wir beide wissen, worauf diese Versammlung hinauslaufen wird. Ich war zwar nicht darauf eingestellt, hier einer Hinrichtung beiwohnen zu müssen, aber einen anderen Ausweg gibt es nicht."

Bard ließ das Blatt sinken. "Hinrichtung?" Er lachte auf, in einem Ton, der nicht zu ihm passte. "Für welches Verbrechen? Für ihre Existenz?"

Der Blonde seufzte. Es war ein leiser, kaum hörbarer Ton, und Thranduil überraschte es festzustellen, dass er Bedauern dabei spürte. "Machen wir uns nichts vor - es ist die einfachste Methode, sie aus dem Weg zu schaffen. Und dass sie aus dem Weg geschafft werden müssen, brauche ich euch hoffentlich nicht erst zu erklären." Er fixierte die Scheite im Kamin und nippte an seinem Glas Wein, das er an diesem Abend noch kein einziges Mal aus der Hand gegeben hatte, gerade so, als wollte er den bitteren Geschmack verdrängen, den die Worte auf seiner Zunge hinterlassen hatten. Es bewirkte nichts.

"Aber muss man sie denn gleich töten?", entfuhr es Bard, und als er bemerkte, wie aufgebracht er klang, senkte er seine Stimme, oder nein; er versuchte, seine Stimme zu senken. "Es... es erscheint mir nicht richtig, das zu tun."

"Ist es moralisch verwerflich, die Menschen und Zwerge dieses Tals und dieses Berges vor ihrem Untergang zu bewahren?" Er wandte sich von dem Feuer ab und starrte ihn an, und in seinen Augen spiegelten sich die Flammen, fast so, als wären sie ein Teil von ihm. Es war das erste Mal, dass Bard in sein Gesicht sehen konnte, seitdem sie den Brief erhalten hatten, und was er in seinen Zügen lesen konnte, behagte ihm nicht. "Ihr habt gesehen, was Drachenfeuer anrichten kann, Ihr wart dabei."

"Ja", erwiderte er trocken, "es ist moralisch verwerflich, wenn dafür Kinder sterben müssen." Es war nicht so, dass er die Sichtweise des Elbenkönigs nicht verstand, denn er verstand sie sehr gut. Mit tauben Fingern faltete er das Schreiben zusammen, legte es auf den Tisch, an dem Thranduil saß und öffnete erneut die Lippen.
"Lasst uns anhören, was Thorin und seine Gemeinschaft dazu zu sagen haben, und lasst uns erst dann ein Urteil fällen."

"Nun, was bleibt uns auch anderes übrig..." murmelte der Blonde, nippte erneut an seinem Glas und sah wieder ins Feuer, als würde ihn der Anblick von seinen trüben Gedanken befreien.

Bard jedoch sah zum Fenster, das sie von der Dunkelheit abgrenzte, und hätte die Sonne geschienen, so hätte er die Bergmauern gesehen. Ihm war, als könnte er sie dennoch erkennen. Unklar, blass, verschwommen, wie ein Traum; ein Traum, der ihn aus irgendeinem Grund in Angst versetzte.

Verwirrt schüttelte er den Kopf und wandte sich ab. 

~~~

Thorin spürte, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. 

Er spürte es in der Luft, die er atmete, in der Kälte, die durch seinen Mantel kroch, in dem Boden, der unter seinen Füßen zu beben schien. Es fühlte sich falsch an, nicht echt. Irgendetwas war nicht so, wie es sein sollte.

Mit müder Hand tastete er an seine Stirn, denn sie schmerzte ihn auf eine andere Weise, als sie es sonst tat. Als seine Fingerspitzen auf kaltes Metall trafen, erstarrte er, ließ einige Sekunden verrinnen und verstand, dass er seine Krone trug. Das machte Sinn, sein Kopf fühlte sich schwerer an als üblich. 

More than gold | BagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt