Durch eine Maske

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Schweigen. Minutenlanges Schweigen.

Ohne ein Wort zu sagen, standen sie da. Der kleine Hobbit auf der einen Seite der Halle, der Grund für seine Rückreise auf der anderen. 

Keine Worte vermögen es, das zu beschreiben, was in ihrer beiden Herzen vorging. Eine ungewohnte Kälte machte sich in Bilbos Brust breit, kroch durch seine Adern und schnürte ihm die Kehle zu. 

Das war er also. Der Moment, den er sich schon so oft ausgemalt hatte, sei es in Träumen gewesen oder in Wachzuständen. Aber keine dieser Vorstellungen wurde dem gerecht, was er in diesem Augenblick sah.

Und das, was er sah, schien so unmöglich. Das, was er sah, übertraf all das Grauen und die Sorgen, deren Zeuge er während ihrer gemeinsamen Abenteuer geworden war, und die er gelernt hatte, zu akzeptieren und Teil seiner Erinnerungen, seiner Geschichte werden zu lassen.

Das Grauen, in die Augen eines engen Freundes zu blicken, und eine völlige Fremde und Leere zu fühlen, als handelte es sich bei seinem Gegenüber um einen unbekannten Todgeweihten, ist mehr, als die meisten ertragen könnten. Doch in die Augen der Person zu blicken, die man liebt, und zu erkennen, dass man machtlos gegenüber dem Leid ist, das in diesen Augen wohnt, ist weitaus schlimmer als alle Schmerzen dieser Welt.

Und dass er ihn liebte, dessen erinnerte er sich wieder. Er dachte, er hätte auf seiner Rückreise mit ihm abschließen können, doch nun schien es ihn wieder heimzusuchen wie ein uralter Fluch und ihm dämmerte, dass er es zwar gekonnt verdrängt, doch keinesfalls hinter sich gelassen hatte. Und das machte es für ihn umso schlimmer.

Dort stand er. Eine leichte, reich mit Silber verzierte Rüstung über einem dünnen, silberweißen Kettenhemd, ein königlicher, blauer Mantel, den die warmen Temperaturen in der Halle nicht rechtfertigten, eine goldene Krone auf dem Haupt. Das Bild eines Königs. Doch selbst ein Blinder hätte erkannt, dass mit ihm etwas nicht stimmte.

Bilbo erinnerte sich an die dichten, dunklen, wallenden Locken, an die kräftigen blauen Augen, an die starke, tiefe Stimme. Die Anzahl der grauen Strähnen, die zuvor schon sein Haar durchzogen hatten, schien sich verzehnfacht zu haben, seine Augen hatten an Stärke nichts eingebüßt, dafür allerdings an Farbe. Es schien, als blickte er in die Augen eines Toten, der in seiner eigenen Kälte erstarrt und blass ins Leere starrte und nicht zurück zu ihm. Der Zwerg, der vor ihm stand, war nicht Thorin. Und dennoch hatte er seine Gestalt.

"Thorin, ich..." begann Bilbo, doch er wusste nicht, was er sagen sollte.

Als er diese zwei Worte sagte, schien sich etwas in Thorin zu rühren. Als hätte die Stimme seines Freundes etwas bei ihm ausgelöst. Seine Züge veränderten sich. Sie wurden plötzlich sanfter, klarer, strahlten fast so etwas wie Wärme aus. Doch vielleicht war das auch nur Einbildung. 

Wie aus einer Starre erwachend setzte er sich in Bewegung und ging mit schnellen, trotz der Rüstung unerwartet leichten Schritten auf den Halbling zu. Nach wenigen Sekunden hatte er ihn erreicht.

Einen halben Meter vor ihm kam er zum Stehen. Zögerlich betrachtete er sein Gegenüber aus glasigen Augen, so als könne er nicht glauben, dass Bilbo wirklich vor ihm stand. Sein Atem war langsam und ruhig, doch bei jedem Luftzug war zu spüren, dass Thorin zitterte. Der kleine Hobbit sah zu ihm auf, aus ängstlichen Augen.

Vorsichtig hob Thorin seinen rechten Arm und streckte seine Hand aus, so als wolle er Bilbo berühren, sich vergewissern, dass er es nicht mit einem Sinnesstreich, einer Einbildung, einer übernatürlichen Erscheinung zutun hatte. Mitten in der Bewegung hielt er jedoch inne und seine Hand blieb wenige Zentimeter vor Bilbo in der Luft stehen. Thorin zögerte. So als hätte er Angst, dass sich die Person vor ihm in Luft auflösen würde, würde er ihr zu nahe kommen.

More than gold | BagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt