Durch den Nebel

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Ein grauer Schleier bedeckte das sonst so kräftig grüne Laub der Bäume, die das Ufer des Sees säumten. Still lag er da. Das Wasser war ruhig. Kein Wind wehte. Kein Blatt rührte sich. Kein Vogel sang.

Wie alles verschlingende Schatten tanzte der Nebel auf der spiegelgleichen Oberfläche des trüben Sees, dessen tiefschwarzes Wasser keinen Blick hindurch gewährte. Im dichten Nebel ließ sich nur grob erahnen, wo einst die stolze Handelsstadt Esgaroth gelegen hatte, lange Jahre bevor der rotgoldene Drache seinen todbringenden Atem über die reich verzierten hölzernen Bauten der Menschen vom See gespien hatte. Lange Jahre, bevor Thorin König geworden war. Lange Jahre vor der Schlacht der fünf Heere.

"Wie ein Grab..." murmelte Bilbo. Und tatsächlich. Das war es auch - ein Grab. Dort, wo in den blassen Schleiern des weißen Dunstes schwarze Trümmer aufragten wie Bäume nach einem Waldbrand, lag es. Das Grab von Smaug.

Viele hatte er mit in den Tod gerissen. Viele konnten nicht geborgen werden. Viele lagen mit ihm dort, in der schwarzen Tiefe des eiskalten Gewässers und teilten das grausige Grab des Drachen. Einsam. Unschuldig. Und für immer verloren.

Es war am hellichten Tag und dennoch schien sich über das gesamte Tal ein Mantel der Trauer und Stille gelegt zu haben, der jegliche Gefühle der Hoffnung und Freude im Keim erstickte. 

Im Zentrum lag der Einsame Berg. Die Spitze zur Gänze in grauschwarze Wolken gehüllt, die das warme Wetter nicht rechtfertigte. Es war, als würde all die Dunkelheit und die düstere Stimmung von ihm ausgestrahlt, als fände alles seinen Ursprung in den Hallen, die unter den massiven Mauern des dunklen Gesteins lagen und Schätze jenseits aller Vorstellungskraft vor den gierigen Augen und Händen Geringerer verbargen. Schätze, verflucht und verseucht durch die Habgier des Drachen.

Bilbo fühlte sich beobachtet. Beobachtet von Schatten, unsichtbaren Mächten und gerissenen Augen. Er schluckte und ein Schauer jagte ihm über den Rücken.

Als er das Tal verlassen hatte, war es ein warmer Morgen im Hoffnung spendenden Spätfrühling gewesen, doch jetzt, da alles Leben aus den Gegenden gewichen schien, fragte sich Bilbo, ob es derselbe Ort wie damals war. Natürlich war es das. Doch der Kontrast war noch nie so deutlich spürbar, so schmerzend real gewesen. Schon zu atmen schien hier zu viel zu sein. 

Sein Lunge schmerzte und Bilbo fragte sich, ob dies an dem ungewöhnlich schweren, hängenden Nebel lag, der noch immer sein Spiel auf dem schwarzen Wasser des Sees trieb und alles auszufüllen schien. 

Ruhig klopfte der kleine Hobbit auf den Hals seines Ponys, welches vor Anspannung schnaubte. Es spürte seine Nervosität, keine Frage. Ponys sind sensible Tiere.

"Ist schon gut, ist schon gut..." flüsterte Bilbo dem Pony zu, eher aber mit der Absicht, sich selbst zu beruhigen als das Tier unter ihm. Es zeigte keinerlei Wirkung. Seufzend stieg er aus dem Sattel und nahm die Zügel in die Hand, um das Tier neben sich zu führen. 

Er spielte auf Zeit. Kein halber Tag mehr und er wäre am Ziel. Könnte seine Freunde wiedersehen. Könnte seiner Rückreise einen Sinn geben. Er hatte es sich während dem Rückritt fest zum Ziel gesetzt, hatte es kaum erwarten können, endlich den Berg zu erreichen. Doch nun - all seine Motivation schien verschwunden zu sein.

Er hatte den Erebor verlassen, weil er sich sicher war, mit einem guten Gewissen gehen zu können. Die Zukunft aller war gesichert, der Frieden zwischen den Völkern, die Zuversichtlichkeit hatte ihren Höhepunkt erreicht - doch nun schien alles noch trostloser zu sein als an dem Tag, an dem sie zum ersten Mal die Seestadt betreten hatten.

Wie war es möglich, innerhalb weniger Wochen ein blühendes Königreich in reine Trostlosigkeit zu verwandeln? Als hätte sich die Krankheit durch die massiven Mauern des Berges gedrängt und das gesamte Tal zu seinem Reich erklärt. Hier herrschte nicht Thorin. Hier herrschte Verderben.

More than gold | BagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt