More than gold | Bagginshield

Die vergessenen Hallen

"Erstaunlich ruhig. Es scheint, die Feuerschlange macht ein Nickerchen."

Bofur löste sich aus dem ehrfürchtig schweigenden Haufen, einen der acht schwarzen Pfeile lässig über die Schulter gelehnt, die Arme verschränkt. Er war zusammen mit Bifur als letzter nachgekommen, da es seine Aufgabe gewesen war, die Seilbahn in Gang zu halten. Seine Fackel hatte er Bilbo in die Hand gedrückt und schlenderte nun gemächlich in die Dunkelheit, als würde es sich um einen harmlosen Spaziergang handeln, während er ihre Umgebung genauer inspizierte.

"Dann wird es ein leichtes sein, sie zu töten."

Bilbo, der inmitten der anderen stand, ließ seinen Blick durch die Halle gleiten. Ein weiteres Mal. Zusammen mit Thorin, Fili und Kili war er einer der ersten gewesen, die diese Halle betreten hatten. Sie war finster wie die Nacht, die vierzehn Fackeln konnten nur wenige Meter weit ihr schwaches Licht verstreuen, dann verschwand alles in grausamer Schwärze.

Nun ja. Fast alles.

Ein blassbleiches, weißliches Schimmern inmitten der Finsternis verriet ihnen, wo sich die hoch emporragenden Wände befinden mussten, denn auch diese Felswände mussten von den silbernen Adern durchzogen sein.

Wie die weit verzweigten Wurzeln eines Baumes bahnten sie sich in geheimnisvollen, geschwungenen Mustern den Fels entlang und liefen oben an den fernen Deckengewölben zu einem dichten Silbernetz zusammen. Eine Laune der Natur. Aber eine wunderschöne Laune, stellte er mit einem Lächeln fest.

Dieses Lächeln verschwand jedoch wieder schnell, als er sich an die Worte des Schwarzhaarigen erinnerte. Sie warteten schließlich nicht ohne Grund seit all den Jahren hier in diesen Tiefen, sie mussten zurückgelassen werden, weil den Zwergen vor langer Zeit keine andere Wahl gelassen wurde. Aber warum? Was war dieser Grund? Nun, er hegte schon einen Verdacht, doch sicher war er sich bei weitem nicht. Thorin war nicht dazu gekommen, eine Erklärung zu geben, die unsanfte Vollbremsung der Gondel hatte ihm vor wenigen Minuten die Worte abgeschnitten. Bilbo vermutete sogar, dass dies dem Zwergenkönig in gewisser Weise auch in die Karten gespielt hatte, denn man sah ihm förmlich an, dass es ihn eine große Überwindung gekostet hätte, sein Wissen mit den anderen der Gemeinschaft zu teilen. Denn jetzt war die vielleicht einzige Chance, ebendies zu tun, vorüber.

Er schüttelte - aufgrund der dünnen Luft schnaufend - den Kopf und blickte sich erneut um.

In nicht abschätzbarer Ferne ließen sich Umrisse von in den Fels geschlagenen Statuen erkennen, die die Abbilder von verblassten Königen zeigten. Brüchig, verwittert und zerfallen wie die Körper derer, zu deren Ehrerbietung sie einst errichtet worden waren.

Doch das war schon lange vorbei. Bilbo versuchte, sich vorzustellen, wie es früher wohl einmal ausgesehen haben musste, als hier noch die nun längst verebbten Hammerschläge widerhallten und sich das warme Licht roter Fackeln mit dem der silbernen Adern vermischte. Es fiel ihm schwer, auch wenn er über ein außerordentliches Maß an Fantasie verfügte. All das war schon längst aus diesen Mauern verschwunden und war etwas anderem gewichen. Der Kälte. Der Dunkelheit. Dem Bösen.

Das glühende Herz des Berges hatte hier schon vor langer Zeit aufgehört zu schlagen. Es war, als wären diese Mauern längst gestorben. Als wäre die Luft in diesen Hallen von Tod erfüllt, der eisig und klamm ihre Herzen und Lungen füllte.

Irgendetwas lag hier in der Luft. Etwas Finsteres.

Der kleine Hobbit musste sofort an die Stimmung im Düsterwald denken, doch er wäre an diesem Vergleich gescheitert, denn viele Gemeinsamkeiten hätte er nicht gefunden. Sie war genauso bedrückend, ja. Doch ihr Verstand war nicht benebelt. Er war klar, rein und ungetrübt, fast sogar mehr denn je. Und vielleicht war es genau das, was den kleinen Hobbit und die Zwerge so beunruhigte. Sie sahen das Grauen mit offenen Augen. Ihr Verstand funktionierte perfekt. Und das brachte ihnen die Gewissheit, dass dieses Grauen keine Einbildung war. Sondern die Realität.