Nur ein Kratzer

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Das kalte Metall schmerzte brennend, wurde enger, schnitt sich in sein Fleisch.

Mit einer schnellen Bewegung riss er sich die Krone vom Haupt und warf sie zu Boden. Ein schallendes, durchdringendes Klirren. Gold auf Stein. 

Freier. Er fühlte sich freier. Mit den Fingerspitzen seiner rechten Hand tastete er nach seiner Stirn. Kein Blut. Die Schmerzen waren nur Einbildung gewesen.

Tief und qualvoll löste sich ein langgezogenes Stöhnen aus seiner Kehle und er sank zitternd zusammen. "Nein. Nein..."

Tränen flossen unaufhaltsam seine Wangen hinab, wie junges, rotes Blut aus einer frischen Wunde und fielen wie Herbstregen auf den steinernen Boden. 

Er durfte nicht weinen. Er musste stark sein. Verzweifelt rieb er sich mit den Händen über das Gesicht. Immer und immer wieder. Doch die Tränen flossen weiter, perlten am Silber der Rüstung ab und tränkten seinen Mantel und seine Haare.

Er schmeckte sie. Salzig, wässrig. Brennend.

Mit letzter Kraft versuchte er, sich aufzustellen. Vergeblich. Als lastete ein unsichtbares Gewicht auf seinen Schultern. Als würde er von unsichtbaren Händen nach unten gedrückt, brach er ein zweites Mal zusammen.

Mit schmerzenden Gliedern und schmerzendem Gesicht zog er sich zu einer Wand, an die er sich setzte. Erschöpft lehnte er seinen brennenden Kopf gegen das kühle Gestein der Hallen unter dem Berg.

Dann schrie er. Es war ein schwacher, tiefer und rauer Schrei, der von den Wänden um ihn herum zurückgeworfen wurde. Mit einem lauteren Stöhnen tastete er nach seiner alten Wunde, doch die Rüstung machte es ihm unmöglich. Ihm war, als könne er erneut spüren, wie Azogs Klinge seinen Körper durchbohrte, als ob er das Eis durch die Wucht des Stoßes unter ihm zerbersten hören könnte. Als ob er erneut das Blut schmecken, die Kälte des Schwertes Azogs in seinem Fleisch spüren könnte. Sich vor Schmerz auf dem Boden ringend schrie er erneut.

Ein langer Schrei. Die Schmerzen trieben ihn fast in eine Ohnmacht. Halb bewusstlos, doch noch immer vor Qualen kehlig stöhnend und schreiend versuchte er, sich robbend fortzubewegen, doch die Schmerzen waren zu stark.

Sein Gesicht war vor Qual verzerrt. Die Schmerzenslaute wurden nur durch vereinzelte Pausen unterbrochen, in denen er gurgelnd und heiser nach Atem rang.

Dann erstarb sein Schrei. Er spürte nichts mehr. Seine Wunde hatte aufgehört, zu brennen. Man hatte ihm gesagt, er würde Schmerzen haben. Ab und zu. Doch dass sie so stark sein würden, hätte er nicht gedacht.

Er spürte, wie sich etwas Warmes über seine Brust ergoss, sich ausbreitete und durch den Stoff sickerte. Blut. Der metallische Geschmack war keine Einbildung gewesen. Die Wunde hatte sich geöffnet.

Ächzend drehte er sich auf den Rücken und sah nach oben. Die Tränen bewirkten, dass er die weit oben liegenden Deckengewölbe nur durch einen wässrigen Schleier sehen konnte.

Er gab auf. Es hatte keinen Zweck mehr, sie zurückzuhalten.

Und er weinte. Schluchzend und aus ganzem Herzen. Doch nicht wegen seiner Wunde.

Zitternd drehte er seinen Kopf und blickte durch den Tränenschleier zu seiner Rechten. Dort war sie. Ein rötlich goldenes Schimmern aus der Finsternis verriet ihm, dass dort seine Krone lag. 

Und er hasste und liebte sie. Hasste sie dafür, dass sie jemand anderen aus ihm gemacht hatte. Jemanden, der von seinen Verbündeten nicht mehr erkannt wurde. Dass er von niemandem mehr verstanden wurde. Niemand verstand denjenigen, zu dem er geworden war.

Seine Kraft schien wieder zu wachsen. Dennoch rührte er sich nicht, sondern blieb regungslos auf dem kalten Stein liegen, während sich weitere Tränen ihren Weg nach außen bahnten.

More than gold | BagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt