Warmes Blut

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Amrâlimê...

Das erste, was der kleine Hobbit vernahm, war ein angenehmes Kitzeln im Gesicht. Ein sanfter Windhauch strich ihm über die Wangen und fuhr ihm durch die Locken, füllte seine Lunge mit warmer Luft und seinen Geist mit Klarheit.

Müde und matt, die Augen noch immer geschlossen, tastete er nach der Hand seines Freundes, in dessen Armen er eingeschlafen war, doch das einzige, worauf seine Fingerspitzen trafen, war ein weiches etwas direkt unter ihm. Ein Laken. Er lag in einem Bett.

Als ihn langsam aber sicher diese Gewissheit packte, und ihn die Erkenntnis traf wie ein Blitz einen Baum, schlug er die Augen auf. 

Blass von der Morgendämmerung beschienen erkannte er den Baldachin seines Bettes, der sich wie die schützenden Äste eines Baumes über ihn streckte.

Er lag unter einer - trotz der Jahreszeit erstaunlich dicken - Decke, sein Kopf wurde von einem Kissen gestützt.

Einen Moment. Er fuhr hoch, bereute es jedoch sofort wieder, denn sein Kopf protestierte und ließ ihn vor Schmerz kurz aufstöhnen. Bemüht, einigermaßen klare Gedanken zu fassen, rieb er sich die Schläfen und schob murrend die Decke beiseite.

Die kühle Morgenluft bereitete ihm Gänsehaut und kroch durch den dünnen Stoff seines Hemdes, breitete sich aus wie ein eiskalt stechender Sprühregen im Herbst. Das... war ungewohnt. Hatte er nicht gerade noch etwas anderes getragen?

Er sah an sich herunter und stellte mit nachdenklicher Miene fest, dass er tatsächlich nur in ein dünnes Nachthemd gekleidet war. Er sah zu seiner Rechten. Dort, fein säuberlich über der Stuhllehne ausgebreitet hing sein Mantel, darunter lagen ordentlich zusammengelegt sein Hemd und seine Hose.

Verwundert fuhr er sich durch die zerzausten Locken. Wie um alles in der Welt war er hierhin gekommen? 

Jemand hatte das Kaminfeuer erneuert, die brennenden Scheite waren noch deutlich erkennbar und hatten sich nicht bereits in tote, schwarze Asche verwandelt.

"Nicht nur ein Meisterdieb, sondern auch noch ein Schlafwandler, wie es scheint..." murmelte er, während er mühsam die Beine über die Bettkante hob, denn das schien für ihn in diesem Moment die einzig vernünftige Erklärung dafür zu sein. 

Er blinzelte in das Licht der aufgehenden Sonne, die ihre Strahlen in abstrakten Mustern durch das Fenster des Raumes warf. 

Wie von selbst schritt er darauf zu, während er sich gähnend streckte und sich die Augen rieb.

Ein matter Streifen grauweißen Nebels hing im Tal, wie jeden Morgen. Wie jeden Morgen war auch die Luft unfassbar kühl und erinnerte Bilbo an eine kalte Winternacht. 

"Was zum Geier ist eigentlich mit diesem verdammten Tal los..." fluchte er leise. Aus irgendeinem ihm nicht erfindlichen Grund hatte er schlechte Laune. Fluchen - das war nun wirklich alles andere als  Beutlin-haft, doch angesichts dieser unmöglichen Wetterbedingungen konnte er diesem Reiz nicht widerstehen.

Bald müsste der Sommer beginnen. Er seufzte, als er an den Sommer dachte. Die Erdbeeren würden reif werden, irgendwo im nirgendwo, weit entfernt hinter einer dicken Nebelschicht, hinter Wäldern und spitzen Gebirgen in seinem Garten in Beutelsend, der mittlerweile mehr als nur verwildert sein dürfte. 

Er lachte bitter. Sicher hatte sich Lobelia bereits sowohl um den Garten als auch sein Haus gekümmert. Und zwar nicht auf die Weise, die in seinem Interesse gewesen wäre. Inwiefern ihn das zum Lachen brachte, vermochte er selbst nicht zu sagen.

Dort, hinter diesen dicken Nebelschwaden der Erinnerung ging das Leben im Auenland weiter - ohne ihn. Sollte er dort jemals wieder aufkreuzen, er wäre zu einem Fremden geworden. 

More than gold | BagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt