Unsere Dämonen

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Die Glocken verstummten.

Ihr Klang verebbte allmählich in den Weiten des Tals, die plötzlich leer und trostlos wirkten. Bilbo schluckte, lauschte den leiser werdenden Lauten mit demselben Grauen, als wären es die Atemzüge eines Todgeweihten, wartete darauf, dass sie verhallten, dass sie der Stille wichen, dass sie erstarben. Er hörte ihren Klang noch viele Stunden, nachdem er erloschen war, und er würde sich eine lange Zeit an ihn erinnern. 

Der Blick zum Fenster war versperrt. Er hätte sich an den anderen vorbeidrängen können, doch er wagte es nicht, weigerte sich, kämpfte mit den sterbenden Lauten in seinem Kopf und mit Gedanken, die er nicht wagte, auszusprechen. "Es hätte nicht soweit kommen müssen," formten seine Lippen ohne jedweden Ton, "es ist zu spät." 

Er verstand nicht, was er da sagte, schüttelte den Kopf und löste sich von der Wand, an die er sich gelehnt hatte, ohne es zu bemerken, starrte auf die verwaisten Ketten, auf das nasse Stroh. Inhalierte die kühle Luft, die mit einem Mal nach Unheil schmeckte. Er fühlte sich schrecklich; schrecklich nutzlos, schrecklich einsam, gefangen in einem Sturm aus Vorwürfen und Verzweiflung; Verzweiflung über etwas, was er nicht verstand.

Aus dem Augenwinkel konnte er Thorin sehen, wie er mit kühlem Blick aus dem Fenster sah, sich plötzlich abwandte und sich aus der Menge löste. Er würdigte Bilbo nicht eines Blickes, als er auf die Tür zuhielt, nicht auf eine ignorante Art, aber auf eine Weise, die den Halbling verletzte, ob er es wollte oder nicht. Er wusste, dass Thorin ihn nicht verletzen wollte. Doch das hieß nicht, dass er dazu nicht in der Lage war, denn das war er, und er hatte es oft genug bewiesen.

Eine Reihe der Zwerge folgte ihrem König zur Tür hinaus, lediglich die, die sich zuvor auf ihre Zehenspitzen gestellt und sich die Hälse verrenkt hatten, blieben am Fenster und versuchten, etwas in der Ferne auszumachen; den Grund zu erkennen, aus dem Thorin zur Tür geeilt war.

"Sie haben das Tor erreicht", platzte es aus Kili heraus, bevor auch er dem Fenster den Rücken zukehrte und Anstalten machte, seinem Onkel zu folgen. "Komm!" rief er dem Halbling zu, als er bemerkte, dass dieser noch immer ratlos zwischen Tür und Fenster stand.

"Ich verstehe nicht, was ist passiert?" fragte Bilbo mit brüchiger Stimme. Der bedeutungsschwere Klang der Glocken verhallte allmählich in seinen Ohren und ließ einen dünnen, sirrenden Schmerz zurück, der es ihm schwer machte, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.

Kili zuckte mit den Schultern, bevor er ihn am Ärmel packte und mit sich zog. "Vielleicht sind wir in ein paar Minuten schlauer. Jetzt komm endlich!"

~~~

Sie trafen in der Vorhalle aufeinander - Thorin mit seiner Gemeinschaft auf der einen Seite, Bard und seine Leute auf der anderen.

Der Braunhaarige trug einen langen Mantel, die Temperaturen waren wohl wieder gesunken. Thranduil folgte ihm in großen, leichten Schritten, und mit einem ernsten Gesicht, so versteinert wie das eines Kartenspielers. Hinter ihnen konnte Bilbo eine kleine Reihe weiterer Männer ausmachen, doch sie hielten sich in den Schatten ihrer Gebieter, so als fürchteten sie sich.

"Was ist geschehen?" fragte der Zwergenkönig wenige Sekunden, nachdem sie die Halle betreten hatten.

Thranduil legte den Kopf schief. "Ich denke, das wisst Ihr sehr gut." 

"Ihr hättet uns warnen müssen, bevor Ihr sie frei lasst", sagte Bard, als hätte er Thorins Frage nicht gehört. Er sprach die Worte laut und betont, als hätte ihn sein Zorn dazu getrieben, doch der Glanz in seinen Augen sagte etwas anderes. Bard war nicht zornig, nicht verzweifelt. Er war enttäuscht.

"Wir haben sie nicht 'freigelassen'", entgegnete Thorin nach einer kurzen Pause mit rauer, tiefer Stimme. "Sie haben sich selbst von ihren Ketten befreit."

More than gold | BagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt