Gemeinsam

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Die Bilder liefen vor ihm ab wie in Zeitlupe, und die Zeit schien sich träge und dick wie Sirup vor seinen Augen in die Länge zu ziehen. 

Die Geräusche wurden verschluckt, als würde zwischen ihm und dem Rest der Welt ein dichter Schleier hängen, oder als wäre er von unsichtbaren Wänden von seiner Umwelt abgegrenzt.

Er hörte seinen Namen. Einmal, zweimal, dreimal, irgendwann hörte er mit dem Zählen auf. 

Du bist am Leben. Du hast diese Hölle überlebt. 

Er schloss die Augen und spürte, wie er dennoch von seinen Füßen weitergetragen wurde, weiter in Richtung des Tores, das nun freigelegt war.

Du bist am Leben, sagte er sich erneut, ob es nur seine Gedanken waren oder ob er es tatsächlich laut ausgesprochen hatte, konnte er nicht sagen. Du. Bist. Am. Leben. 

Die Worte zeigten nicht die Wirkung, die er erwartet hatte. Freute er sich überhaupt über die Rettung? Er wusste es nicht. Er erschrak bei diesem Gedanken, denn vor wenigen Stunden hatte er sich diesen Moment so sehr herbeigesehnt, und nun wünschte er sich lediglich, dass er vorüberging. Dass sie nun frei waren und den Weg nach oben antreten konnten, war ihm egal. Seine Augen und sein Herz hatten sich an die Dunkelheit und die dünne Luft hier unten gewöhnt, er verspürte kein Verlangen mehr, diesen Zustand zu ändern und seine Lunge schmerzte bei dem Gedanken an die frische Luft und den warmen Wind, der sie oben erwarten würde. Das machte ihm Angst, denn es fühlte sich falsch an. 

Er blinzelte und sah verschwommen, wie Fili auf ihn zukam, sein kleiner Bruder blieb kurz bei ihm stehen, rief ihm irgendetwas zu, was Bilbo nicht verstehen konnte, denn seine Sinne waren zu benebelt. Die Freude, mit der diese Worte über Kilis Lippen gekommen waren, verriet ihm zumindest, dass es irgendein erleichterter Ausdruck gewesen sein musste. Er sah ihn aus dem Augenwinkel zu Thorin rennen, den Bilbo im Halbdunkel, mehrere Meter hinter ihm, zurückgelassen hatte. 

Er spürte etwas an seinem Arm. Fili hatte ihn gepackt, und in der alleinigen Berührung steckte eine solche Freude, dass sie über Bilbos Verständnis hinausging. "Ihr... ihr lebt!" stotterte der blonde Zwerg, und Bilbo war sich sicher, dass er Tränen in den Augen hatte, denn seine Stimme zitterte und klang belegt. Er hörte ihn lachen.

Bilbo antwortete nicht. Er wollte lächeln, doch seine Mundwinkel wollten sich nicht heben. Er blickte Fili stumm über die Schulter und erkannte die anderen, die mit Fackeln in den Händen näher traten, bereit, die für tot erklärten mit Lob und erleichterten Freudenrufen zu überschütten. 

Der blonde Zwerg schien verwirrt und bewegte seine Hand mehrere Male vor den Augen des Hobbits hin und her, als wollte er ihn aus einem Tagtraum erwecken. "Bilbo? Steckst du noch da drin?" Er lachte unsicher.

"Sei nicht albern, Fili..." murmelte Bilbo mit monotoner Stimme und machte Anstalten, ohne ein weiteres Wort an ihm vorbeizugehen. 

"Jetzt wäre eigentlich der Moment gekommen, in dem du in Freudentränen ausbrechen und dankbar in die Arme deiner Retter stolpern solltest..." scherzte er, als sei er sich nicht im Klaren, ob Bilbo nur so gefühlskalt tat oder es tatsächlich war. "Nein, bitte, bleib einmal stehen."

Der kleine Hobbit tat es, und als er stehen blieb, floss ihm eine Träne die Wange hinab. "Lass mich bitte in Ruhe. Geh zu Thorin, er... er ist schwer verletzt... glaube ich."

Fili drehte den Kopf in die Richtung seines Onkels und sah seinen kleinen Bruder, der neben ihm kniete, er und die anderen Zwerge schienen sich bereits um ihn zu kümmern. Er hob eine Braue und wandte sich wieder Bilbo zu. "Schwer verletzt? Was... was ist denn mit ihm geschehen, was hat er?" Seine Stimme brach, denn die Worte des Hobbits hatten ihn beunruhigt.

More than gold | BagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt