Bald

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Die schwere Tür fiel wie von selbst ins Schloss, als Thorins steif gefrorene Finger von ihr abließen. Kaum dass sie geschlossen war, verstummte das Grollen und Tosen des Gewitters, lediglich ein zartes, flüsterndes Rauschen erfüllte die von Fackeln gewärmte Luft und erinnerte an den Sturm, der jenseits der Mauern zugange war.

Er drehte den Kopf und betrachtete den Halbling, der sich nun mit dem Rücken gegen die Wand lehnte, als fehlte ihm die Kraft, sich ohne Stütze auf zwei Beinen zu halten. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet, als wäre er in Trance oder im Bann eines Tagtraumes. Regenwasser troff von seinen schwer getränkten Kleidern, doch er schien nicht zu spüren, wie kalt es war.

Vorsichtig setzte Thorin einen Fuß vor den anderen und trat neben ihn, ohne ein Wort zu sagen. Für einen kurzen Moment lauschten sie dem leisen, stumpfen Geräusch des prasselnden Regens, dem blassen, hallenden Klang vereinzelter Donnerschläge, dem singenden Rauschen des eisigen Windes, in Gedanken versunken, ihrer Worte beraubt.
Es dauerte eine kleine Weile, ehe Bilbo den Kopf hob, tief ein- und wieder ausatmete, und schließlich begann zu flüstern.

"Unser... unser Kuss..." Er stockte und sah in Thorins blaue Augen. "Was bedeutet das jetzt? Für uns?"

Die Mundwinkel des Schwarzhaarigen zuckten. "Hast du Angst?"

"Ich weiß nicht, ob man es Angst nennen kann." Auf seinen blassen Lippen erschien der Anflug eines Lächelns, doch es blieb dabei. "Es fällt mir nur so schwer zu glauben, dass das gerade wirklich geschehen ist. Und daher... Ja, vielleicht ist es Angst. Die Angst, dass ich gleich aufwachen werde, nur um festzustellen, dass ich mir das alles bloß erträumt habe, dass es nicht echt war."

Thorin musste lächeln, als er das hörte, doch es war ein unsicheres Lächeln und wirkte anders als gewöhnlich. Nicht unehrlich, nur... anders. 

Kurzerhand überwand er die geringe Distanz zu ihm, strich behutsam über seine feuchte Wange und legte den Kopf schief, bevor er sich zu ihm hinunterbeugte und seine Lippen auf die des Halblings legte. Die Berührung war sachte, vielleicht ein wenig verlangender als zuvor, doch noch immer so zart und süß, dass Bilbo nicht anders konnte, als das Lächeln zu erwidern; und auch wenn Thorin es nicht sah, so konnte er es fühlen.

"Hat sich das für dich nach einem Traum angefühlt?" raunte er, als sich ihre Lippen schließlich voneinander getrennt hatten und sie erneut zu Atem gekommen waren. Im dämmrigen Licht der Fackeln konnte er sehen, wie Bilbo errötete, als er langsam den Kopf schüttelte.

"Ich habe so viele Fragen, Thorin", flüsterte er, und das Lächeln verblasste. "Was werden wir jetzt tun? Ich meine, wir... wir sind jetzt keine Freunde mehr, hab ich... hab ich recht?"

Der Schwarzhaarige hob eine Braue, denn diese Feststellung amüsierte ihn. "Du sagst es fast so, als würdest du es bedauern." Vorsichtig tastete er nach den zitternden Händen seines Meisterdiebes und schloss sie in die seinen ein. Sie waren eiskalt. "Wenn ich dir sage, dass ich dich liebe, beantwortet das deine Frage?"

Bilbo senkte den Blick auf ihre ineinander verschränkten Finger, schüttelte langsam den Kopf über sich selbst und seufzte tonlos. "Verzeih mir, ich... ich kann es nur noch nicht fassen, dass du dasselbe fühlst."

"Es gibt nichts zu verzeihen, ich verstehe, worauf du hinaus wolltest. Wir haben uns noch so viel zu sagen, doch es fehlt uns an Zeit." Er lächelte ein wenig breiter und senkte seine Stimme zu einem tiefen Raunen. "Oh, wenn du wüsstest, was ich jetzt am liebsten mit dir machen würde, wären die Zeiten nicht so finster."

Der Halbling spürte, wie er rot anlief und biss sich auf die Unterlippe. "Meinst du denn, sie werden finster bleiben? Die Gefahren sind gebannt, alles was sie uns ließen, sind Schatten. Und als ich vorhin in deine Augen sah, sah ich sie verblassen."

More than gold | BagginshieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt