Der Wind trug Wärme in die kalten Höhen des Berges hinauf.
Thorin schloss die Augen und ließ ihn über seine Wangen streichen, mit seinen schwarzen Locken spielen. Als er die klare Luft in seiner Brust spürte, konnte er den Geschmack des schweren Nebels schmecken, der nun nur noch tropfenweise in den Böen des Windes hing. Er kannte diesen Geschmack, und er gefiel ihm.
Die Sonne schien golden, das Tal war grün. Die Wipfel der Nadelbäume rauschten und gaben dem Wind eine Stimme. Sie war hoch, singend, leise.
Bilbo und Thorin hatten sich bei den anderen "abgemeldet", bevor sie die von Fackeln erhellten steinernen Hallen durch einen der zahlreichen Seiteneingänge verlassen hatten, nun standen sie im hellen Tageslicht. Auf den Teil des Seitenhanges, auf dem sie sich befanden, hatte der kleine Hobbit noch nie zuvor einen Fuß gesetzt. Er hatte in einer Höhe wie dieser genau genommen nicht einmal Wege vermutet, doch wie es schien, hatte er sich geirrt. Der, auf dem sie sich befanden, war so schmal, dass er von kaum einer Seite einsehbar gewesen wäre. Er wurde nicht oft genutzt, und wenn doch, dann war es einer dieser Wege, auf die einen nur kindische Abenteuerlust nach Neuem, Unbekanntem verschlägt. Doch hier hatte es seit langer Zeit niemanden mehr hin verschlagen, und vielleicht war das genau der Grund, aus dem Thorin ihn gewählt hatte.
Sie waren nicht viele Meter in der Höhe, das weiche Gras des Tals lag ihnen näher als der von Schnee bedeckte Gipfel des Berges. Zwischen den Ästen der Bäume, die dank ihren flachen, hartnäckigen Wurzeln Halt in der dünnen Schicht Erde gefunden hatten, schimmerten von fern die Dächer Thals hindurch. Thorin öffnete die Augen und beobachtete sie. Bilbo wusste nicht, ob er das tat, weil er an diesen Dächern tatsächlich interessiert war, oder ob er nur testen wollte, wie weit seine Sicht durch das verletzte Auge eingeschränkt war. Seit sie hier standen, hatte niemand von ihnen ein Wort gesagt, um dem Wind und den Vögeln zu lauschen.
Bilbo blinzelte in das grelle Sonnenlicht. Der Himmel war fast wolkenlos, so viel konnte er feststellen, auch wenn seine Sicht von einigen Ästen versperrt wurde, die sich fast schwarz vor dem goldenen Licht abhoben, doch Bilbo wusste, dass ihr Holz mit dicken, saftig-grünen Nadeln bedeckt war. Der Geruch von frischem Harz drang in seine Nase.
Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr und drehte den Kopf zu Thorin, der den Blick nun ein wenig gesenkt hatte.
"Thal hat noch eine Rechnung mit uns offen...", hörte er ihn mit monotoner Stimme sagen. Sie wirkte nicht grimmig - zumindest nicht so grimmig wie sonst, als er von Thal gesprochen hatte. Es klang mehr nach einem gemurmelten Gedanken als nach einer Aussage, die an Bilbo gerichtet war.
"Gibt es denn schon etwas Neues von Bard?" fragte der Halbling und trat ein Stück näher zu Thorin, damit er denselben Blick auf die schimmernden Dächer der Stadt hatte wie der Zwergenkönig.
Er sah, dass der Schwarzhaarige den Kopf schüttelte. "Die letzten Versuche, uns zu erreichen, habe ich abgewehrt. Thal ist ruhig geworden. Nun liegt es an mir, zu antworten."
Bilbo trat noch ein Stück näher, und drehte den Kopf, sodass Thal aus seinem Sichtfeld verschwand und er den Zwergenkönig von der Seite betrachten konnte. Er stand zu seiner Linken, daher war die lange, rote Narbe nicht zu sehen, doch der Halbling wusste, dass sie da war, und sie würde nicht gehen, nie wieder. Aber für diesen einen Moment, da sah Thorin so aus wie früher.
"Und wie wird deine Antwort aussehen?"
Der Schwarzhaarige blinzelte und drehte den Kopf in seine Richtung, sodass die Narbe wieder sichtbar wurde. "Alles was ich weiß, ist, dass sie bald erfolgen muss. Ich weiß nicht, was hinter Thals Mauern vor sich geht, ich war blind für ihre Bitten nach Hilfe." Er nickte in die Richtung der Stadt. "Thal hat ein Recht darauf, zu hinterfragen, was in den letzten Wochen geschehen ist. Doch seltsamerweise wurde von diesem Recht noch kein Gebrauch gemacht. Den Grund dafür kenne ich nicht, und das beunruhigt mich."
DU LIEST GERADE
More than gold | Bagginshield
FanficDie Geschichte eines Hobbits und eines Zwergen - zwei Geschöpfe, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch Gegensätze ziehen sich bekanntlich an... Die Schlacht ist gewonnen, die Feinde besiegt, die Schulden beglichen. Bilbo weiß, was das b...