Bard stand an den Zinnen der Stadtmauer. Es war ein schöner Morgen. Golden, schimmernd, hoffnungsvoll. Anders als sonst.
Das junge Morgenlicht hing im Geäst der dürren Bäume und vergoldete die Wassertropfen des schweren Nebels, der auf den Felsen ringsum niedergesunken war. Eine kalte Decke aus Tau schmiegte sich an jeden noch so kleinen Stein und zog sich eng über die Landschaft, die Pfützen auf dem Boden schimmerten so golden wie Honig.
Plötzlich zog eine Wolke auf und verschluckte das Licht. Die warmen Farben verschwanden, und ein trostloses Grau sickerte durch die Szenerie. Und mit den Farben, so schien es, verlor die Natur ein Stück ihrer Lebendigkeit, und es schien, als würde etwas anderes die Oberhand gewinnen.
Doch der Moment weilte nicht lange, denn die Wolke zog weiter und gab Thal und dem Einsamen Berg das Morgenlicht zurück. Bard atmete tief durch, und es fühlte sich an, als wäre dieser Atemzug der erste seit langer, langer Zeit gewesen.
Ein Ruf riss ihn aus seinen Gedanken. "Vater!"
Als er sich umdrehte, erkannte er, wie seine älteste Tochter auf ihn zu rannte, mit der einen Hand aufgeregt winkte und mit der anderen den langen Rock ihres Kleides hielt, damit sie nicht über den Saum stolperte. Mit eiligen Schritten lief er die hölzerne Treppe hinunter, um ihr entgegenzukommen, denn ihre sonst so helle Stimme klang sorgenvoll und aufgewühlt.
"Was hast du, Sigrid?" Als er die kurze Distanz überwunden hatte, zwang er sich, die Ruhe zu bewahren und nahm ihre zarte Hand in die seine, während er auf eine Antwort wartete. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals.
Ihr hübsches Gesicht war seltsam blass, und doch lag ein Hauch von Röte auf ihren Wangen. Sie setzte an, etwas zu sagen, schloss den Mund jedoch wieder und schluckte hörbar, und als sie dann wieder zu Atem kam, sprach sie mit bebenden Lippen. "Du... du musst mit mir kommen, schnell!"
Sie zog an seinem Arm und Bard folgte ihr. Sein Gesicht war ernst, denn er meinte, zu verstehen, weshalb seine Tochter dermaßen neben der Spur war - sie war noch jung, und die letzten Wochen waren für niemanden leicht gewesen.
Noch während sie die Gassen in Richtung des Marktplatzes entlang eilten, verfolgte er mit wachsamen Augen die Einwohner Thals. Die Straßen waren leerer als sonst, nur vereinzelt sah er Gesichter hinter den Fensterscheiben, neugierige Augenpaare jedweden Alters, die missmutig dem Geschehen folgten, obwohl es nichts zu sehen gab. Es war still, stiller als sonst, und doch erfüllte eine Unruhe die Luft, die ihm das Atmen erschwerte.
Sigrid flüsterte, während sie ihren Vater die Gassen entlangführte. "Wir haben nicht geahnt, dass... Wir haben nicht ahnen können, dass sie schon so früh..."
Sie schluckte und sprach nicht weiter. Bard sah sie an, und es schmerzte ihn, ihr junges Gesicht so voller Sorge sehen zu müssen. Er drückte ihre Hand ein wenig fester und nickte verstehend, mit dem Ziel, sie zu beruhigen, doch es zeigte keine Wirkung.
"Hat jemand ihre Fanfaren gehört?"
Sigrid schüttelte den Kopf, sachte, aber deutlich genug. "Sie haben sich nicht angekündigt. Keiner hat gesehen, wie sie das Tor passierten. Sie... sie standen nur plötzlich da und... und..."
Bard blieb stehen, nahm nun auch ihre andere Hand in die seine und beugte sich zu ihr herunter. "Sieh mir in die Augen... Sieh mich an." Sanft strich er mit seiner rechten Hand über ihre gerötete Wange, die warm vom Morgenlicht erhellt wurde. "Es wird alles gut, mein Herz. Es gibt keinen Grund zur Furcht. Sie sind hier, um zu helfen, und das werden sie auch tun. Sie werden uns helfen. Es wird alles gut."
Es dauerte einige Sekunden, ehe Sigrid sich wieder fasste. Dann blickte sie in die Augen ihres Vaters, schluckte und schüttelte den Kopf. "Sie sind uns zu Hilfe gekommen, das mag sein. Aber wie soll diese Hilfe aussehen? Ich habe Angst, dass es bei eurer Audienz mit ihm nicht nur bei Worten bleibt..."
![](https://img.wattpad.com/cover/196359811-288-k218520.jpg)
DU LIEST GERADE
More than gold | Bagginshield
FanfictionDie Geschichte eines Hobbits und eines Zwergen - zwei Geschöpfe, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch Gegensätze ziehen sich bekanntlich an... Die Schlacht ist gewonnen, die Feinde besiegt, die Schulden beglichen. Bilbo weiß, was das b...