Kapitel 63

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Heute war Samstag. Ein kalter Samstag.
Ariana war mittlerweile aus dem Krankenhaus entlassen worden.
Zu lange war es schon her seit ich im Krankenhaus war. Zu lange war Heiligabend schon her. Zu lange war das Glück her.

Bald würde all das ein Ende nehmen.
Bald würde ich die Sprüche meiner Mutter nicht mehr hören.
Bald würde ich erfahren, was die Frau damals gemeint hatte.
Bald würde ich Antworten finden und die Fragen würden verschwinden.

Zu sehr wünschte ich es mir. Zu sehr wünschte ich mir, dass es nicht bald sondern heute wäre.

Nur nicht genug, um meine Ängste zu überwinden und sie heute umzubringen.

Aber morgen würde es losgehen.
Morgen.

*********************

Leise lief ich hinunter. Bedacht darauf, dass er mich nicht hörte. Er war betrunken. Und ich? Ich lief genau zu ihm. Musste. Ich... hatte Durst. Starken Durst.

Meine Schritte waren zwar leise, jedoch konnte man mich dennoch hören. Die Angst holte mich ein.

Was würde er tun, wenn er mich sehen würde?

Wozu war er im Stande?

Vielleicht würde er mir was zu Trinken anbieten, oder er würde mich schlagen. Vielleicht würde er mich auslachen. Ich wusste es nicht.
Und trotzdem stürzte ich mich hinein.
In das Ungewisse.

Vielleicht übertrieb ich das alles auch einfach nur. Vielleicht würde er mich garnicht wahrnehmen.
Oder aber doch.

Ein lautes Knirschen ließ mich die Luft einziehen. Verdammt! Das hasste ich an diesem Haus.
Alles war laut und quietschte.

Ängstlich schaute ich geradeaus.
Geradewegs in die Augen von Zayn.
Sein spöttischer Blick lief an mir hinunter.

,,Was machst du hier?!" Sein gerade noch belustigter Ausdruck verschwand. Pure Wut war auf seinem Gesicht zu sehen.

,,Ich hab Durst.", flüsterte ich.

,,Durst?! Deswegen störst du mich?" Er war unberechenbar.

,,Tschuldigung. " Mein Herz pochte. Mein Atem war laut. Zu laut.

,,Was willst du denn trinken?", fragte er plötzlich einfühlsam.

,,Wasser?" Meine Augen wanderten zu seinen. Pure Liebe war zu sehen.
Was war denn jetzt los?

,,Wasser also. Sprudel oder Still?"
Ich verstand nichts mehr.

,,Still." Eine kurze Zeit lang blieb es ruhig. Dann wandte er sich wütend zu mir.

Er war eine tickende Zeitbombe...

,,Dann hol dir welches und verschwinde, Wrack."
Autsch.

,,Na los, worauf wartest du?" Mit kleinen Schritten lief ich zu dem Glas, welches er mir gerade noch mit Wasser gefüllt hatte.

,,Nimm schon!" Ich zuckte zusammen.
Und als ich hochschaute und seinen Blick sah, wusste ich das das ein Fehler war.
Es war ein Fehler hier runtergekommen zu sein.
Ein Fehler zusammengezuckt zu sein.
Ich hätte meinen Durst einfach unterdrücken sollen.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ich neben mir Glas zersplittern hörte.
Tränen strömten über meine Wange.
Dann folgten die Schreie.

,,Es geht morgen los! Was stehst du hier noch rum? Was weinst du noch? In einem Kampf verliert man keine Tränen, wir sind kurz davor, also hör auf damit! Es reicht, es reicht mit deiner weichen Art! Wenn du morgen gewinnen willst, dann musst du hart sein. Unberechenbar. Verstehst du das?!"

,,Verstanden.", murmelte ich leise. Das ließ ihn wiederholt wütend ausatmen.

,,Lauter! Selbstbewusster!" Die grünen Augen von Zayn sprühten gerade zu Funken. Funken des Zorns.

,,Verstanden!", brachte ich mit all meiner Kraft hervor.

,,Na los, heb die Scherben auf. Mit deinen Händen. Ohne Hilfsmittel. Das härtet dich ab. Ich gehe einen Teil vorbereiten." Schnell drehte er sich um und verschwand. Das Letzte, was ich von ihm erblickte war seine Hand, die zu einer Faust geballt war.

Verängstigt schaute ich zu den Scherben hinunter.

Warum verdammt hatte ich nicht meine Kraft benutzt und meinen Durst gestillt?
Weil ich nicht nachgedacht hatte.
Weil ich zu dumm war.

Es war so verdammt dumm hier runterzukommen.
Zu denken, dass er mich nicht bemerken würde.

********************

Müde lief ich ins Badezimmer. Es war groß. Hatte eine Dusche und Badewanne. Über dem Waschbecken war ein Spiegel.
Ein Spiegel, in welchem ich mich gerade sah.
In welchem meine Haare so matt wirkten.
Meine Augen so schwach.
In welchem man meine Augenringe gut erkennen konnte.

Ich sah schrecklich aus.
So wie immer.
Hart aber wahr.

Lustlos wollte ich mir die Haare zu binden, um mein Gesicht waschen zu können.
Meine Augen verweilten immernoch am Spiegel.
Verfolgten alle meiner Bewegungen.

Und weil ich noch so müde war, hatte ich total vergessen, dass meine Hände in Verband eingewickelt waren.
Dementsprechend geschockt reagierte ich, als ich die verbundeten Hände im Spiegel erblickte. 

Dass ich mir gerade noch meine Haare binden wollte, war vergessen. Stattdessen beobachtete ich den Verband.
Manche Stellen waren wegen dem Blut schon rot.
Ich hatte mich gestern ordentlich geschnitten.

Natürlich.

Nach einigen Minuten des Schweigens machte ich mich weiter fertig.

******************

Erst jetzt realisierte ich, dass wir heute meine Mutter angreifen würden.
Heute würde rauskommen, dass ich nicht tot war.
Alle aus der Welt der Elemente würden mich suchen. Um mich umzubringen. Um mir das anzutun, was ich ihren Liebsten angetan hatte.

Ich konnte sie verstehen.
Würde es verstehen, wenn sie mich umbringen würden.

*************

Zayn war alles vorbereiten.
Gut so.
So musste ich ihm nach gestern wenigstens nicht in die Augen schauen.

Erinnerte er sich überhaupt an gestern?

Keine Ahnung.
War mir eigentlich auch relativ egal, solang ich ihm nicht so schnell begegnete.

Mittlerweile war ich auf dem Weg zu Ariana. Sie schlief im Hotel.
Zayn konnte sie nicht leiden. Genauso wenig wie meine Mutter, welche übrigens seit gestern verschwunden war.
Naja, nicht ganz verschwunden.
Sie war bei einer Freundin.
Keine Ahnung, ob das stimmte.
Jedenfalls wollte sie heute zum Abendessen wieder da sein.
Deshalb bereiteten wir auch alles vor.
Heute würde es für sie kein Abendessen mehr geben.
Kein Entkommen.

Das hatte sie sich selbst zuzuschreiben.

Wir taten es nur, weil es das Beste für alle war.
Denn es war klar, dass Zayn alles andere wollte als das.
Deswegen war er auch gestern betrunken. Deswegen war er so hart zu mir.
Deswegen war er ständig schlecht gelaunt.

Ich konnte ihn ja verstehen.
Aber es musste sein.
Das wussten wir beide.

Und jetzt, jetzt gab es kein Zurück mehr.

Prinzessin der ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt