Kapitel 38

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,,Möchtest du deine Geschwister kennenlernen?"

,,Ich glaube, dass sie das sehr gerne würde, Eure Majestät." Frau Coopbeer antwortete an meiner Stelle.
Jetzt durfte ich noch nicht einmal selbst entscheiden, was ich wollte.

Die Königin nickte und nahm mich an der Hand- wie bei einem Kleinkind. Wahrscheinlich hatte sie Angst, dass ich flüchten würde.
Doch das konnte ich garnicht. Ich hatte die Kraft dazu nicht.
Und dann wusste ich es: es war schlecht, dass ich stärker geworden war. Es war so schlecht. Hätte einfach nicht passieren dürfen. Denn wenn ich nicht stärker geworden wäre, hätte ich niemals gesprochen. Hätte  niemals diesen Mut gehabt wegzulaufen. Dann wäre ich jetzt nicht hier.

,,Das sind deine Geschwister. "

,,Sie heißen Liora, Lorcan und Elian."
Das wusste ich schon. Schon lange.

,,Hey. Ich bin Liora und bin 9 Jahre alt." Ich beachtete sie nicht, schaute mir stattdessen den Raum an, in dem ich mich befand. Er war groß. Sehr groß, doch war es nicht zu groß. Nein, die Größe war perfekt. Die Bilder, welche an der Wand hingen, sahen einfach nur wunderschön aus.
Die Wand war gräulich gestrichen und darauf wurden dann mehrere Blumenmuster gezeichnet.

Ich schaute mich weiter um, drehte mich von meiner Familie weg und ignorierte sie.
Als ich mich um 180° Grad gedreht hatte, sah ich ein Bild, welches ein langes Stechen in meiner Brust verursachte.

Ein Familienporträt.

Ich war darauf nicht zu sehen.
Meine Eltern lachten herzlich. Schienen so glücklich. So erfüllt.
Die Gesichter meiner Geschwister waren ebenfalls zu einem Lächeln verzerrt, doch genauso wie bei meinen Eltern, wirkte es keinesfalls gezwungen. Man sah bei jedem einzelnen Familienmitglied das Funkeln in den Augen.

Ob meine Familie überhaupt einen Gedanken an mich verschwendet hatte? Ja, die ersten Monate. Danach bestimmt nicht mehr.

Meine Augen fokussierten das Bild. Meine Ohren ignorierten die Versuche meiner Familie mit mir zu reden. Mein Herz schmerzte noch immer, pochte immer mehr.
Mein Mund schmeckte die salzigen Tränen, die ich unbeabsichtigt verloren hatte.

Langsam kam ich wieder zu Verstand und wischte mir die Tränen weg. Danach drehte ich mich zu meiner Familie und schaute sie an.
Sie ignorierten meinen gequälten Gesichtsausdruck und sprachen einfach weiter.

,,Und ich bin Elian. Ich bin 6 und schon ganz groß." Dabei lächelte er mich an und zeigte mir seine Zahnlücke.

,,So, möchtest du auch noch deinen Vater sehen?" Nein, dass wollte ich nicht. Und ich hatte Glück, Frau Coopbeer war nicht im Raum. Ich hätte sagen können, dass ich das nicht wollte.

Doch ich blieb still. Ich wollte reden, wollte es so sehr. Doch konnte ich nicht. Ich hatte die Kraft dazu nicht.
Die ganze Stärke die ich gesammelt hatte, hatte ich verloren. Ich war so schwach. So schwach wie noch nie zuvor. Es tat weh zu wissen, dass meine Familie und die Menschen, die ich Anfangs mochte, daran Schuld waren.
Es tat verdammt noch mal so weh.
So weh, dass das Stechen nicht mehr verschwand. Es blieb und quälte mich weiterhin.

,,Da sind wir." Ich hatte garnicht gemerkt, dass wir gegangen waren.

Sie öffnete die Tür und schubste mich hinein. Danach verschloss sie diese wieder. Sie war draußen geblieben.

,,Ah, Aylin. Schön dich zu sehen. Setz dich doch." Dabei zeigte er auf einen Stuhl, der vor ihm stand. Ich tat was mir gesagt wurde.

Mittlerweile war ich eine Puppe. Eine Marionette, die leicht zu lenken war. Doch so öfter man diese Puppe benutzte, so kaputter wurde sie. Von innen und von außen. Meine Puppe war innen schon gebrochen. Von Außen sah sie auch nicht mehr gut aus. Meine Puppe würde bald kaputt gehen.

Nichts hält ewig. Nichts.

Prinzessin der ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt