Kapitel 71

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Überglücklich blickte ich in Ennos Gesicht. Automatisch plusterten sich seine rosigen Wangen auf. Seine braunen Augen gifteten mich an.
Und während er sich langsam erhob, betrachtete ich ihn weiterhin und ließ ihn nicht aus dem Blick.
Mit seinem ozeanblauen Anzug versuchte er schlanker zu wirken. Vergeblich.
Noch immer konnte man den runden Bauch erkennen.
Noch immer konnte man erkennen, dass der mittlere Knopf des Jacketts gleich aufspringen würde.
Seine Hose, die ihm nun wirklich zu eng war, strich er glatt und lief dann auf mich zu.
Seine dicken Hände ballte er zu Fäusten.
Irgendwie sah das süß aus.
Ein Blick zu Zayn genügte, um zu sehen, dass er dasselbe dachte wie ich. Sein Schmunzeln verriet ihn, während er Enno hinterher schaute.

Im selben Moment, wo ich ihn in meinen Gedanken noch ausgelacht hatte, stoppte ich mich schockiert.

War ich jetzt etwa auch so wie Lisa geworden?
Gemein?
Oberflächlich?

Ich war auch nicht schön. Alles andere aber nicht das. Immerhin kitzelten meine Haare meine Ohren und endeten schon dort. Mit meinen leicht jungenhaften Geisichtszügen, diesem Haarschnitt und meiner nicht gerade weiblichen Figur sah ich fast aus wie ein Junge.
Würde ich nicht in einem Klied stecken und nicht doch ein bisschen von dem weiblichen Geschlecht haben, könnte man denken, ich sei ein Junge.
Keinem würde ich es übel nehmen.

Langsam realisierte ich, dass Enno mit den Händen in seinen Hüften vor mir stand.

,,Willst du mir womöglich erzählen, weshalb du nicht das Kleid trägst, welches du eigentlich anziehen solltest?"
Seine Augen waren zu Schlitzen geschrumpft und beobachteten mich nun genau.

,,Eigentlich nicht." Meine Stimme klang ungewöhnlich selbstsicher und mein glücklicher Ton erschrak mich.

,,Du wirst aber, Aylin."
Dass er mich bei meinem Namen nannte regte mich zwar derartig auf, sodass ich ihn am liebsten von der Bühne geschmissen hätte, aber ich ließ mir davon nichts anmerken und lächelte nur provokant.

,,Na gut, Enno. Aber wollen wir das nicht lieber unter vier Augen besprechen?" Schnell durchwühlte er seine gerade noch zurückgegelten Haare, sodass sie jetzt wirr vom Kopf hingen.
Unsicher tippte er einmal mit seinen schwarzen Lederschuhen auf den Boden.

,,Nein, das brauchen wir nicht. Du bist die Königin. Es gibt nichts, was das Volk nicht auch wissen dürfte." Dass er dies nur sagte, um mir einen Vorteil und Pluspunkte zu verschaffen, ignorierte ich und lachte diese Entscheidung innerlich aus.

,,Nun gut, aber meinst du nicht, dass mich dann auch alle verstehen sollten. Ohne Mikrofon können mich ja höchstens die ersten drei Reihen hören. Also wärst du so lieb und würdest der Königin eines beschaffen?"
Das liebliche Lächeln, was ich aufsetzte, ließ Zayn einmal los prusten und es mit einem Huster entschuldigen.

,,Ach, diese dummen Hustanfälle", versuchte er sich zu retten.
Mir war aufgefallen, dass er gelacht hatte, was zwar ungewöhnlich für ihn war, aber trotzdem fand ich es gut. So musste er immerhin nicht die ganze Zeit an sie denken.
Den anderen war es anscheindend nicht aufgefallen, da die meisten darauf antworteten und sagten, dass das häufig vorkomme und fast jeder solche Anfälle hätte.

Als Enno laut stampfend wieder zurück zu mir kam, beendete das Volk das Gespräch mit meinem Vater und schaute wieder gespannt nach vorne.

,,Hier!" Unglücklich ging er wieder zu seinem Platz.

,,Eigentlich hätte ich eine Rede, die ich nun sagen müsste. Ich habe sie sogar hier in der Hand." Ich stoppte.
Ließ das weiße Blatt voll mit Kriezeleien rumschwenken und widmete mich dann wieder dem Volk.

,,Aber ich möchte euch sowas nicht vorlesen. Ich möchte euch sagen, warum ich heute dieses Kleid trage und nicht das weiße und strahlende Kleid, das ihr euch alle erhofft habt an mir zu sehen." Kurz sah ich zu Zayn. Sah, dass er mir zunickte.

,,Ich hatte keine schöne Vergangenheit. Oder ist es etwa schön von allen gemobbt zu werden, den Sinn im Leben zu verlieren und den sehnlichsten Wunsch nicht erfüllen zu können? Denn irgendwann war es mein größter Wunsch nicht mehr zu leben. Nicht mehr unter euch zu verweilen. Das ist er auch jetzt noch. Wir spielen gerade mit offenen Karten. Und ich sage euch, dass ich gerade am liebsten tot wäre. Das ist auch ein Grund, warum ich gerade dieses Kleid trage. Warum ich mich so präsentiere. Ich habe meine Seele verkauft. Vielleicht merkt ihr gar nicht, dass es mir nicht gut geht. Dass ich vor zwei Tagen noch überall verwundet war und kriechend einen ekligen Gang durchquert habe. Vielleicht merkt ihr nicht, dass ich meine Macht überhaupt nicht will. Dass ich mein zweites Element nicht will."
Ich machte eine kurze Pause. Um meinen Worten eine gewisse Kraft zu verleihen. Um das Volk nicht zu überlasten und erstmal diese Informationen aufnehmen lassen.

Und als ich gerade weitersprechen wollte, kamen Wachen auf mich zu. Enno stand und marschierte ebenfalls auf mich zu.

,,Auf eure Plätze! Sofort!" Meine Stimme war laut und hart.

,,Ich bin eure Königin! Ihr müsst mir gehorchen! Also hinsetzen. Jetzt erzähle ich und ihr könnt mich nicht aufhalten. Auch du nicht, Enno."

Sie schritten trotzdem weiter.
Ließen sich durch Worte nicht aufhalten.

,,Nun gut", sagte ich leise.

Na los, benutz sie! Du hast geübt. Du kannst das.

Ich wusste, dass sie wollten, dass ich die Menschen verletzte. Aber das wollte ich nicht. Das war nicht mein Ziel.

Blitzschnell war um mich herum ein Kreis aus Feuer. Eine kleine Handbewegung genügte. Mit der anderen Hand hatte ich außen rum, also nach dem Feuer, einen größeren Kreis aus Wasser gebildet, der mich schützen und verhindern sollte, dass das Feuer erlosch, wobei der Wassekreis hoch empor stieg und eine Wand bildete. Denn nicht nur ich hatte Kräfte. Jeder andere, fast jeder, der hier anwesend war, hatte auch Kräfte. Und das Feuer konnte leicht gelöscht werden, wenn etwas dies nicht schütze. 

Die Wachen stoppten abrupt. Schauten unsicher zu Enno, welcher mittlerweile langsam und leicht ängstlich zurück zu seinem Platz ging. 
Rückwärts. 
Die Wachen folgten ihm und nahmen wieder ihre Plätze ein, die an der Seite der Bühne waren.

,,Geht doch. Warum nicht direkt so?"
Der bissige Geruch des Feuers stieg in meine Nase und ließ mich diese rümpfen.
Die Hitze, die von dem Feuer ausging, war unerträglich. Automatisch wurden meine Wangen rot und ich schwitze.

,,Vielleicht merkt ihr all das nicht. Vielleicht auch doch und ihr habt einfach keine Lust auf eine bemitleidene Königin, die sich selbst in den Vordergrund drängt und viel zu depressiv ist. Das könnte ich verstehen. Aber jetzt kommen wir mal zum Grund, warum ich heute dieses Kleid trage. Ich habe gerade gesagt, dass ich meine Seele verkauft habe. Ich habe dies nicht freiwillig getan, nein." Die Hitze ließ mich kurz stoppen.
Schnell hatte ich entschlossen, dass ich das Feuer löschen musste.
So hatte ich die Wand leicht herunter prasseln lassen.
Gespannt schauten alle dabei zu, wie das Feuer um sein Überleben kämpfte. Schauten zu, wie das Wasser das Feuer verschlang. Beobachteten das atemberaubende Farbstpektrum, wobei das rot immer mehr verschwand und mehr Platz für das klare blau ließ. Das blau, welches nun dunkler war und von welchem immernoch Dampf stieg, versuchte sich zu beruhigen und zum alten Zustand zurückzukehren. Ich hatte geholfen.

,,Ich habe das keinesfalls freiwillig getan." Langsam kühlte ich wieder ab und auch der Rauch, der vom Feuer ausgegangen war, verschwand immer mehr.

Ich blickte wieder zu Zayn.
Er nickte.
Gab mir Kraft.

Enno hingegen schaute mich noch immer durch zusammengekniffene Augen an. Sein Mund entsprach regelrecht einer Linie. Mit verschränkten Armen verfluchte er mich, was man deutlich an der Bewegung seines Mundes erkennen konnte. Nach den Wörtern, die er sprach, verwandelte er seinen Mund wiederholt zu einer Linie.

Ich musste leicht schmunzeln.
Und das sollte der oberste des Rats sein?
Lächerlich.

Prinzessin der ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt