Kapitel 69

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Zweifelnd betrachtete ich das edle Kleid. Weiß. Mit schwarzen Mustern. Blumen. Ein Zeichen der Freundlichkeit. Zuneigung.
Vögel. Ein Zeichen des Friedens.
Das Kleid war langärmlig.
Ab der Taille wurde es fülliger. Ein Prinzessinenkleid.
Tränen traten mir in die Augen.
Es rief ein Stechen in meinem Herzen hervor. Rief die Angst hervor.

,,Das werde ich nicht anziehen", sagte ich erstaunlich bestimmend.
Unsicher wurde ich angesehen.

,,Ihr müsst aber", versuchten sie mir schonend beizubringen. Meine Zofen.

Wer sagt das? Hm?

,,Ja genau, wer sagt das?" Komisch wurde ich von der Seite betrachtet.

,,Das sagt Ihr Vater, Eure Hoheit."

,,Nur er?" Langsam spürte ich wie Misstrauen meine Kehle hochkroch und mich an meinem Vater zweifeln ließ. Dieses Misstrauen ließ mich an die Absicht meines Vaters zweifeln.
Auf welcher Seite stand er momentan?

,,Nein, Madam. Er und der oberste des Rats." Ich konnte die leichte Angst raushören.
Angst vor meiner Reaktion?
Oder Angst davor, dass sie vielleicht etwas gesagt hatte, wovon sie sich nicht sicher war, ob ich das schon wusste oder überhaupt wissen durfte?

,,Der oberste des Rats?" Meine Stimme war kalt geworden. Unerreichbar.

Du weißt, wer das ist

Erneut ertönten ihre schrecklichen Gelächter in meinem Kopf.
Erneut hielt ich mir kurz die Ohren zu.

,,Ja", antwortete eine mir bekanntere Stimme.

Enno.

Ekel überkam mich.
Ekel vor diesem Mann.

,,Ich bin der oberste Leiter, Aylin."
Nun trug er dieses Lächeln, welches ich hatte, als ich ihn im Raum sprachlos gemacht hatte, auf seinen Lippen.

Ich würgte.

,,Nennen Sie mich nicht Aylin. Für Sie heiße ich entweder Frau Lipör oder Sie nennen mich Königin. Ihre Entscheidung."

Denn klar war, dass ich schon Königin war. Zwar war ich da nicht ganz bei mir gewesen und hatte alle gezwungen, aber gesetzlich war ich schon Königin.
Ich würde nur erneut gekrönt werden, um das Verhältnis zum Volk zu verbessern und mich als besser  darzustellen.
Und ich hieß seitdem auch nicht mehr Weesterhof, sondern Lipör. Mein richtiger Familienname.
Wie ich ihn hasste.
Ich hasste beide Namen.
Keiner brachte gute Erinnerungen, gute Zeiten, gute Menschen mit sich.

Ich sollte mich verändert haben.
Zum Guten.
Und eine neue Königin erfordert eine neue Krönung.

Aber eins vergaßen alle.
Die Stimmen. Sie waren noch da.
Ich war noch immer dieselbe.

Und das würde sich auch nie ändern.

Niemals.
Ich war nunmal zu schwach, um sie endgültig besiegen zu können.
Das hatte ich eingesehen.

Nur wann würden es die anderen endlich einsehen?
Wann würde mein Vater endlich sehen, dass ich mir immer noch ständig die Ohren zuhielt?
Dass ich oft schlaflose Nächte hatte?
Dass ich manchmal abwesend war?

Dass es mir nie gut gehen würde? 

************

,,Ich werde dieses Kleid nicht anziehen."

,,Du musst", erwiderte Zayn.

,,Warum? Ihr zwingt mich doch schon zu dieser Krönung. Zwingt mich doch schon zu meinem Unglück. Habt meine Zukunft schon geplant. Und alles andere auch. Warum darf ich dann nicht entscheiden, welches Kleid ich zur Krönung anziehe? Warum darf ich so eine kleine Sache nicht entscheiden, wobei ihr doch mein ganzes Leben entscheidet und plant? Warum verdammt?!"

Ich spürte, dass meine Hände heiß wurden.
Ich sah die kleine Flamme, die auf dem Boden brannte.
Ich bemerkte, dass mein Vater mich geschockt ansah.
Und doch ignorierte ich dies und schrie weiter.
So lange bis ich verwirrt eine Antwort erhielt.

,,Okay. Du darfst entscheiden, welches Kleid du trägst, unter einer Bedingung", sagte er noch ein bisschen benebelt.

,,Und die wäre?"

,,Danach meckerst du nicht mehr.  Wenn ich dir sage, dass du freundlich bist, dann bist du das auch. Wenn ich dir sage, dass du etwas machen musst, dann tust du das auch. Egal, was es ist."

Zufrieden stimmte ich zu.

Ich hatte gar nicht daran gedacht, was er alles bestimmen konnte.
Was das für Auswirkungen auf meine Zukunft nehmen würde.
Hatte doch garnicht an meine Zukunft gedacht.

*****************

,,Ihr müsst diese Rede auswendig lernen. Für die Krönung morgen. Befehl Ihres Vaters."

Ich hatte nur genickt.
War noch dabei meine ganzen Narben im Spiegel zu betrachten.
Ja, die Technologie war fortgeschritten, aber nicht so sehr, dass Narben schon verschwinden konnten.

Meine Wunden waren alle geheilt. So wie es Enno vorgesehen hatte.
Diese Tatsache machte mich irgendwie sauer.
Ich wollte nicht, dass er recht mit etwas hatte. Wollte nicht sein Lächeln und seinen Stolz sehen.

Augenblicklich erinnerte ich mich daran, dass Enno mich genauso wenig mochte wie ich ihn. Das hatte er mit dem Zimmer bewiesen, in welchem ich diese zwei Tage verbracht hatte.
Es war pink. 
Wieder.
Doch diesmal hatte ich mich nicht beschweren können. War dafür zu kraftlos gewesen.

Schläfrig hatte ich dort gelegen.
Auf einer braunen Liege.

Mittlerweile wunderte es mich, dass Zayn das zugelassen hatte.
Dass er nichts dagegen unternommen hatte.
Obwohl er doch wusste, dass ich pink hasse.
Obwohl er doch wusste, in welchem Zimmer ich lag.

Er kam mich einmal besuchen.
Ganz kurz.
Dann war er wieder weg.
Hatte nicht gesprochen.
Und doch hatte ich seine Anwesenheit gespürt.

Warum war er so geworden?
Konnte ich ihm überhaupt noch vertrauen?

Ja. Ja, das konnte ich noch.

Warum fragte ich mich sowas überhaupt?
Er hatte seine Frau verloren.
Natürlich war es schwer für ihn.

Er musste erstmal über sie hinweg kommen.
Wenn das überhaupt möglich war.
Vielleicht würde er sie auch nie vergessen.

Doch selbst wenn dies der Fall sein würde, könnte er sich doch mehr um mich kümmern, oder?

Oder übertrieb ich alles wieder nur?

Ich war definitiv noch fertig von den letzten Tagen.

Schlaf. 
Das brauchte ich, denn morgen schon würde meine Krönung sein. Mein geplantes Leben würde anfangen.

Mein letzter Gedanke war, dass mich in dieser Nacht hoffentlich keine Alpträume heimsuchen würden.

Meine letzter Wunsch war, dass das Kleid, welches ich mir ausgesucht hatte, die gewünschte Wirkung erzielen sollte.
Das gewünschte Gefühl übermitteln sollte.

Prinzessin der ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt