Kapitel 3

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Im Heim angekommen, lief ich direkt zu Teresas Büro und wischte mir währenddessen die Tränen weg. Mit der anderen Hand trug ich den Korb, der immer schwerer wurde.
Und nachdem ich angeklopft hatte, wartete ich auf das ,,Herein", welches auch kurz darauf zu hören war. 
Ihre blauen Augen funkelten mich abwartend an. Ihre Haltung war deutlich gelangweilt. Mit dem Blick weiterhin auf mich gerichtet, lehnte sie sich leicht nach hinten. Und auch jetzt noch giftete das Eisblau in ihren Augen mich durch ihre dicke Brille an. 
Allmählich fühlte ich mich unter ihrem Blick unwohl.

,,Was willst du, Aylin?", fragte sie mich mit einer so harten Stimme, sodass ich kurz schlucken musste. 
Und doch sagte ich nichts, sondern ging auf sie zu und gab ihr den Zettel, den ich gefunden hatte. 
Sie las ihn durch und schaute auf das Baby im Korb, welchen ich trug. Wahrscheinlich bemerkte sie das Baby erst jetzt. 
Es wäre kein Wunder. 
Denn Teresa war jemand, der andere nicht bemerkte. 
Sie war eine Person, die einem allein durch ihren eiskalten Blick Angst machte. 

,,Was soll ich jetzt damit?", fragte sie und deutete auf das kleine Kind. Ich zeigte auf das Wort ,,Kinderheim", welches auf dem Zettel stand. 

Wie konnte man nur so herzlos sein? 
Dass man sich überhaupt keine Sorgen um dieses Baby machen würde? 

,,Dieses Kind aufzunehmen, bringt ganz schön viel Arbeit mit sich. Das weißt du, oder?" Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute sie mich missbilligend an. So wie sie es doch schon immer tat.
Und als ich unsicher meinen Kopf schüttelte, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. 

,,Und möchtest du, dass es dieses kleine Lebewesen gut hat, oder nicht? Möchtest du, dass es wie du behandelt wird?" Ihr Lächeln wurde immer breiter. Glich einem Grinsen. 

Frustriert schüttelte ich wiederholt meinen Kopf. Frustriert stiegen mir Tränen in die Augen, die ich nicht aufhalten konnte. Zu viele Erinnerungen kamen hoch. 
Wie Teresa mich den Boden mit einer Zahnbürste putzen ließ, weil einer mit mir gesprochen hatte. Und obwohl diese Person nur nach dem Weg gefragt hatte, hatte Teresa dies mitbekommen und mich bestraft. Weil ich Aufmerksamkeit bekommen hatte. 

,,Du bekommst für fünf Monate kein Taschengeld", forderte sie glücklich. 
Wo gerade noch Gift aus ihren Augen zu sprühen schien, sah man nun die pure Freude über meinen Schmerz. 

Und obwohl fünf Monate nicht viel waren, obwohl ich jeden Monat doch eh nur zehn Euro bekam, musste sie dies trotzdem tun. Um ihr inneres Monster zu beruhigen. Um die Gier nach meinem Verlust zu stillen. 
Zu typisch für Teresa. 

Schnell nickte ich. Und obwohl ich wusste, dass das Baby ein besseres zu Hause verdient hatte, hoffte ich, dass es zu den Lieblingen von Teresa gehören würde. Hoffte, dass Teresa ihr Wort hielt. 
Hoffte letztendlich einfach, dass es dem Baby besser als mir ergehen würde. 
Einen kleinen Schritt dafür hatte ich schon gelegt. 
Immerhin musste sie mir, wegen des Babys fünf Monate kein Taschengeld zahlen. Das ist doch ein Grund mehr jemanden zu mögen, oder? 

Niemals im Leben hätte ich mein Taschengeld für ein Kind geopfert, doch dieses Kind schien mir irgendwie besonders. Ich hatte das Gefühl, dass ich es beschützen musste.
Keine Ahnung, warum. 
Ich übergab Teresa das Baby, welches mich mit großen Augen anschaute, und ging in mein Zimmer.

Ich hatte mich auf die Fensterbank gesetzt und sah auf die Stadt hinunter. Versuchte meine Gedanken zu ordnen. 

Morgen wäre mein 16. Geburtstag. Morgen...... morgen wäre ich seit 10 Jahren von meinen Eltern getrennt. 
Ich dachte an die Zeit zurück, wo wir noch zusammen waren. 
Wir zusammen verstecken gespielt haben. 
Wo ich noch gesprochen habe. 
Wo ich noch gelacht habe. 
Wo ich noch nicht allein war... 
Wo ich noch glücklich war. 
Wo ich noch einen Grund hatte, um zu Lachen und zu Leben. 

All das hatte ich nicht mehr. 
All das war ich nicht mehr. 
Aber es war nicht schlimm, immerhin kannte ich es nicht mehr anders. 
Klar, war es am Anfang hart. Doch man gewöhnt sich mit der Zeit daran. So, wie ich mich daran gewöhnt hatte, nicht mehr zu sprechen. 
Manchmal machte das Leben in meinen Augen keinen Sinn mehr. Es lohnte sich einfach nicht. 

Selbst wenn ich irgendwann aus dem Heim rauskommen würde, was sollte ich dann machen?

Prinzessin der ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt