Die Wahrheit

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Offenbar hatte sich Ottokar, seit ich an seiner Schulter eingenickt war, nicht mehr bewegt. Denn als ich aufwachte hatte er seinen Kopf ebenfalls an meinem angelehnt. "Da sieh mal einer an." Ich schreckte auf und riss somit auch Ottokar aus seinem Schlaf. Mein Großvater stand vor uns. Auf seinen Gehstock gestüzt und mit wie immer wirrem grau-weißem Haar. "Opa." Ich richtete mich auf und versuchte mich einigermaßen gerade hinzusetzten," wie geht es dem Mädchen?"
"Mina geht es gut. Ihre Werte sind in Ordnung, doch sie ist nicht wieder aufgewacht." Er setzte sich seufzend neben uns. "Aber erzählt mal. Was ist gestern Nacht passiert?" Das war eine gute Frage. Immerhin hatte ich nur die Hälfte mitbekommen und als ich dann Stephan angeschrien hatte einen Krankenwagen zu rufen ging alles so furchtbar schnell. Das Blut musste wohl immernoch auf den Burgsteinen liegen. Bei dem Gedanken daran, fuhr mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. „Ich weiß es auch nicht genau...Ottokar müsste ein paar Gedächnislücken stopfen wärend ich erzähle. Wäre das okay?" Ich sah ihn von der Seite an. Er zuckte mit den Schultern. Immernoch verlegen, vermutlich weil er nicht wusste wie lange der Graf dort schon gestanden und uns beobachtet hatte. „Klar." Ottokar rieb sich die Augen und Gähnte herzhaft.
Und so begannen wir zuerzählen.
Kurz nachdem ich in mein Zimmer gegangen war und Guten Nacht gesagt habe, sind auch Stephan und Ottokar sowie Dampfwalze, Mücke und Strehlau im Nebenzimmer ins Bett gegangen. Kurz darauf hörte ich den Schrei. Ich war rüber gerannt und sah Stephan und Ottokar über einem gehöffneten Fenster. Ottokar sagten sie hätten ein Klackern am Fenster gehört und wären davon wach geworden. Sie haben Mistel erkannt und wussten jetzt natürlich die Wahrheit über das Mistvieh. Also haben sie das Fenster aufgestoßen und sich über die Fenstebank nach draußen gebückt. Dann hing dort angeblich eine Rosenfelserin an der Burgmauer. Dazu muss man noch sagen das unser Zimmer vielleicht gerademal eine Etage über dem Erdgeschoss lag. Jedenfalls hing sie dort, als hätte sie vor an der porösen Mauer empor zu klettern. Als sie jedoch die Jungs entdeckte bekam sie so ein Schreck, das sie eine falsche Bewegung machte und (laut Ottokar) ein Stein abbrach und sie fiel. Er würde sich immernoch an das eklige Geräusch erinnern, das sie machte, als die mit dem Kopf auf dem Kopfsteinpflaster der Burg aufschlug.
Ich war durch den Schrei des Mädchens aufgewacht und sah nur noch Ottokar und Stephan am offenem Fenster stehen. Den Schreck und die Panik ins ganze Gesicht geschrieben. Dann ging alles viel zu schnell. Dampfwalze und Strehlau sind sofort nach unten gerannt, um nach dem Mädchen (offensichtlich war ihr Name Mina) zu sehen. Ich schrie Stephan dann vor lauter Panik und Sorge an ins Telephon-Zimmer zu rennen und den Krankenwagen zu rufen.
„Mein Beileid das ihr das mitansehen musstet." Mein Großvater klopfte uns halb aufmunternd, halb trauernd auf die Schultern. „Die Eltern des Mädchens werden bald hier sein. Ihr könnt froh sein das ihr das nicht Frau Dr. Horn erklären müsst." Er seufzte, befor er sich schwerfällig aufsetzte. „Denn das werde ich jetzt tun." Mit einem freundlichen Gruß in unsere Richtung und auf seinen Gehstock gestützt machte er sich wieder in die Richtung auf, aus welcher er gekommen war.
„Das ist alles Stephans und meine Schuld. Wegen uns lieg das Mädchen jetzt hier im Krankenhaus." Schnell dreht ich mich zu ihm und umarmte ihn. Selbstmitleid würde ihn jetzt, in dieser Situation nicht weiterbringen. „Nein. Hörst du? Es ist weder deine noch Stephans Schuld. Es sind immer viele Faktoren die in so einer Situation mit spielen. Zueinem Teil ihr zwei, der Rabe am Fenster, aber auch zu einem großen Teil das Mädchen an der Mauer, was da garnicht hätte sein dürfen, verstanden?" Er nickte zaghaft, bevor er meine Umarmung erwiederte. So blieben wir noch eine Weile dort, im Wartebereich des Krankenhauses sitzen.

Burg Schreckenstein und ich mittendrinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt