5 - Tina und Nina

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Mir fällt das Handtuch aus den Händen. Wild fuchtelnd fange ich es auf, sodass ich Viola nur eine meiner zwei Brüste entblösse – die Linke – die etwas Grössere, die ich manchmal auch liebevoll Tina nenne.

Meine Brüste haben ein Eigenleben, da ist es nur gerecht, wenn sie ihre eigenen Namen bekommen. Bei mir sind es Tina und Nina.

Violas Gesicht verwandelt sich in eine begeisterte Lachfratze als sie Tinas Brustwarze vorgeführt bekommt. Hektisch binde ich mir das Frotteetuch wieder um meinen Torso.

„Hoppla!"

„Mädchen, deine Titten hätte ich gerne!", lacht Viola.

„Bleib du lieber bei deinem Plastik. Deine sind mindestens gleich gross!", erwidere ich nur.

Natürliche Brüste können unterschiedlich gross sein. Meine sind das, aber kein Mann scheint es zum Glück bisher bemerkt zu haben. Mir persönlich ist das natürlich schon längst aufgefallen, nämlich damals, als ich während meiner Pubertät mit Argusaugen mitverfolgt habe, wie viele Millimeter mein Busen innerhalb eines Tages wieder gewachsen war.

Es muss angefügt werden, dass ich äusserst verzweifelt war als Mädchen. Mit anzusehen wie all meine Freundinnen vor mir anfingen zu blühen und ich noch flach wie ein Brett war, war alles andere als einfach. Als auch ich endlich zu spriessen begann, habe ich mit Begeisterung mitverfolgt, wie sich mein Körper zu dem komischen amorphen Ball geformt hat, der er heute ist.

Viola scheint nie aus dieser pubertären Phase herausgekommen zu sein, in welcher man glaube, das Aussehen sei der einzige Wert einer Frau und in welcher man hoffnungslos danach strebt, so fuckable wie möglich für Jungs zu erscheinen. Ein absolutes Trauerspiel, durch welches wir alle durch müssen. Viola ist jedoch steckengeblieben. Sie klammert sich immer noch verzweifelt an die Lügengeschichten der Beauty-Industrie, die sie davon überzeugen wollen, dass Falten, graue Haare und Dellen auf der Haut einem sozialen Todesurteil gleichkommen. Wer nicht schön und perfekt genug ist, der hat keine Freunde und findet keinen Mann, ergo ist verloren und sollte sich am besten gleich selbst die Kugel geben.

Oder vielleicht legt sie so viel Wert darauf, weil sie sonst nichts in ihrem Leben erreicht hat und sie halt mit guten Genen gesegnet wurde. Da haben es so Opfer wie ich viel einfacher. Wir ziehen uns vorher zurück und resignieren. Ich habe immerhin mein Gehirn und meinen Humor. Wer braucht schon einen guten Körper, wenn man nicht Magersuchtsmodell werden will. Dafür liebe ich Käse sowieso viel zu sehr.

„Wer hat geschrieben?", frage ich nach, nur um sicherzugehen, dass ich richtig gehört habe.

Viola reicht mir den Pyjama, den sie mir eingepackt hat. Ein grosses, graues T-Shirt und eine schwarze Unterhose. Sie ist einfach ein Engel und weiss ganz genau, wie ich mich wohlfühle. In Schlabbershirt und bequemer Unterhose lässt sich eine XXL-Pizza viel besser geniessen, als in blasierter Business-Kleidung.

Ich fische ein Stück Pizza aus dem Karton und setze mich im Schneidersitz auf mein Bett. Auch Viola greift sich ein Stück und ich hebe überrascht die Augenbrauen, während ich genüsslich meine Zähne im Mozzarella und in der Tomatensauce vergrabe. Wow, Viola isst Fett  eine Weltsensation.

„Gerard Butler. Wer das wohl sein kann ...?"

Sie lässt die Frage absichtlich in der Luft hängen. Ich lecke meinen Daumen ab und nehme mein Telefon zwischen die fettigen Finger. Auf dem Bildschirm leuchtet eine Nachricht auf, aber ich kann sie nicht lesen. Ich bin viel zu nervös und aus einem mir unerklärlichen Grund pocht mein Herz plötzlich schneller unter Tina und Nina. Seufzend drehe ich das Handy um, sodass der Bildschirm nicht mehr für uns beide sichtbar ist und schiebe es unter die Decke.

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