27 - Zwei Wochen Verspätung

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Ich sitze auf meinem Stricksessel, die Kakaotasse in meiner Hand und träume vor mich hin. Eine ungewöhnliche Zufriedenheit hat sich seit dem Pizza-Abend mit Chris in mir breit gemacht. Vermutlich liegt es daran, dass ich dank ihm seit einer Ewigkeit wieder einmal soziale Kontakte gepflegt und tiefgründige Gespräche geführt habe. Oder vielleicht ist es die schlichte Tatsache, dass ich mit ihm in wenigen Tagen mehr erlebt habe als in den letzten zehn Jahren meines Lebens.

Und was noch abgefahrener ist: Ich kann jetzt Pizza backen – fast ganz alleine, mit selbstgemachtem Teig! Das grenzt an eine Weltsensation.

Ich schmunzle vor mich hin, während ich mich an den Abend zurückerinnere. Chris musste mir helfen, den Teig in die gewünschte Form zu bringen, denn so geschickt wie ein Pizzaiolo habe ich mich natürlich nicht angestellt. Er wollte, dass ich den Teig in der Luft schwingend in Form bringe, allerdings wäre die Scheibe fast auf dem Boden gelandet, denn sie flog mir aus den Fingern. Aber Chris konnte gerade noch rechtzeitig danach greifen. Teo und Maria haben sich köstlich über die Darbietung meiner Schusseligkeit amüsiert.

Nachdem wir die Pizza mit dem Sugo bestrichen und mit allen Zutaten beladen in den Ofen schoben, konnte ich mich über die Crostini mit Thunfischpaste und Olivenöl hermachen und meinen Mordshunger stillen.

Als die Pizza dann endlich fertig war und wir uns zum Essen wieder an den Tisch setzten, konnte ich ein Jubeln nicht unterlassen. Ich war ehrlich stolz auf meine Leistung, denn die Pizza sah wirklich perfekt aus. Fast wie eine, die man in einer Nebengasse in Rom in einer authentischen Pizzeria finden könnte.

Teo und Maria überhäuften mich mit Komplimenten zum Geschmack des Teiges. Dabei huschten meine Augen automatisch zu Chris, der meinen Blick mit einem triumphierenden Lächeln erwiderte.

Den Rest des Abends verbrachten wir gemütlich auf der Couch, bis sich dann Maria und Teo ins Gästezimmer verabschiedeten. Nicht lange danach entschied auch ich mich dazu, nach Hause zu gehen. Schliesslich war es mitten unter der Woche und ich musste am nächsten Tag zur Arbeit.

Chris fuhr mich nach Hause, denn er wollte sichergehen, dass ich heil in meiner Wohnung ankomme. Wir verabschiedeten uns mit einem flüchtigen Kuss auf die Lippen.

Eine Woche ist seither vergangen und ich komme aus meiner Schwärmerei nicht heraus. Egal, was es ist, ich will nicht, dass es aufhört. Ich mag Chris immer mehr und ich weiss, was das bedeutet. Ich habe mich heftig in ihn verknallt. Wenn da was schiefgehen sollte, dann wird es weh tun. So richtig.

Jäh werde ich durch die Klingel meiner Haustüre aus allen sieben Wolken gerissen. Ich erhebe mich und begebe mich seufzend zur Türe. Schon wieder unangekündigter Besuch? Wer das wohl sein könnte?

Schwungvoll reisse ich die Türe auf.

„Papa?", rufe ich entrüstet, als ich meinen Erzeuger vor mir erblicke.

„Überraschung!", jubelt er.

Er breitet die Arme aus und kommt auf mich zu. Da ich im engen Eingang stehe, habe ich kaum die Möglichkeit, seinen Tentakeln auszuweichen und so muss ich die väterliche Umarmung über mich ergehen lassen.

Für Menschen, die ihren Vater leiden können, ist eine solche Umarmung das, was ein miserabler Tag in den besten aller Zeiten verwandeln kann. Es bringt Geborgenheit, das Gefühl von Sicherheit, Vertrauen und Liebe mit sich. Normalerweise. In funktionierenden Familien.

Nicht aber bei mir. Mein Vater ist ein Idiot und diese Heuchelei geht mir mächtig auf den Zeiger. Das letzte Mal habe ich ihn vielleicht vor einem Jahr gesehen. Innerlich explodiere ich fast, als er seine Arme um mich schlingt und mir höflich auf die Schultern klopft.

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