„Oh verdammt", murmle ich ans Holz der Türe. Mein Gesicht klebt noch immer am Guckloch.
Der Schock sitzt tief in den Knochen. Ich kann mich nicht rühren. Während mein Körper paralysiert ist, arbeitet mein Verstand auf Hochtouren. Mein Kopf rattert und versucht, die Dinge zusammenzuzählen, die Logik darin zu finden.
Wie konnte mir das entgehen?
Julia steht vor der Tür. Die Exfrau von Chris und – wie ich mit Schrecken feststellen muss – meine Chefin.
„Chris? Mach endlich auf!", brüllt sie an die Tür.
Scheisse!
Mein Herz klopft mir panisch in der Brust. Ich muss meine Hand an die Lippen legen. Was soll ich tun? Was zum Teufel soll ich tun? Ich kann der doch nicht die Tür öffnen! Halb nackt, wie ich hier stehe ...
„Chris, verdammt, was treibst du schon wieder? Heute ist Emil bei dir! Mach endlich diese Tür auf!", zetert die Tyrannin draussen.
Es klingelt abermals Sturm und ich höre wie Frau Gerber ihrem Sohn irgendwas Böses zuzischt. Das Sturmläuten hört auf und ich vermute, dass es der kleine Bub gewesen war, der die Klingel bearbeitet hat. Julia Gerber ist auch echt zu jedem gemein. Selbst zu ihrem eigenen Kind.
„Papi?", höre ich die piepsige Stimme seines Sohnes. Es klingt herzzerreissend, fast wie ein Welpe, der nach seinen Eltern jault.
Etwas zieht sich schmerzhaft in meiner Brust zusammen. Ich beisse auf die Zähne und löse mich vom Guckloch.
Chris muss da ein grosser Irrtum unterlaufen sein. Das spontane Candlelight Dinner inklusive fast Happy End mit mir gestern hat ihn möglicherweise dermassen aus der Bahn geworfen, dass er es komplett vergessen hat, dass er heute auf seinen Sohn aufzupassen muss.
Ich schaue an mir herab und seufze. Es wird mir nichts anderes übrig bleiben, als dem Dämon diese Tür zu öffnen. Die Konsequenzen, die damit einhergehen, will ich mir jetzt besser nicht ausmalen. Wenn Frau Gerber realisiert, dass die Low-Performerin ihres Teams ihren Exmann datet, dann wird für mich wahrscheinlich die Hölle auf Erden ausbrechen.
„Chris, Gopferdammi!", ruft das blonde Scheusal.
Meine Finger ergreifen die Klinke und ich schwinge die Eingangstüre auf, sodass der Wind des Aufstosses meine Haare nach hinten wirbelt.
Der Ausdruck in Frau Gerbers Gesicht ist unbezahlbar. Verwunderung und Fassungslosigkeit spiegeln sich gleichzeitig in ihrer perfekten Visage. Sie ist schick angezogen und sieht alles andere aus als eine Mutter. Bei der schmalen Taille frage ich mich, wie überhaupt ein Kind da rein gepasst hat.
Sie starrt mich erschüttert an und ich merke, wie ihre Augen auf mich herabsehen, mein Gesicht mustern, mich erkennen und dann mein interessantes Outfit betrachten, das nur so nach "ICH HABE DEINEN EXMANN GEVÖGELT!" schreit. Ich trage Chris' Kleidung, keinen BH und stehe nur in einem Tanga vor ihr. Da gibt es keinen Interpretationsspielraum.
„Guten Morgen Frau Gerber", begrüsse ich sie mit der Ruhe, die ich aufbringen kann, obwohl in mir das Chaos herrscht.
Mein Gehirn hat die Alarmtaste gedrückt und die Sirenen heulen panisch, sodass mir fast die Ohren schlackern. Das Adrenalin pumpt durch meine Adern und lässt meine Nerven aufgeregt zucken. Mein Fluchtinstinkt will einsetzen, denn eigentlich wäre ich jetzt bereit dazu, davonzurennen. Schreiend und Haare raufend. Aber das kann ich nicht bringen. Ich muss die Contenance bewahren und der Teufelin ins Gesicht blicken.
Die perfekt gezupften Augenbrauen von Julia Gerber jagen in die Höhe. Sie verschränkt die Arme vor sich. Ein kleiner blauer Rucksack hängt von ihrem Ellbogen und ich vermute, dass darin Emils Spielsachen stecken.
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Herzbruchversicherung
ChickLitAls Emma eines Tages in der Schleuse ihres Arbeitgebers stecken bleibt und beinahe schon ein Testament ihrer Freundin per WhatsApp schreibt, lernt sie den reifen Feuerwehrmann Chris kennen, der sie aus der Situation rettet. Tage später, nachdem Emma...