Tag 1
Was ist es eigentlich, das weh tut? Während ich draussen die Regentropfen beobachte, die am Glas meines Fensters herunterkullern und kleine schlangenartige Formen hinterlassen, versuche ich diese Frage für mich zu ergründen.
Ist es mein Herz, das schmerzt? Oder ist es was anderes? Ist es meine Seele, die um Erbarmen schreit, weil mein Vertrauen missbraucht und mit Füssen getreten wurde?
So sehr ich auch versuche, einen Grund zu finden, warum das Ziehen in meiner Brust nicht aufhören will, warum die Taubheit meiner Sinne nicht abflachen will, ich finde es nicht.
Es ist alles.
Und es ist nichts.
Seit gestern sitze ich eingesperrt in meiner Wohnung. Habe weder was gegessen noch mit Menschen gesprochen. Mein Telefon ist noch immer ausgeschaltet. Ich habe keine Lust mehr am normalen Leben teilzunehmen.
Auf meinem Laptop läuft bereits der vierte Liebesfilm. Ich konnte es nicht unterlassen, schnulzige Filme zu schauen und mir dabei ein weiteres Mal die Augen auszuheulen. Hat es was gebracht? Nein. Fühle ich mich besser? Nicht sonderlich.
Deswegen habe ich beschlossen, den Rest der Woche von der Arbeit fernzubleiben. Gott sei Dank ist mein Arbeitgeber grosszügig genug und verlangt erst ab dem fünften Krankheitstag ein ärztliches Attest. Kurz habe ich mir ernsthaft die Frage gestellt, ob ich mir eines wegen eines gebrochenen Herzens ausstellen lassen soll. Dann ist mir aber wieder in den Sinn gekommen, dass ich in drei Wochen ja mein Verkaufsziel erreicht haben muss, weil ich sonst von meiner Chefin rausgeschmissen werde und dann noch in der Gosse lande.
Ich habe eigentlich keine Zeit, um krank zu sein.
Die nächsten fünf Tage müssen reichen, um mich von diesem Desaster zu erholen. Heute unterziehe ich mich der Konfrontationstherapie. Das ist meine eigens entwickelte Methode, um den Kummer zu überwinden: Ich konfrontiere mich selbst mit der kitschigen Welt der Liebe und Romantik, um sie ins Lächerliche zu ziehen und danach hoffentlich zu merken, dass ja alles halb so schlimm ist, denn wer bitteschön ist so blöd und verschenkt sein Herz an einen anderen Menschen.
Das ist der Effekt, den ich mir zumindest erhoffe. Ich weiss aber noch nicht, ob es klappen wird.
Seufzend wende ich mich vom Fenster ab und blicke auf meinen Laptop. Neben dem Fenster, auf welchem die amerikanische Liebeskomödie 500 days of Summer läuft, strahlt mir mein privater E-Mail-Posteingang entgegen. Ich muss Patrick über meine Abwesenheit informieren, damit der nicht Panik schiebt. Mein letzter menschlicher Kontakt, bevor ich mich ins schwarze Loch begebe und erst in fünf Tagen wieder herauskrieche. Hoffentlich als neue, abgehärtete, weniger emotionale Version meiner selbst.
Tag 2
Die Konfrontationstherapie hat wenig geholfen. Ich habe nur geheult wie ein Schlosshund und mich selbst, mein Leben und alle Leute darin aufs übelste verabscheut. War wohl nicht so ein schlauer Gedanke, gleich am ersten Tag sich auf die emotionale Achterbahnfahrt von Hollywood-Filmen zu begeben. Am Ende wollte ich mir nur selbst die Kehle aufschlitzen.
Ein neuer Therapie-Ansatz muss her: Sinnloses Besaufen.
„Alkohoooool ist dein Fallschirm und dein Rettungsboot. Das Dressing für deinen Kopfsalaaaat", lalle ich mit dem Lied von Herbert Grönemeyer mit, das ich gefunden habe, als ich mich stundenlang in den YouTube-Strudel begeben habe und nicht mehr rausgekommen bin.
Von Welpengeburten, Do-It-Yourself-Bikinizone Wachsanleitungen, die zehn besten Fussball-Fails von 1999, Dr. Pimple Popper's Tipps zum Ausdrücken von Pusteln, Abnehmen für Diabetiker und ein Live-Stream der Marssonde habe ich alle Videos und somit skurrilsten Seiten der menschlichen Psyche, wie sie auf solchen Plattformen wie YouTube zur Schau gestellt werden, gesehen. Schlauer bin ich dennoch nicht und vier Stunden meines Lebens habe ich somit in den Müll gekippt. Aber was soll's.
DU LIEST GERADE
Herzbruchversicherung
ChickLitAls Emma eines Tages in der Schleuse ihres Arbeitgebers stecken bleibt und beinahe schon ein Testament ihrer Freundin per WhatsApp schreibt, lernt sie den reifen Feuerwehrmann Chris kennen, der sie aus der Situation rettet. Tage später, nachdem Emma...