34 - Erwachsenengespräch

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Ich folge Chris ins Schlafzimmer. Vorsichtig schliesst er die Tür und dreht sich dann zu mir um. In seinen Augen sehe ich die Nervosität.

Es muss für ihn nicht einfach sein, zu erfahren, dass seine vergangene Flamme mit der aktuellen zusammengestossen ist, während er nicht da war. Ein Worst-Case-Szenario wahrscheinlich. Er malt sich bestimmt die schlimmsten Dinge aus: Dass wir uns die Haare ausgerissen und unsere Gesichter zerkratzt haben, oder, dass wir uns die Seele aus dem Leib geschrien haben, während wir stritten.

Zu unserem Glück ist das nicht passiert, obwohl ich das der Frau Gerber zugetraut hätte. Sie wäre bestimmt zu allem fähig gewesen, wenn nicht ausgerechnet ihr unschuldiger Sohn neben uns gestanden hätte.

„Emma ...", will Chris beginnen, aber ich hebe die Hand, damit er schweigt.

„Keine Sorge. Wir sind nicht aneinandergeraten, wenn es das ist, was du denkst."

Er mustert mich eindringlich, diesen kummervollen Blick tragend, der mir verrät, wie unangenehm ihm das alles ist. Als wären die Scherben seiner Vergangenheit allesamt auf mich heruntergeprasselt und er befürchtet, sie hätten mich geschnitten. Das haben sie aber nicht. Nicht wirklich.

Er wirkt erleichtert über meine Worte.

„Hat sie etwas gesagt, als sie dich sah?", will er wissen und ich muss leer schlucken.

Ich werde ihm die Worte nicht so wiedergeben, wie sie mir von Julia ins Gesicht gezischt wurden. Aber ich muss ihm dennoch davon erzählen. Es war schliesslich nicht ganz irrelevant.

Ich verschränke die Arme vor mir, denn beim Gedanken an meine Chefin beginne ich zu frösteln. Chris blickt mich abwartend an, die Hände in die Hüfte gestützt, den Kopf leicht gesenkt.

„Also ... ähm. Julia war nicht gerade glücklich, mich zu sehen. Sie will nicht, dass ich hier bin, wenn du auf Emil aufpassen musst. Das hat sie sehr deutlich gemacht."

Den Griff um meinen eigenen Oberkörper verstärke ich, indem ich die Finger in meine Arme kralle, als gäbe es mir Halt. Ich verrate Chris nicht, dass mich seine Exfrau Flittchen genannt hat, oder dass meine Qualitäten als neue Freundin in Frage gestellt wurden. Das muss er ja nicht wissen.

Meine Erinnerungen lassen ausserdem eh zu Wünschen übrig. Ich kann mir nie wirklich merken, was mir Leute genau gesagt haben. Der exakte Wortlaut entfällt mir meistens. Der Inhalt von Julias Aufforderung war jedoch klar: Halt dich von meinem Kind fern, sonst knallt's.

Das konnte ich mir merken.

Chris nickt und reibt sich nachdenklich am Kinn. Der ernste Ausdruck in seinem Gesicht gefällt mir nicht. Der verheisst nichts Gutes.

„Das war ja ein Versehen. Ich habs total vergessen, dass Emil heute bei mir ist ...", sagt er und streicht sich mit der Hand durch die Haare. „Sie vertraut unseren Sohn kaum jemand anderem an. Es war schon das reinste Theater, als er in den Kindergarten musste. Julia ist in der Hinsicht sehr borniert. Ich kann mir vorstellen, dass sie nicht gerade freundlich mit dir war."

In seinen Augen hängt dieser entschuldigende Ausdruck, den ich ihm am liebsten vom Gesicht pusten würde. Die, die sich eigentlich entschuldigen müsste, bin ich, denn ich habe den Zorn dieser Hexe entfacht – durch meine alleinige Existenz.

„Ist schon in Ordnung, Chris. Wirklich. Ich denke, sie hat recht. Es ist viel zu früh für mich, um deinen Sohn kennenzulernen. Emil ist ein süsser Kerl und es grenzt an ein Wunder, dass ich in diesen drei Stunden nichts Schreckliches mit ihm angestellt habe. Ich kann nicht so gut mit Kindern. Was aber viel wichtiger ist: Der Junge braucht dich, Chris. Dich ohne mich. In der Hinsicht muss ich deiner Exfrau recht geben – nur dieses eine Mal."

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