2 - Das WhatsApp-Testament

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In Ausnahmesituationen gibt es zwei Typen von Menschen: Die Mutigen und die Schisser. Die Mutigen sind jene Leute, die immer wissen, was zu tun ist und sich in jeder Situation irgendwie zurechtfinden, egal, wie gefährlich. Die Schisser sind jene – wie es der Name schon verrät –, die sich in die Hose machen, wenn sie in eine brenzlige Situation kommen. Ich bin ein Schisser. Definitiv.

Anstatt einen kühlen Kopf zu bewahren, lasse ich erstmal theatralisch meine Pumps zu Boden fallen und kriege Schnappatmung. Dann prallen auch meine Handflächen gegen das Panzerglas, das Patrick weiterhin mit seinen Fäusten bearbeitet. Wir hätten wahrscheinlich bis an unser Lebensende – oder besser gesagt, bis an mein Lebensende – hier munter klopfen können, wir hätten es nie und nimmer geschafft. Selbst wenn Patrick Popeye gewesen wäre und er reichlich Spinat gefrühstückt hätte, Panzerglas hält, was es verspricht. Leider.

Patrick legt eine Pause ein und stemmt die Hände in die Hüfte. Er atmet schwer und hat schon Schweissperlen auf der Stirn. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich komme hier nicht raus. Wohl oder übel muss ich mich mit dem Gedanken abfinden.

Patrick nähert sich der Scheibe und legt seine Handfläche ans kalte Glas, dort, wo meine Hand noch gegen die Scheibe gepresst ist. Nur das dicke Glas trennt uns voneinander.

Angewidert ziehe ich meine Hand zurück und schüttle den Kopf. Auf solche Dramatik habe ich gar keine Lust. Ich winke ihn weg, um ihm den Hinweis zu geben, dass er sich doch selbst in Sicherheit bringen soll. Mir kann man nicht mehr helfen.

Er zögert, das sehe ich in seinen waldgrünen Augen, aber dann rennt er zurück zur Treppe und ist verschwunden.

Ich bin wirklich unkompliziert, stelle ich fest. Selbst kurz vor dem Verrecken mache ich es anderen recht. Mein Blick schweift zu dem Fenster, das nach draussen zeigt und ich beobachte die bedrohlichen Rauchwolken, die sich immer wütender auf der Strasse ausbreiten.

Noch ist vom Feuer hier drin nichts zu spüren. Ich setze mich auf den Boden, lehne meinen Rücken an die Wand und öffne mein Handy. Fast automatisch will ich erst auf Instagram klicken, aber dann überlege ich mir, ob das Letzte, was ich in meinem Leben sehen will, wirklich durchtrainierte Hinterteile von irgendwelchen oberflächlichen Influencern sind, die nichts anderes machen, als an meinem Selbstwertgefühl zu nagen.

Nein, mein Selbstbewusstsein hat in meinem Leben genug gelitten. Irgendwann reicht es auch.

Ich öffne stattdessen WhatsApp und sehe, wie mir Viola schon geschrieben hat.

hey

Wo bist du?!

Hallooo

Ich seufze und kann mein dummes Schmunzeln nicht unterlassen. Die wird sich herrlich darüber aufregen, dass ich die Regeln der Feueralarmübung wieder mal nicht eingehalten habe.

bin in die Ferien

keinen Bock mehr auf diese scheisse

Was?

Was bist du?!

Mache nur Spass

Bin noch drinnen

hey, pass auf!

Es brennt anscheinend wirklich!

Jep

Ich weiss.

hab einen Logenplatz

HerzbruchversicherungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt