30 - Flutsch

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Obwohl das Feuer im Kamin leise vor sich hinknistert, wird mir kalt, als Chris die Haustüre schliesst und mich in seinem Haus alleine zurücklässt. Die Hitze, die ich bis vor Kurzem an jeder Faser meines Körpers gespürt habe, weil er mich berührte – weil Chris mich wollte – ist auf einen Schlag verschwunden. Die kühle Stille legt sich über mich.

Natürlich bin ich enttäuscht, dass er gehen musste, aber ich weiss, dass er nichts dafür kann. Er ist Feuerwehrmann und es ist schliesslich sein Job, im Notfall auszurücken. Dass ein Alarm selbst bei solch intimen Ereignissen wie unsere Knutscherei losgehen kann, ist reiner Zufall. Oder einfach ein Paradebeispiel meiner Pechsträhne, die immer dann zuzuschlagen scheint, wenn etwas in meinem Leben rund läuft. Als hielte ein sadistischer Puppenmeister die Fäden meiner Existenz in seinen Händen und zupfe immer wieder daran, nur um mich zu quälen.

Laut seufzend ziehe ich die Schale voller Beeren näher zu mir heran und schlemme sie. Selbst wenn er nicht mehr da ist, muss ich ganz unwillkürlich die Augen schliessen, als ich die Früchte in meinen Mund verfrachte. Die sind so unbeschreiblich süss!

Bevor Chris ging, meinte er, ich solle einen Film schauen und es mir gemütlich machen, bis er wieder komme. Genau das werde ich nun tun: Ich werde Wein trinken, Beeren naschen und mir einen romantischen Streifen reinziehen.

Ich zappe durch die Liste auf Netflix und wähle einen Bollywoodfilm. Eine Freundin aus meinem alten Freundeskreis meinte einst, diese Filme seien der absolute Kracher. Ich entscheide mich für Lebe und denke nicht an morgen, eine indische Liebesromanze, die mindestens drei Stunden dauert.

Das wird hoffentlich reichen, um Chris' Abwesenheit zu überbrücken und meine brennende Sehnsucht nach ihm zu stillen. Gemütlich rolle ich mich auf der Couch zusammen und folge den Handlungen des Streifens.

Ein sanfter Luftzug auf meiner Wange lässt mich die Lider aufschlagen. Chris' Kaffeebohnen blicken mich an und ich muss automatisch lächeln. Seine beide Arme hat er links und rechts neben meinem Oberkörper abgestützt und sein Gesicht ist meinem so nahe, dass ich die kleinen Lachfältchen in seinen Augenwinkeln deutlich erkennen kann.

Er ist wieder da!

Ich blicke mich um und merke erst jetzt, dass ich offensichtlich auf der Couch eingeschlafen sein muss. Der Abspann des Filmes läuft auf dem Fernseher. Chris' Einsatz hat so lange gedauert, dass er es tatsächlich bis ans Ende des Filmes geschafft hat!

„Und? Hat mein Held den Grossbrand bekämpfen können?", frage ich ihn neckend, aber mein Lächeln erlischt augenblicklich.

Er kniet breitbeinig über mir und blickt mich irgendwie ernst an, was mich leer schlucken lässt. Oh Gott, hoffentlich ist niemand bei seinem Einsatz gestorben! Seine schokoladenbraunen Augen starren mich nieder und erst jetzt erkenne ich die Dunkelheit darin. Auf seinem Gesicht hängt ein Schatten.

„Ist was?", hauche ich verunsichert.

Vielleicht hat ihn die kleine Makeout-Session von vorhin nicht gefallen und jetzt hatte er Zeit, um es sich anders zu überlegen. Tausend Gedanken rasen mir durch den Kopf, während ich darüber nachdenke, was ich denn falsch gemacht haben könnte. Ich mustere ihn vorsichtig.

Er trägt ein weisses, eng anliegendes T-Shirt, seine Oberarme sind angespannt und die Adern treten leicht auf seinen Unterarmen hervor. Seine Haare sind von der Dusche, die er genommen haben muss, tropfnass. Es muss ein körperlich anstrengender Einsatz gewesen sein.

Die Hitze steigt mir in die Wangen, denn er sieht verdammt nochmal heiss aus.

„Ich konnte mich nicht konzentrieren", sagt er dann endlich.

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