10 - Katerfrühstück und Philosophiestunde

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In meinem Kopf schlägt der Presslufthammer mit voller Wucht gegen die Schläfen. Ich stöhne laut auf und drehe mich um, dabei wird mir kotzübel und ich muss zur 1-Liter-Wasserflasche greifen, die ich neben meinem Bett platziert habe. Der Tag nach einer Party ist immer der absolute Horror. Aber das, was ich fertig gebracht habe, übersteigt alles, was ich meinem alternden Körper bisher angetan habe.

Gestern - oder besser gesagt heute Morgen - bin ich nach einer geschlagenen Stunde Rückfahrt in mein Bett gefallen und habe bis 13:00 Uhr durchgepennt. Es ist Samstag und ich weiss jetzt schon, gemessen an der Heftigkeit meiner Kopfschmerzen, dass der Tag nicht gut wird. Ich habe zu viel getrunken und jetzt rächt sich meine Leber an mir.

Warum müssen die Alkoholnachwehen auch so ekelhaft sein? Aber da erinnere ich mich daran, dass Alkohol ja eigentlich ein Zellgift ist und wir Menschen einfach Idioten sind, dass wir uns mit toxischen Stoffen die Sinne benebeln wollen, nur weil wir mit unseren erbärmlichen Leben nicht klarkommen. Seit es die Menschheit gibt, haben wir uns Betäubungsmittel durch die Nasen, Venen, Mägen und Lungen gejagt. Wir sind einfach gerne high und können nicht ohne.

Ich rolle mich zur Seite und ächze laut. Das Karussell in meinem Kopf will schon wieder losfahren und ich muss meine Augen auf den Stricksessel fixieren, damit sich meine Welt nicht in den Strudel begibt und ich in mein Kissen kotze.

Plötzlich klopft es an meiner Zimmertür. Der Klang hallt durch meine Nebenhöhlen. Ich kneife die Augen zu. Nicht so laut!

„Emma?", höre ich Toms Stimme.

„Was is'?", murmle ich und werfe mein Kissen über den Kopf. Meine Ohren haben plötzlich die Geräuschempfindlichkeit einer Fledermaus.

„Du hast Besuch", höre ich seine dumpfe Stimme durch die Tür.

Das Kissen fliegt durch den Raum, als ich mich ruckartig aufsetze. Mein Magen rebelliert und will schon in Krämpfe übergehen, um mir die fettigen Snacks, die ich gestern in mich geschlungen habe, durch die Speiseröhre zu jagen. Ich schlucke leer, um zu verhindern, dass mir alles hochkommt.

„Was? Wer?", keuche ich und streiche mir die Haare aus dem Gesicht.

Wehe, das ist dieser Idiot Patrick!

Mein Herz schlägt mir beim Gedanken an ihn und was gestern zwischen uns vorgefallen ist sehr unregelmässig in der Brust. Mir wird schon wieder übel ob der Erinnerung, dass er sich auf mich gelegt und mich abgeschleckt hat. Das Gefühl seiner Lenden an meinen lässt mich unwillkürlich die Knie anziehen. Igitt. Je nüchterner ich werde, desto unangenehmer fühlt sich diese Erinnerung an.

Ich blicke zum Schlüsselloch meines Zimmers und berechne die Fliehkraft meines Körpers. Wie schnell muss ich auf die Tür stürzen, um den Schlüssel umzudrehen und mich einzuschliessen, bevor der Eindringling hier reinkommt?

„Dein Bruder", antwortet Tom durch die Tür und ich atme erleichtert auf. Der riesige Felsbrocken fällt von meinen Schultern. Wenn's nur der Quatschkopf ist, dann kann ich noch getrost eine Weile liegen bleiben.

„Der soll sich auf der Couch einen Film reinziehen!", rufe ich und drehe mich im Bett um. „Ich will schlafen!"

Als wäre das sein Stichwort gewesen, wird die Tür zu meinem Zimmer aufgerissen und die Hackfresse meines Bruders erscheint im Rahmen.

„Verpiss dich!", zicke ich ihn an und werfe mir die Decke über den Kopf.

Mein grosser Bruder ist eine Nervensäge und wir führen eine Hassliebe. Seit wir die Pubertät halbwegs gut überstanden haben, mögen wir uns nicht mehr so. Wahrscheinlich weil wir beide gemerkt haben, dass der andere einfach scheisse ist.

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